Rede Viktor Orbáns bei der Einweihung des Mahnmals für die Opfer der Sowjetischen Besetzung
Budapest, den 19. Juni 2018

Liebe Frau Erzsébet! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Lieber Herr Minister! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Sehr geehrte Gedenkende!

Wir sind zusammengekommen, um unser Haupt vor den Opfern des Kommunismus zu verneigen und der in die Lager des Gulag verschleppten ungarischen Menschen zu gedenken. Der Soldaten, die man ohne jeden Grund und entgegen aller gültigen Abkommen als Kriegsverbrecher behandelte. Der als Kriegsgefangene verbuchten, in Uniform gesteckten Zivilisten. Der Männer, Frauen und Kinder, die bloß wegen ihrer Abstammung, eventuell wegen ihrer deutsch klingenden Namen oder nur unter dem Vorwand von einigen Stunden „malenki robot“ mitgenommen wurden. Der ehrlichen Bürger, deren einziges Vergehen war, in ihrem Haus ein Radio gefunden zu haben, oder gerade durch sie wurde die im Voraus festgelegte Zahl der Kriegsgefangenen vollständig. Wir sind hier, um uns an die Verhörkeller und -zimmer, an die mit Gewalt und Folter erzwungenen Geständnisse, an die im Voraus niedergeschriebenen Todesurteile oder verhängten Strafen von 25 Jahren zu erinnern. Und wir sind gekommen, um an den langen Weg zu erinnern, der in den Gulag führte. An die durch Epidemien dezimierten Sammel- und Verteilungslager in Ungarn und in Rumänien, dann an die als unendlich erscheinende Fahrt in Richtung der sowjetischen Lager. An die noch so vielen Stationen der Deportation, an denen allen manchmal Tausende und Abertausende vollkommen spurlos verschwanden und dies noch bevor sie in die in der Größe einem Kontinent gleichkommenden Kerkerwelt des Gulag verschwunden wären. In die Abgründe der Hölle, in der die Mortalität infolge des Frostes, des Hungerns, der täglichen harten körperlichen Arbeit von zehn-zwölf-vierzehn Stunden, der Überfüllung, der fehlenden medizinischen Versorgung und der ständigen Brutalität manchmal auch die 80 Prozent erreichte. Und schließlich sind wir hier, um uns auch an die Rückkehr zu erinnern. Die Rückkehr, die viele so erlebten, als hätten sie das frühere Arbeitslager nur gegen ein größeres Lager eingetauscht. Erinnern wir uns an die Jahrzehnte der Stigmatisierung, des erzwungenen Schweigens, und dann auch der Doppelgesichtigkeit der Rehabilitierung. Viele von Ihnen mussten über einen lagen Zeitraum hinweg auch noch dafür kämpfen, dass wir wenigstens das Andenken der Opfer schützen können, das Andenken ihrer vielen und vielen Schicksalsgenossen – hätten wir ihre Namen auf diesen schwarzen Obelisk eingraviert, so stünde hier jetzt eines der höchsten Mahnmale der Welt. Wir danken den Überlebenden, dass sie den Kampf nicht einmal dann aufgegeben haben, als alles hoffnungslos erschien. Wir danken Ihnen, dass Sie sich eingesetzt haben, durch Ihr Zeugnis uns erinnert und gewarnt haben. Wir bitten Sie, uns auch weiterhin daran zu erinnern und zu warnen, dass wir unsere heutige freie, demokratische Welt nicht einmal zufällig als eine Selbstverständlichkeit ansehen, sondern vielmehr als eine Ausnahmeerscheinung. Als einen Zustand der Gnade, den wir nur auf die Weise aufrechterhalten können, wenn wir entschlossen sind, nie mehr zuzulassen, dass so etwas noch einmal mit uns geschehe.

Sehr geehrte Gedenkende!

Europa ist zugleich die Heimat epochaler Ideen und zerstörerischer Ideologien. Der Nationalsozialismus, der internationale Kommunismus, ja auch der die Völker in ein koloniales Schicksal treibende moderne Imperialismus hat das erste Mal sein Haupt westlich von uns erhoben. Seien wir stolz darauf, dass Ungarn ein Land ist, das noch niemals unterdrückende Ideologien hervorgebracht hat und niemand zu einem kolonialen Schicksal verurteilen wollte. Unser Volk ist das Volk nüchterner Menschen. Es weiß, dass der Friede, die Freiheit, die Unabhängigkeit nicht nur uns wichtig sind, weshalb es das Recht der anderen Völker hierauf respektiert und anerkennt. In Westeuropa feierte die politische Linke den Kommunismus auch dann noch, als bereits Millionen im Würgegriff der roten Diktaturen gestorben waren. Ja, die europäische Linke sieht den Kommunismus und dessen Verbrechen auch jetzt noch verschwommen, in einer seltsamen Brechung. Die Standbilder der kommunistischen Führer stehen auch jetzt noch in den Köpfen zahlreicher europäischer Politiker. Sie sind nicht bereit zu akzeptieren, dass der Weg zur Vereinigung Europas über das Niederreißen der Skulpturen von Marx und Lenin führte. Wir wissen es: Es gibt kein kommunistisches System mit menschlichem Antlitz. Das wahre Gesicht des Kommunismus heißt Gulag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der Geist von Marx, Lenin und der Umschulungslager erscheint auch heute noch von Zeit zu Zeit in Europa. Im Zusammenhang mit den demokratischen Wahlen in Italien, die nicht nach dem Geschmack von Brüssel abliefen, gab es Stimmen, die sagen durften, die Märkte würden es den Italienern schon beibringen, wie man wählen muss. Es gibt Stimmen, die uns nur aus dem Grunde verschiedene Verfahren anhängen wollen, weil wir die Welt anders sehen als sie, und wir zu keinem Einwanderungsland werden wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Im kommenden Jahr wird es runde hundert Jahre her sein, dass auf den Trümmern des während des Ersten Weltkrieges ausgebluteten und durch Glücksritter zerschlagenen Ungarn die 133 Tage des roten Terrors begannen. Und dieses Jahr ist es siebzig Jahre her, dass als Ergebnis des Ausgleichs zwischen den Sowjets und dem Westen sich all das vollzog, was als das Jahr der kommunistischen Wende Eingang in die ungarische Geschichte gefunden hat. Was lehrt uns dies? Die Räterepublik von 1919 lehrt uns, dass eine die Nation verratende und hasardierende Regierung sogar zum Untergang des Landes führen kann. Und nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir gelernt, dass das wertvollste Gut Ungarns seine Souveränität ist. Wir haben den Preis für unsere Schwäche, den Verlust unserer Unabhängigkeit mit Hunderttausenden von Deportierten, Verschleppten und Ausgesiedelten bezahlt. Allein von hier, aus Óbuda (Altofen) verschleppte man 15 tausend unserer schwäbischen Brüder nach Sibirien oder schickte sie mit einem Bündel in das niedergebombte Deutschland. Hinsichtlich der Souveränität Ungarns können wir auch aus dem Grunde kein Jota nachgeben, da wir sehr genau wissen, wenn wir auch nur unseren kleinen Finger reichen, dann werden sie gleich unseren ganzen Arm mitnehmen. Dieses Mahnmal fordert von uns, ein Ungarn zu erschaffen, in dem Ähnliches sich nicht ereignen kann. Deshalb müssen wir jedwede unrealistische Idee, jedweden verworrenen Gedanken, jedweden, fremden Interessen dienenden Plan außerhalb unserer Landesgrenzen halten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Am heutigen Tag schließen wir mit der Einweihung dieses Mahnmals auch die Reihe der Ereignisse des Gulag-Gedenkjahres ab. Erlauben Sie mir aus diesem Grunde bitte, mich bei all jenen für ihre Arbeit zu bedanken, die an der Vorbereitung des Gedenkjahres, an der Organisierung und der Durchführung der Programme teilgenommen haben. Ich danke den Überlebenden der Lager und ihren Familienmitgliedern, dass sie damals die Mauer des Schweigens eingerissen haben. Ihr Zeugnis ist bis auf den heutigen Tag die wichtigste Quelle jener Arbeit, die die Verbrechen des Kommunismus aufdeckt. Wir danken auch den Forschern, dass sie im Laufe der Jahre aus Archiven und Nachlässen zahlreiche, verloren geglaubte Dokumente ausgegraben haben, auch dadurch unter Beweis stellend, dass die Erinnerung ihre Schlacht gegen das Vergessen gewinnen wird, wenn es engagierte Menschen gibt, die als Sprecher der Opfer und in ihrem Namen die Wahrheit aussprechen.

Respekt den Mutigen, Ehrfurcht den Helden!