Viktor Orbán in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
2. Februar 2018

Gábor István Kiss: Es ist fünf Minuten nach halb acht. Der globale Pakt der UNO über die Migration ist im Entstehen begriffen, gegenwärtig läuft die Verhandlungsreihe, vor Kurzem haben wir das Dokument kennenlernen können, das in seiner gegenwärtigen Form für die ungarische Regierung inakzeptabel ist, und tatsächlich scheint es auf den ersten Blick, dass es im diametralen Gegensatz zu den Staaten, zu der vertretenen Auffassung steht, deren Einwanderungspolitik auf dem Grenzschutz basiert. Und dieses Dokument sagt, ein jeder habe das Recht, seine Lebensbedingungen zu wählen. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Ich begrüße die Zuhörer recht herzlich, guten Morgen!

Die Vereinigten Staaten haben schon den Verhandlungstisch mit der Erklärung verlassen, dass die Hilfeleistung und die Unterbringung, die obligatorische Aufnahme zwei verschiedene Dinge sind. Ist dies auch die Grundlage des ungarischen Gedankenganges?

Ich möchte uns von den Amerikanern lösen, sicherlich besitzen sie ihre eigenen Gesichtspunkte, aber ich gehöre noch zu der Generation, die noch so aufgewachsen ist, dass wenn Moskau etwas in der internationalen Arena, sagen wir in der UNO, unternommen hat, man wissen konnte, Ungarn werde der Sowjetunion folgen. Ich betrachte also diese ganze Angelegenheit vollkommen unabhängig von Amerika ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Ungarn und des ungarischen nationalen Interesses. Zweifellos ist es ein Zeichen, ein zu Sorge Anlass gebendes Zeichen, dass das über den größten militärischen Einfluss in der Welt verfügende und in der Finanzierung der UNO an erster Stelle stehende Land solche Verhandlungen verlassen hat. Aber das darf unser Denken nicht beeinflussen! Worum geht es hier? Es handelt sich um zwei Verträge. Also um zwei Vertragsentwürfe. Den einen nennt man Vertrag über die Angelegenheit der Flüchtlinge, die Amerikaner sind im Übrigen nicht aus diesem ausgestiegen, dieser schreitet weiter auf seinem Weg voran, hier ist es leichter, eine Übereinstimmung zu erzielen, denn wer Schutz benötigt, der muss den Schutz erhalten. Die Details hiervon reguliert das internationale Recht auf ziemlich gute Weise, diesen kann man erneuern, hierüber kann man verhandeln. Der andere Vertrag, um den es jetzt hier geht, beschäftigt sich mit den Migranten. Also nicht mit den Flüchtlingen, sondern mit den Migranten – wie wir das auf Ungarisch sagen –, dies ist die Frage der Völkerwanderung. Was soll die Welt mit der Erscheinung anfangen, dass es große Unterschiede im Entwicklungsgrad gibt? In einzelnen Teilen der Welt denken viele zehn Millionen Menschen, dass sie an einem anderen Ort der Welt leben möchten, nicht dort, wohin sie geboren worden sind, nicht dort, wo sie aufgewachsen sind, sondern sie möchten in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen auf dem Gebiet eines anderen Landes leben, das eine größere, eine breitere Perspektive bietet. Wie sollen wir uns zu dieser globalen Erscheinung stellen? Hierum geht es in dem Entwurf des Migrationspaktes.

Haben wir für unseren Standpunkt argumentiert? Denn jetzt ist die Sache an dem Punkt angelangt, dass auch wir den Verhandlungstisch verlassen könnten, also als Ungarn, und es zeichnet sich eine auf Konsens beruhende Entscheidung ab. Ist es nicht besser, den Konsens durch die Anwesenheit zu beeinflussen als durch das Fernbleiben?

Das ist eine gültige Frage, die auch uns Kopfzerbrechen bereitet, ich möchte sie auch nicht überstürzt beantworten. Die UNO ist eine wichtige Organisation. Es wird immer darüber diskutiert, wie effizient sie ist, zweifelsohne ist sie eben nicht die effizienteste Organisation der Welt, aber sie ist trotzdem eine wichtige Organisation, denn es gibt keinen zweiten solchen Ort – ich selbst habe auch an UNO-Verhandlungen teilgenommen –, an dem in einem derart breiten Rahmen so gut wie alle Mitgliedsstaaten der Welt mit der Absicht zur Übereinkunft anwesend sein, sich versammeln und sich abstimmen könnten. Man muss das zu schätzen wissen, die UNO ist ein Wert. Zugleich darf man nicht zulassen, dass die UNO Prinzipien formuliert, derartige Pläne zur Neuordnung zu Papier bringt, die den Interessen Ungarns entgegengesetzt sind. Also haben wir hier einerseits den Respekt für die und die Anerkennung der Bedeutung der UNO, aber auch das konsequente Engagement für die ungarischen Interessen, denn darüber, was im Entstehen begriffen ist, können wir auf Grund der Informationen sagen, dass es den Interessen Ungarns entgegengesetzt ist. Aber zum Glück wird es hier einen Punkt geben, an dem – wie man umgangssprachlich so sagt – der Affe dann ins Wasser springen wird, das heißt sich die Angelegenheit entscheidet, und dann wird alles klarer, verständlicher werden, denn bald, in ein-zwei Tagen wird der bisher im Stadium der Vorbereitung stehende Textentwurf veröffentlicht, man wird ihn lesen können, und es wird einen Fixpunkt geben, zu dem wir uns positionieren können. Ein bisschen ist jetzt noch das alles durch den Nebel verdeckt, aber wenn ein Vorschlag niedergeschrieben sein wird, dann werden wir sehen, ob für uns eine Möglichkeit besteht, ihn anzunehmen, weil er gut für Ungarn ist, oder wenn er nicht gut sein sollte, ob es dann die Möglichkeit geben wird, seinen Inhalt zu modifizieren? Aber hierzu ist gründliche, besonnene, ruhige analysierende Arbeit nötig, also wird sich die Regierung, nachdem wir den Text kennengelernt werden haben, damit beschäftigen. Ich werde versuchen, dies in möglichst breitem Kreis bekannt zu machen, und danach fällt die Regierung eine Entscheidung.

Wenn wir eine einzige Sache suchen, die für Ungarn in praktischer Hinsicht wichtig ist, und wir hierher all das nehmen, was der Generalsekretär der UNO, Guterres, der frühere Präsident der Sozialistischen Internationale, über die Einwanderung im Europäischen Parlament, also anderswo, gesagt hat, können wir dann suchen oder dies als eine derartige praktische Frage übersetzen, dass hier das Recht auf den Schutz der Grenze auf dem Spiel steht?

So ist es. Hier werden also derartige Grundsätze formuliert, die zum Beispiel die Minderung der Strafen für das illegale Überqueren der Grenze in Aussicht stellen, oder allen Ländern des Erdenrundes vorschlagen, die administrativen Verfahren einfacher und schneller zu gestalten, oder wir sollen weniger Kontrollen der unsere Länder betreten wollenden Fremden ausüben. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer… Oder dass diese NRO-s an der Durchführung teilnehmen sollen, also diese… Ungarn hat bekanntlich schlechte Erfahrungen mit den NRO-s, den sich mit der Migration beschäftigenden pseudozivilen Organisationen gemacht, die fressen George Soros aus der Hand. Übrigens ist der Text – also das, was wir daraus kennen, denn offiziell ist er noch nicht veröffentlicht worden – so, als ob man ihn aus dem Soros-Plan kopiert hätte, er ist in seiner Einstellung auch genauso, und zum Beispiel würde man einen Großteil der Mitwirkung in der Frage der Migration von den Staaten hinüber zu den zivilen Organisationen verlegen. Also davor soll der Liebe Gott Ungarn bewahren! Es entfalten sich also in zahlreichen konkreten Fragen Diskussionen. Ich sage es noch einmal, Besonnenheit, Nüchternheit, Geduld, Ruhe.

Haben wir auf der kritischen Seite gegenüber dieser Verhandlungsreihe Partner, zum Beispiel unter den Visegrád-Ländern?

Es formiert sich. Es formiert sich aber ein Bündnis der auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes stehenden Länder, die sagen, wir sollten aber nicht unseren Verstand verlieren, was wird denn aus dieser Welt, wenn wir das Recht auf Migration als ein grundlegendes Menschenrecht anerkennen, und die globale Organisation es für ihre Aufgabe hält, auf der Erde das Kreuzundquer-, das Hinundherströmen zu organisieren, und anstatt auf die darin sich verbergenden Gefahren aufmerksam zu machen? Denn unserer Ansicht nach ist dies eine gefährliche Erscheinung. Ich erinnere mich an keine Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit, die nicht für eine ganze Reihe von Ländern eine ernsthafte Gefahr dargestellt hätte, auch wir könnten darüber reden, aber wir sollten es lieber organisieren und durchführen und vereinfachen. Es gibt also Länder, die dies genauso bewerten wie wir, dass solch eine globale Anerkennung der Migration und ihre Erhebung in den Rang eines Menschenrechtes für eine ganze Reihe von Ländern außerordentliche Gefahren bedeuten. Wir wissen, welche Länder eine harte Einwanderungspolitik verfolgen, diese haben uns im Übrigen auch viele Beispiele gegeben. Ich persönlich sehe zu diesen Ländern auf, das sind harte Jungs, also nicht solche weichen, nachgiebigen, auf das erste Wort hin auf ihre eigenen Interessen verzichtenden Länder, Australien, Neuseeland, Japan, also das sind entwickelte, starke, zivilisierte Länder, und natürlich sind hier auch die V4, die Sie erwähnt haben. Auch die V4 möchten nicht, dass globale Dokumente und globale Standpunkte entstehen, auf die man sich danach berufend gegen unsere nationalen Interessen auftreten könnte.

Und hier ist Österreich, das anscheinend – laut einer Meldung von heute Früh – von seiner früheren, die Einwanderung unterstützenden oder die Einwanderung eher unterstützenden Haltung zurücktritt. Sie übernehmen noch von Italien fünfzig Personen und auch sie beenden dann die Teilnahme an der Verteilung auf Grund der Quote. Darüber konnten Sie zum Beispiel in dieser Woche mit Bundeskanzler Kurz gesprochen haben, als Sie ja in Wien Gespräche führten.

Ich habe spannende Verhandlungen geführt. Sie waren auch intellektuell spannend, aber auch hinsichtlich der ungarischen nationalen Interessen, ja, sie waren sogar wichtig. Diese Verhandlungen lohnt es sich, auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu untersuchen. Die erste ist die Frage der österreichisch-ungarischen Beziehungen, und die andere die Welt der europäischen Fragen, und in der Frage der österreichisch-ungarischen Beziehungen können wir sagen, dass auch in Österreich ein neuer Wind weht, deshalb weht auch ein neuer Wind in den österreichisch-ungarischen Beziehungen. Reden wir nicht drumherum! In Österreich gab es in den vorherigen Jahren eine antiungarische Regierung. Es lohnt sich nicht, aufzuzählen, wie wir verletzt worden sind, und auch nicht sich zu kratzen, wie ein Hund, der Flöhe hat und ständig knurrt, wir möchten keine solche Situation sehen, aber die Wahrheit ist, dass in Österreich Dinge über Ungarn und die ungarische Regierung gesagt wurden, wie meiner Ansicht nach im Laufe unserer Geschichte vielleicht noch nie von den Österreichern über uns gesagt worden sind. Sie haben sehr roh-verletzende Dinge gesagt. Gut, es war eine sozialistische Regierung, das macht die Situation bis zu einem gewissen Grade verständlich, jedoch sind trotzdem Dinge geschehen, die man nur sehr schwer zur Kenntnis nehmen konnte, ohne zu reagieren oder – wie soll ich es ausdrücken – ohne eine die Beziehungen zerstörende Reaktion zu zeigen. Ich habe dies getan, und meiner Ansicht nach hat Ungarn das gut ertragen, weil wir wussten, dass es die heutige Diskussion gibt, aber es auch die Geschichte gibt, von der wir einen Teil hinter uns und den anderen noch vor uns haben, und zu Österreich hatten wir historisch ein gutes Verhältnis, das möchten wir auch beibehalten. Die beiden Länder benötigen einander, deshalb erlaubten wir uns rohe Antworten nur in Ausnahmesituationen, wir haben lieber darauf gewartet, dass sich der Wind wendet. Dies ist jetzt eingetreten. Jetzt gibt es eine rechte Regierung in Österreich, anstatt der antiungarischen Regierung ist eine faire, anständige, ungarnfreundliche Regierung in Österreich zu erwarten. Dies bedeutet nicht, dass es zwischen uns keine Konflikte gäbe, denn es sind einige geblieben, aber die Attitüde, die Einstellung, das Verhältnis will vielmehr auf die positiven Traditionen der historischen Erfahrungen aufbauen und sieht ein, dass Österreich zwar ein viel reicheres Land als Ungarn ist, es ist kleiner, aber reicher, doch wird auch Österreich in der Zukunft Ungarn brauchen. Nun ist Österreich ein glückliches Land, denn von dort sind ’55 die Sowjets hinausmarschiert. Wir haben zwar ’56 etwas Ähnliches versucht, dass sie auch von hier weggehen sollten, aber uns ist das nicht geglückt, ihnen schon. Damit haben sie im Vergleich zu uns einen Vorsprung von dreißig und einigen Jahren gewonnen, das sieht man auch am Grad der Entwicklung, und deshalb sind sie ein Teil des Westens geworden, als man uns zu einem Teil des sowjetischen Imperiums machte. Dies bedeutet, dass das mitteleuropäische Bewusstsein, das diese beiden Länder verband, für einige Zeit in Klammern gesetzt wurde. Jetzt gerade bestimmt Österreich seinen eigenen Platz und seine Rolle neu, es sagt, es gehöre nicht zu Mitteleuropa und habe auch zum Westen ein eigentümliches Verhältnis, es möchte zwischen Mitteleuropa und Westeuropa eine Brückenrolle spielen, und wir befinden uns in der Mitte der mitteleuropäischen Welt, Ungarn ist ein echter mitteleuropäischer Staat.

Aber es gibt auch eine Konfliktsituation im Verhältnis von Österreich und Ungarn, dies ist die Frage der Familienförderung. Es geht darum, dass die in Österreich arbeitenden ungarischen Arbeitnehmer, die ihre Familienmitglieder zu Hause, also in Ungarn gelassen haben, nicht die gleichen Leistungen erhalten wie ihre österreichischen Kollegen. Sie sagten, Sie werden für diese ungarischen Arbeitnehmer kämpfen, es handelt sich im Übrigen um mehrere zehntausend. Wo wird diese Frage entschieden werden? Am Europäischen Gerichtshof, in Wien, in Budapest?

Zunächst einmal ist es wichtig, über die Konflikte hinaus auch die grundlegenden Interessenübereinstimmungen zu identifizieren, damit wir nicht mit den Konflikten die Möglichkeit zur Zusammenarbeit in den Themenbereichen zerstören, die dringend sind, und das haben wir in den vergangenen drei Jahren gelernt, dass man Österreich und Ungarn nur gemeinsam verteidigen kann, deshalb haben die Österreicher auch Grenzsoldaten an die serbisch-ungarische Grenze entsandt, wofür wir uns auch bedankt haben, und deshalb ist es auch so, dass als wir die Balkanroute gesperrt haben, wir auch Österreich geschützt haben. Diese Zusammenarbeit wird auch in der Zukunft notwendig sein, denn Österreich und Ungarn kann man nur gemeinsam verteidigen. Wir wissen noch nicht, ob Italien Mitglied der Schengen-Vereinbarung bleiben kann, ob es in der Lage sein wird, seine Grenzen dauerhaft zu verteidigen, im vergangenen Jahr haben wir schon hierfür Zeichen gesehen, die hoffen lassen, früher jedoch haben wir aber eher nur Dinge gesehen, die Anlass zur Sorge gaben. Es kann also leicht sein, dass Österreich auch eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung des Schengener Systems spielen wird, also unabhängig von den Diskussionen ist die Grundattitüde, das System unseres Verhältnisses eine Ausrichtung auf ein Bündnis mit  Österreich in der wichtigsten Angelegenheit, der Frage der Migration. Was die Diskussion angeht, wir sprechen über achtzigtausend und einige Ungarn, dies ist also keine Kinderei, wir sprechen über viele-viele Menschen. Über die genauen Zahlen gibt es natürlich verschiedene, voneinander abweichende Schätzungen, aber ich rechne im Großen und Ganzen so, dass es in dieser Größenordnung von mehreren zehntausend ungarischen Menschen solche geben wird, die in Österreich arbeiten, die Sozialabgaben entrichten, die sie laut der österreichischen Gesetze einzuzahlen haben, genauso bezahlen wie die österreichischen Menschen, und hiernach sagt man ihnen: „Die Euch zustehende Familienförderung wird aber geringer sein als jene, die wir einem Österreicher zahlen.“ Laut des ungarischen Standpunktes ist dies Diskriminierung. Eine nachteilige Unterscheidung zu Ungunsten der Ungarn. Es gab solche Versuche innerhalb der Europäischen Union, und dies hat bisher die Kommission der Europäischen Union und das europäische Rechtssystem mit Erfolg zurückgeschlagen. Ich sehe es so, dass diese Diskussion keine österreichisch-ungarische Diskussion ist, sondern eine europäische Diskussion der Rechtsauslegung. Die Diskussion wird sich auch nicht zwischen uns entscheiden, sondern am Europäischen Gerichtshof.

Im Gespräch mit dem Wiener Erzbischof stellte aber die Christenverfolgung das Hauptthema der Unterredung dar, und es lohnt sich, auch dies ein bisschen zu beleuchten, denn hier sind tatsächlich im Nahen Osten seit Christus existierende Gemeinschaften in existenzielle Gefahr geraten. Also könnte unsere Generation die Situation erleben, dass diese mehrere Tausend Jahre alten Gemeinschaften jetzt verschwinden, wenn die Welt nicht besser auf dieses Problem achtet.

Es gibt ja eine Wegweisung, die sagt, jeder unter seinem eigenen Feigenbaum. Das bedeutet, dass einem jeden auf der Welt sein eigenes Land gegeben ist, in dem er zurechtkommen muss, wo er geboren worden ist. Im nördlichen Teil der heutigen muslimischen Welt, also am Südufer des Mittelmeeres, existierten als Ausgangspunkt christliche Zivilisationen, denn das Christentum ist als Weltreligion früher entstanden als die muslimische, die islamische Weltreligion. Dort begann also die Welt auf die Weise, dass wenn überhaupt etwas die Menschen aus der Barbarei entließ, sie erhob, dann war das zuerst das Christentum, und hierauf baute eine später gegründete Weltreligion, die Religion der Muslime, der Islam auf. Deshalb gab es dort auch schon immer eine gemischte Bevölkerung seit den 600-er Jahren, gerechnet seit 600 und etwas nach Christi Geburt, und sie versuchten miteinander zusammenzuleben. Den christlichen Gemeinschaften gelang es auch, in diesem muslimischen Meer erhalten zu bleiben, die verschiedenen Staaten haben sich auf verschiedene Weise zu den Christen gestellt, es gab Zeiten, in denen man sie ausrotten und verdrängen wollte, aber es gab auch Zeitalter und Herrscher, die mit den Juden genauso zusammenarbeiten wollten wie mit den Christen. Die muslimische Welt ist also bunt. Wir möchten jetzt, dass diese alteingesessenen christlichen Gemeinschaften dort als wertvoller Farbtupfer der gemischten Welt erhalten bleiben können. Dies ist eine andere Situation als die Europas, wo die Situation ja die ist, dass der europäische Kontinent immer ein Kontinent christlicher Kultur war. Interessanterweise verstärkt sich dies jetzt auch noch, denn aus Messungen, Verhandlungen und Analysen ersehe ich, dass das Christentum jetzt für sehr viele Europäer in erster Linie keine Frage des Glaubens ist. Natürlich sind wir auch viele, die dies auch als eine Frage des Glaubens betrachten, denn wir haben eine Bindung zum christlichen Glauben, wir sind ein Teil von ihm. Aber es gibt auch sehr viele, viele zehn- oder hundert Millionen Menschen in Europa, deren Bindung an die christliche Religion sich zwar verändert hat, dünner geworden ist, vielleicht haben sie auch den Glauben verloren, denn so viele Menschen es gibt, so viele Schicksale sind es, aber wir alle denken, dass wir eine aus dem Christentum hervorgewachsene Lebensform, eine auf die christliche Kultur aufbauende alltägliche Lebensform besitzen, die die unsere ist, in der wir uns heimisch fühlen. So wie wir über die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit denken, wie wir über die Verantwortung des Menschen, über die Familie, über unsere selbständige Verantwortung für unsere Eltern und Kinder, über die Gleichheit zwischen Mann und Frau denken, das alles kann man als christliche Kultur bezeichnen, und indem jetzt aus dem Süden und Osten muslimische Massen von einzelnen Ländern nach Europa hereingelassen werden, entsteht dort eine gemischte Bevölkerung, wo es früher niemals eine gemischte Bevölkerung gegeben hat, weshalb wir das Gefühl haben, dass wir an Raum verlieren, dass unsere auf die christliche Kultur aufbauende Lebensform in Gefahr geraten ist. Wir haben unsere Länder nicht einmal verlassen, und das Gefühl, zu Hause zu sein, beginnt zu schwinden. Dies ist nicht mehr jene Welt, in der wir früher gelebt haben. Dieses Lebensgefühl ist in Westeuropa äußerst stark, und wir wollen nicht, dass auch Ungarn dieses Schicksal erleidet, deshalb ist es im Prinzip eine konsistente Sache sowie richtig und einen Einklang zeigende Politik, die in Europa die christliche Kultur verteidigt und südlich von uns ihre Stimme für das Erhaltenbleiben der alteingesessenen christlichen Minderheiten erhebt.

Diesen Einklang kann man in dem Visegráder Bündnis beobachten. Letzte Wochen waren die Ministerpräsidenten hier und eröffnen im Wesentlichen eine neue Debatte über die Zukunft Europas, diese vier Politiker, diese vier Politiken, diese vier Länder, denn wie Sie formuliert haben, hatten sich die früheren nicht erfüllt. Was ist der Leitfaden, was sind die wichtigsten Sätze dieser neuen Politik auf Visegráder Grundlage?

Am wichtigsten ist, dass die Europäische Union ihre frühere Strategie verworfen hat. Es ist auf Ungarisch nicht am schönsten formuliert, aber die Europäische Union hat vor etlichen Jahren zusammengefasst, was sie über sich denkt und welche gemeinsamen Ziele wir haben, dies nannte man die Lissaboner Ziele. Wir haben drei Dinge gesagt. Das erste war, dass wir eine europäische Währung erschaffen, die weltweit eine Konkurrenz des Dollars sein wird, zu einer Weltwährung wird. Das zweite war, dass wir die Freihandelszone nicht nur innerhalb der Europäischen Union erschaffen, sondern sie auch ausweiten wollen, wie der Text es sagte, wie die damaligen Dokumente es sagten, von Lissabon bis Wladiwostok. Und das Dritte, dass wir eine derartige schnelle technologische Entwicklung in Europa unterstützen, die Europa zu der wettbewerbsfähigsten Region der Welt macht. Diese drei Ziele haben uns zusammengehalten. Wenn man also einen führenden europäischen Politiker gefragt hat, im Interesse welcher Ziele wir zusammenarbeiten oder kooperieren, dann formulierte er diese drei perspektivischen strategischen Ziele, dann hätten sie diese formuliert. Dies ist aber verlorengegangen, vom Horizont verschwunden, das ist verdampft, der Euro freut sich, dass er überhaupt noch am Leben ist, wir versuchen ihn jetzt gerade erneut in einen funktionsfähigen Zustand zu bringen, damit der Euro nicht im Zusammenhang mit Krisen im Gespräch ist. Mit den Russen gibt es nicht nur nicht bis Wladiwostok eine Zusammenarbeit, sondern wir haben Sanktionen eingeführt. Hinsichtlich der technologischen Entwicklung haben uns die asiatischen Länder schon eingeholt, aber sie haben uns vielleicht in ein- bis zweierlei Hinsicht auch schon hinter sich gelassen, und unseren Abstand im Vergleich zu Amerika haben wir nicht verringern können. Aus dieser Lagebeurteilung folgt also, dass man der Europäischen Union neue Ziele geben muss, denn ansonsten wird es nichts geben, das uns zusammenhalten würde. Deshalb wird nicht nur unter den V4 darüber diskutiert, sondern in der gesamten Europäischen Union, wie wir dann schließlich uns unser gemeinsames Europa vorstellen sollen, und in diese Debatte ist im Übrigen die Migration geradezu hineinexplodiert, denn während wir über diese Fragen oder über auch diese Fragen diskutieren müssten, hat sich die Europäische Union plötzlich entzweit, es hat sich herausgestellt, dass es in ihr Einwanderungsländer gibt, die bereits zu Einwanderungsländern geworden sind, und es gibt solche, die das nicht sein wollen, wie Ungarn. Und daraufhin hat sich die Frage ergeben, wie zwei über jeweils einen unterschiedlichen Charakter verfügende Teile des Kontinents – sagen wir die V4 und noch einige Länder, die nicht zu einem Einwanderungsland werden wollen, und jene, die bereits dazu geworden sind – überhaupt gemeinsame Ziele für die Zukunft formulieren können? Dies verleiht der gegenwärtigen Situation ihr Risiko und auch die Spannung.

Aber auch das ist eine Lehre, dass diese vier Länder stärker aufeinander angewiesen sein werden? Denn man konnte hier über Pläne der Entwicklungsbank lesen, diese wird mit dem Namen Visegráder Bank erwähnt, und…

Ich habe diesen Gedanken sehr unterstützt, aber man hat mich überzeugt, besonders der tschechische Ministerpräsident, der von uns allen ja letztlich doch die herausragendsten wirtschaftlichen Ergebnisse die seinen nennen kann, denn er hat als Finanzminister in Tschechien Wunder bewirkt, hinzu kommt noch, dass er einer der reichsten Menschen Europas ist. Es geht um einen Herrn namens Babiš, einen Ministerpräsidenten, er sagte, wir sollten das Pferd nicht von hinten aufzäumen, und er hat uns überzeugt. Zuerst sollten wir die Projekte, also jene großen gemeinsamen wirtschaftlichen Investitionen markieren und ausarbeiten, für die Geld notwendig ist, und wenn es sich herausstellen sollte, dass zu diesen Programmen – hierüber werde ich gleich noch etwas sagen – irgendein Finanzinstitut notwendig ist, dann sollten wir eines gründen und nicht umgekehrt. Und das haben wir akzeptiert, seine Annäherung ist tatsächlich praxisnah, aber wir haben über die Möglichkeit des Baus einer Schnellbahn Budapest-Warschau gesprochen, dies bedeutet heute eine Reise von 12 Stunden, wenn wir unsere Pläne verwirklichen könnten, dann könnte man die Fahrzeit auf 4 Stunden reduzieren. Aber genauso können wir heute nicht auf der Autobahn nach Prag gelangen, bis Warschau überhaupt nicht, diese Möglichkeit kommt gar nicht zur Sprache. Die Nord-Süd-Verbindung innerhalb Osteuropas ist also nicht zustandegekommen. Wir leben in dem Erbe des Kalten Krieges, es gibt Ost-West-Verbindungen, aber keine zwischen Norden und Süden. Wenn die Nord-Süd-Verbindung nicht gebaut wird, dann bleibt Mitteleuropa nur eine Erscheinung geistiger Natur. Mitteleuropa existiert, es gibt eine gemeinsame Denkweise, historische Tradition, Schicksalsgemeinschaft, Kultur, ein gemeinsames Lebensgefühl. Nicht zufällig sympathisieren wir miteinander und verstehen einander so schnell, aber die wirtschaftlichen Grundlagen dessen existieren im Augenblick nicht. Ich glaube also daran, und ich arbeite dafür, dass wir auch die wirtschaftlichen Grundlagen Mitteleuropas erschaffen, und der Ausgangspunkt dafür ist die Verbindung. Die Verbindung der Energie-, Gas-, Stromleitungen, das Verbinden der Autobahnen und die Zugverbindungen, und mit deren Hilfe folgt dann ein bedeutender Anstieg im gegenseitigen Handel und der wirtschaftlichen Kooperation.

Zu Gast in der Sendung „180 Minuten“ war Ministerpräsident Viktor Orbán. Danke, dass Sie hier waren!