Viktor Orbán in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
6. Oktober 2017

Éva Kocsis: Pflichtverletzungsverfahren, Zivile, Migration und natürlich der Start der Wahlkampagne. Auch diese werden unser Thema sein in der kommenden halben Stunde. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán, guten Morgen!

Guten Morgen!

Wenn wir mit den Gesetzen über die Zivilen, mit dem Pflichtverletzungsverfahren beginnen, oder mit der CEU, wenn wir hiermit beginnen, dann ist die Lage, dass es Ihnen nicht gelungen ist, die Europäische Kommission zu überzeugen. Im Grunde sind im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Zivilen die gleichen Beanstandungen im Raum geblieben, über die auch schon zuvor die Rede war. Einen Monat hat die Regierung in dieser Angelegenheit erhalten. Was wird folgen? Werden Sie etwas an der Argumentation ändern, ändern Sie das Gesetz, gehen Sie so weit wie möglich?

Zunächst einmal gibt es in Brüssel ein Verfahren zur Klärung juristischer Diskussionen, dies ist notwendig, denn es kann Diskussionen darüber geben, was die die EU begründenden Verträge genau vorschreiben und was sie bedeuten, und wenn es eine Diskussion gibt, dann muss diese irgendwie entschieden werden. Deshalb gehört zum Alltagsleben der Europäischen Union das Vorhandensein solcher Diskussionen beziehungsweise die Verfahren zur Klärung der Diskussionen, es gibt auch viele davon, jedes Land hat mehrere Dutzend. Das sind eher fachliche Fragen. Die von Ihnen erwähnten Angelegenheiten stellen eine andere Gruppe der Pflichtverletzungsverfahren dar, zum Beispiel das ungarische Zivilgesetz, bei dem man schon von Weitem riechen kann, dass dies politische Angelegenheiten sind. Diese haben also in Wirklichkeit nichts mit dem Grundlagenvertrag zu tun, das hier sind derartige Pflichtverletzungsverfahren, von diesen gibt es wenige, jedoch gibt es einige, und nicht nur im Fall Ungarns, mit denen die Brüsseler Bürokraten den Mitgliedsstaaten Kompetenzen entziehen oder ihnen etwas aufzwingen wollen. Sie wollen den Mitgliedsstaaten irgendwelche politischen Entscheidungen aufzwingen, und dazu wählen sie ein juristisches Mittel. Wenn man nun die Eingabe der Brüsseler Bürokraten im Zusammenhang mit dem ungarischen Zivilgesetz liest, dann kann man nur sagen, dass darüber überall in Europa gelacht wird. Ein vernünftiger Jurist nimmt das doch nicht einmal in die Hand, weil er sie sich verbrennt, es riecht also derart deutlich, dass dies ein auf politische Bestellung angefertigtes Dokument ist, es beinhaltet dermaßen an den Haaren herbeigezogene Argumente, dass es von einem Juristen mit entsprechender Ernsthaftigkeit ohne zu lachen nicht einmal zur Debatte gestellt werden kann. Dies ist also dermaßen lächerlich, dass man damit nichts anfangen kann.

Aber welche Passage ist lächerlich? Hier steht zum Beispiel, dass das Gesetz in grundlegende Rechte eingreift, es verletzt das Recht auf die Freiheit der Vereinigung, das Sammeln von Spenden wird erschwert, sie sind nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu versehen.

Aber Verzeihung! Das sind doch lächerliche Dinge. Es geht darum, dass wenn jemand aus dem Ausland Geld annimmt, dann muss man dies angeben. Punkt. Was verletzt das?

Nun, zum Beispiel hat es eine abschreckende Wirkung auf Spenden aus dem Ausland und es behindert den freien Fluss des Kapitals.

Der freie Fluss des Kapitals, das ist am lächerlichsten. Was haben denn die Spenden mit dem freien Fluss des Kapitals zu tun? Das sind lächerliche Dinge, davon rede ich, dies kann kein Jurist ernst nehmen.

Gut, dann haben Sie hiermit im Grunde darauf geantwortet, was für ein Argument in einem Monat vorgebracht wird.

Schauen Sie, wenn wir das akzeptieren würden, würden auch wir lächerlich werden, aber dies ist ein seriöses Land.

Dann werden Sie also in einem Monat vorbringen, dass dies lächerlich ist?

Natürlich! Was könnten wir sonst sagen?

Also kommt die Angelegenheit vor Gericht und dann wird Ungarn irgendetwas als Strafe zahlen?

Die Frage ist, wie lange Brüssel dieses – wie soll ich es ausdrücken? – „Zum-Allgemeinen-Gespött-Werden“ aushält. Wenn sie es wollen…

Brüssel hält dies ganz gut aus, so scheint es. Im Zusammenhang mit den Zivilen oder der CEU…

Ich sehe das anders.

Sie sehen das anders?

Natürlich! Die gesamte Europäische Union hat Probleme, weil die dortigen führenden Politiker und die Bürokraten solche Entscheidungen treffen. Die Menschen unterstützen das Ideal der ganzen Europäischen Union. Aber die Führung der EU können sie nicht ausstehen, und der Grund dafür ist, dass die Mitgliedsstaaten mit solchen Dingen insultiert, beleidigt werden, und sie ihre Macht missbrauchen, das sieht in Europa ein jeder. Deshalb besitzt die europäische Führung keine Akzeptanz.

Was wird mit dem CEU-Gesetz? Da ist ja eine seltsame Situation entstanden, denn die Angelegenheit ist nicht fortgeführt worden, aber in einigen Wochen müssen Sie die vorgebrachte Kritik beantworten, zugleich ist die CEU mit einer amerikanischen Universität übereingekommen, das heißt sie entspricht jetzt schon den ungarischen Rechtsvorschriften, trotzdem hat Brüssel ein Problem. Was wird jetzt eigentlich geschehen? Die eine Frage ist die, ob die CEU weiter tätig sein darf, nachdem es ihr gelungen ist, diese Vereinbarung abzuschließen, und die andere Frage ist die, was für eine Antwort Brüssel erhalten wird? Dass es lächerlich ist?

Der Ausgangspunkt ist der, dass die Gesetze in Ungarn von jedermann eingehalten werden müssen, selbst von den Milliardären, selbst von den Staatsbürgern mit doppelter amerikanisch-ungarischer Staatsbürgerschaft, und auch von den von ihnen finanzierten Organisationen. Hierin kann Ungarn nicht nachgeben. Das ist die verfassungsmäßige Grundlage unseres Lebens, die Gesetze müssen also eingehalten werden. Dies ist eine komplizierte Angelegenheit, die auch Sie hier beschrieben haben, und diese befindet sich gegenwärtig auf der Ebene der Experten.

Also dann ist dies, dass man die Gesetze einhalten muss, auch die Botschaft an jene, die den zivilen Ungehorsam gewählt haben?

Selbstverständlich. Die ungarischen Gesetze sind eindeutig. Wenn jemand die Gesetze nicht einhält, dann knüpft das ungarische Rechtssystem alle möglichen Sanktionen daran, und diese muss der auf sich nehmen, der die Gesetze verletzt. Schauen Sie, ich bin ein friedlicher Mensch und die Gesetze sind nicht dazu da, um mit ihnen zu drohen. Das Gesetz basiert auf der Einsicht. Alle Gesetze aller Länder bauen darauf auf, dass die gewählten Abgeordneten, die wir aus dem Grunde wählen, damit sie die unser Leben regulierenden Gesetze erstellen, dies auch machen, die Arbeit verrichten und dies auch mit den Bürgern über einen längeren Zeitraum abstimmend versuchen, diesen deutlich zu machen, dass dies Gesetze sind, die unseren gemeinsamen Interessen dienen. Das Gesetz ist keine Drohung, das Gesetz ist die auf das Ideal des Einsichtigmachens aufbauende Regel. Aber wenn wir es dann einmal vorschriftsmäßig angenommen haben, so wie es die Verfassung vorschreibt, dann gilt es für uns alle, dann muss man es einhalten. Ich sage es allen, halten wir die Gesetze ein und es wird kein Problem geben.

Auch das Europäische Parlament hält es gut aus, um bei dem vorigen Beispiel zu bleiben, denn sie haben jenen Beschluss angenommen, der das Inkrafttreten von Paragraph sieben des Grundlagenvertrages vorschlägt. In Ungarn haben wir diesen Paragraph sieben in den vergangenen Jahren ziemlich oft erwähnt, ein jeder weiß, worum es in ihm geht. Vereinfacht geht es im Grunde darum, dass wegen der Verletzung der Grundprinzipien der Europäischen Union in Ungarn die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie verletzt werde, man müsse damit aufhören, die Migranten in Transitzonen zu sperren, über das CEU- und das Zivilgesetz haben wir gesprochen, man müsse die nach Ungarn kommenden Gelder der Union wegen der verbreiteten Korruption strenger kontrollieren. Womit rechnen Sie am Ende dieser Verfahren?

Auch neulich war eine Delegation aus Europa oder aus Brüssel hier, die die Investitionen in Ungarn kontrolliert und dann festgestellt hat, dass diese durchgeführt worden sind, sie existieren. Ungarn sticht in keinerlei Sinne hervor, weder in positivem noch in negativem Sinn, obwohl ich mich freuen würde, wenn es positiv hervorstechen würde, aber das tut es auch unter den anderen europäischen Ländern nicht. Im Großen und Ganzen laufen die Dinge bei den Investitionen auch in Ungarn so wie anderswo. Was darüber hinausgeht und was auch Sie hier zitiert haben, dass sind Angriffe politischen Charakters. Ich möchte nicht frech sein, aber offensichtlich geht es darum, dass sich die Abgeordneten mit irgendetwas beschäftigen müssen, während wir auch an ihrer Stelle Europa verteidigen. Und sie beschäftigen sich damit, jene, die im Übrigen Europa verteidigen – nun, ich würde nicht einmal sagen ernsthaft – anzugreifen, denn wir schütteln das ab, wie der Hund das Wasser, aber uns von hinten am Rockschoss zu zerren. Während im Übrigen wir hier, unsere Soldaten und Polizisten bewaffnet an der Grenze stehen und versuchen, die illegal nach Europa hinein wollenden, für die öffentliche Sicherheit sowie die Sicherheit des menschlichen Lebens und Eigentums eine Gefahr darstellenden, des Terrorismus verdächtigen Personen zu erwischen, auszusondern, aus Europa hinauszuwerfen. Während wir diese Arbeit verrichten, stellen sie sich dort in der Sicherheit zimperlich an. Dies ist ein weiteres offensichtliches Fiasko der Europäischen Union.

Wenn ich es also gut verstehe, dann wird im folgenden Zeitraum die Antwort auf die seitens der Europäischen Kommission und dem Parlament kommenden Kritik die Antwort sein, dass die Hunde bellen, aber die Karawane weiterzieht.

Wir pflegen nicht derart respektlos mit den erhabenen…

Sie haben vorhin ja recht kräftig formuliert.

…mit den erhabenen europäischen Bürokraten zu sprechen, aber die Situation ist die, dass es eine ungarische Verfassung gibt, die Menschen in Ungarn haben eine klare Meinung, hinzu kommt noch, dass wir sie um ihre Meinung fragen, also besitzen wir in solch kontroversen Angelegenheiten einen Kompass, den wir von den Bürgern, den ungarischen Menschen zu erhalten pflegen, und dementsprechend verrichten wir unsere Arbeit. Und wir haben im vergangenen Zeitraum eine wichtige Sache vollbracht, wir haben ein sich unter der Oberfläche befindliches, versteckt agierendes Netzwerk, das Netzwerk von George Soros an die Oberfläche gebracht, und wir werden jeden Tag beweisen, welche Zusammenhänge existieren. Da ist diese Kommission, über die Sie gesprochen haben, die dann einen Bericht über Ungarn anfertigen wird. Das sind alles Leute von Soros. Sie stehen ja auch auf der öffentlichen Liste, die man auch in der internationalen Presse lesen konnte, wer die zuverlässigen Verbündeten von Soros sind. Sie fressen ihm aus der Hand. Sie werden einen Bericht anfertigen, in dem es darum gehen wird, dessen Schlussfolgerung sein wird, dass es besser wäre, wenn es keinen Zaun gäbe, es besser wäre, wenn wir die Flüchtlinge und die Migranten hereinlassen würden, es besser wäre, wenn wir ihnen Geld gäben, es besser wäre, wenn wir sie verteilen würden. Wir haben es an die Oberfläche gebracht, dass ein Soros-Plan existiert, was übrigens der Verfasser selbst ja auch zugegeben hat, weshalb es kein so großes Bravourstück war, dies an die Oberfläche zu bringen, aber wenigstens haben wir es in den Mittelpunkt des politischen Lebens gestellt. Jetzt sprechen wir darüber. Von hier aus kann man die Dinge verstehen. Für die denkenden Menschen ist dies ein sehr nützlicher Kompass.

In Ordnung. Ein Artikel ist erschienen, mit George Soros als Verfasser, wir haben schon tausendmal darüber gesprochen. Im Juni sagte George Soros auch auf dem Brüsseler Wirtschaftsforum, dass die EU auf Ungarn und Polen im Interesse der Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit Druck ausüben müsse.

Sieh an.

Seiner Ansicht nach lässt hoffen, dass die Institutionen der EU energisch auf die Herausforderungen in Ungarn reagiert haben.

Sieh an.

Und seiner Ansicht nach ist es ein Anlass zur Hoffnung, dass die Auszahlung der Kohäsionsfonds an die Rechtsstaatlichkeit gebunden würde.

Sieh an.

In Ordnung, dies ist bisher nur eine Äußerung. Warum wird dies im Europäischen Parlament…

Nun, dies geschieht.

Nun gut, auch die Financial Times veröffentlicht Kommentare…

Aber Verzeihung, dies geschieht. George Soros hat sich also nicht geäußert, sondern er hat einen Plan mitgeteilt. Nur erinnern wir uns nicht mehr an diese Dinge von vor zwei Jahren, weil seitdem soviel geschehen ist. Der Ausgangspunkt der Sache war, als die Diskussion zwischen Brüssel und Ungarn begann, da habe ich einen aus mehreren Punkten bestehenden Plan veröffentlicht, in dem es darum ging, wie man Europa verteidigen müsste. Ich habe der EU Vorschläge gemacht. Als Antwort hierauf hat George Soros einen anderen Plan, genauso wie ich in Punkte gegliedert, veröffentlicht, wo er plangemäß niedergeschrieben hat, was man machen muss. Jetzt können natürlich die Brüsseler sagen, dass sie sich nicht für das schriftstellerische Schaffen von George Soros interessieren – was natürlich als Behauptung durch die Tatsache etwas geschwächt wird, dass sie ihn aus irgendeinem geheimnisvollen Grund regelmäßig empfangen und mit ihm konsultieren, aber die Geschehnisse, das, was im wirklichen Leben geschieht, das schreitet genau dementsprechend voran, wie dies George Soros veröffentlicht hat. Es lohnt sich jetzt nicht, unsere Köpfe in den Sand zu stecken, – wie soll ich mich also ausdrücken – zufällige Zusammenhänge anzunehmen, wo dies eine planmäßige Sache ist. Es gibt eine Idee, man hat in Punkte gesetzt bestimmt, aus welchen Schritten sie besteht, wie sie vollstreckt werden muss. Und natürlich sagen sie, dass sie in Brüssel nichts mit dieser Idee zu tun haben, aber wie auch immer, genau das geschieht im wirklichen Leben. Jetzt ist die Frage, ob wir Armleuchter sein wollen, da sie uns für Deppen halten, oder wir machen unseren Mund auf und sagen: „Leute, Ungarn ist nicht das Land der Deppen, denen man alles weismachen könnte, dass man so tun könnte, als würden die Dinge zufällig geschehen.“, und wenn wir dann das tatsächliche Leben betrachten, dann sehen wir genau das, was wir übrigens schon früher gedacht hatten, dass es geschehen würde. Wir sind keine Armleuchter, dies ist ein Land, mit seriösen Menschen, einer ernsthaften Geschichte, horribile dictu mit einer seriösen Regierung, deren Aufgabe es ist, zu verstehen, was geschieht. Und wir verstehen, was geschieht. George Soros hat Menschen gekauft, hat Organisationen gekauft, er lässt sie aus seiner Hand fressen. Brüssel steht unter seinem Einfluss und in der Einwanderung genannten Angelegenheit vollstreckt die Brüsseler Maschinerie seinen Plan. Sie wollen der Zaun abbauen, wollen die Einwanderer zu Millionen hereinlassen und wollen sie obligatorisch verteilen. Und wer nicht gehorcht, den wollen sie bestrafen. Sehen Sie es denn nicht?

Ihre Meinung ist ziemlich bestimmt. Wozu ist in diesem Kontext die Nationale Konsultation nötig?

Sie sehen ja, in welchen Kämpfen wir stecken. Die Situation bietet sich also so dar, dass wenn Ungarn seine Interessen verteidigen will, dann muss das in Brüssel ein jeder spüren, dass der zu einer Meinungsäußerung bereite Teil der ungarischen Nation sich in großer Mehrheit auf die Seite jener Interessen stellt, die ich als nationale Interessen bezeichne, die auch die Regierung vertritt, und die wir in Brüssel verteidigen wollen.

Ist dies eine Masche im Wahlkampf?

Gibt es ihn?

Gibt es ihn nicht?

Der ist noch in weiter Ferne.

Man pflegt zu sagen, wenn man sein Amt besetzt, beginnt der Wahlkampf schon.

Na ja, wenn wir es so betrachten, dann ist das Leben des Politikers ein einziger Wahlkampf.

Wenn ich die ungarische Innenpolitik betrachte, dann scheint es ihn zu geben.

Aber der Wahlkampf ist eine ernsthaftere Sache als das, was jetzt geschieht, glaube ich. Der Wahlkampf ist seitens der Teilnehmenden eine konzentrierte, organisierte und überlegte Aufwendung von Kraft. Das sehen wir heute noch nicht.

Es gibt ihn also jetzt nicht. Gut, ich wollte dies für das Ende lassen, die ungarische Innenpolitik, wir werden dann bei dem Teil über den Wahlkampf hierauf zurückkommen. Doch sprechen wir noch einige Sätze darüber, ob Sie das, was Sie jetzt im Zusammenhang mit dem Soros-Plan formuliert haben, auch auf dem letzten Unionsgipfel in Tallinn zur Sprache brachten oder ob dies auf jenem Treffen am 18. Oktober der V4-Staaten mit Jean-Claude Juncker zur Sprache kommen wird. Wird es dieses Treffen überhaupt geben?

Schauen Sie, ich bringe es immer dort zur Sprache, wo das einen Sinn hat. Aber ich möchte auch nicht in die Rolle eines unglücklichen Armleuchters herabsinken, der ständig und immer manisch die gleichen Dinge wiederholt. Ich bringe das dort, wo es Gewicht und Bedeutung hat, vor. Dort, wo man dies mit der entsprechenden Würde, auf eine Ungarn würdige Weise vertreten kann, dort sage ich dies immer. Aber dies kennt im Übrigen ein jeder, ich glaube also nicht, dass ich irgendeinem europäischen Ministerpräsidenten neue Informationen bieten würde, wenn ich immer und immer wieder darlege, was ich ansonsten über die Frage der Einwanderung denke. Wir wollen zu keinem Einwanderungsland werden, und sie sind solche, das haben sie entschieden, wir respektieren das. Aber warum wollen sie uns das aufzwingen? Die ungarische Position ist derart einfach. Das Treffen mit Juncker wird, meiner Ansicht nach, zustande kommen, also am Vorabend des nächsten Brüsseler Gipfels werden die Ministerpräsidenten der Visegráder Vier ein freundschaftliches Gespräch mit Jean-Claude Juncker führen.

Freundschaftliches Gespräch? Sie lächeln geheimnisvoll, das sehen die Hörer nicht. Die Pressemeldungen berichten darüber, dass es eher ein Abendessen der Befriedung sein wird.

Wir werden sehen.

Also ist auch dies im Rahmen des Möglichen.

Seien wir optimistisch.

Setze wir also mit jenem Plan oder jenen Vorstellungen fort, die aber mit Sicherheit in Tallinn vorkamen, dies sind die Reformvorstellungen über die Union. Dies betraf teilweise das, was Sie jetzt erzählt haben, und ich nehme an, diese hängen miteinander zusammen. Als Sie sich angehört haben, was der französische Präsident dort vortrug, oder Sie sich die Gedanken von Angela Merkel angehört oder sich die westeuropäischen Politiker gegenseitig auf die Schulter geklopft haben, dass dies die Richtung sei und das Europa der zwei Geschwindigkeiten komme, was haben darauf eigentlich die V4, die Visegráder gesagt?

Wir haben nichts besonders wichtiges gesagt, da wir uns in der Diskussion über die Zukunft Europas bereits mit zwei ernsthaften und schwerwiegenden Dokumenten gemeldet hatten, und verglichen mit diesen haben wir nichts Neues zu sagen. Die Visegráder Vier haben sich in den vergangenen Jahren zweimal mit der Zukunft Europas beschäftigt. Wir haben unseren Standpunkt niedergeschrieben, haben dies veröffentlicht und auch nach Brüssel gesandt. Wir haben also einen gültigen Standpunkt. Wir haben uns jetzt die Vorstellungen einiger anderer führender europäischer Politiker angehört. Schauen Sie, mein Standpunkt ist, dass es immer nützlich ist, über die Zukunft Europas zu diskutieren. Dies ist eine auch intellektuell spannende Frage, dabei geht es um unser Leben, das ist unser Kontinent, das ist unser Zuhause, keiner einzigen Nation ist die gemeinsame Zukunft der europäischen Nationen gleichgültig. Das ist in Ordnung. Nur mache ich auf diese Weise immer darauf aufmerksam, dass wir bereits Ergebnisse erreicht haben, und wie es denn wäre, wenn wir zuerst diese verteidigen würden? Hier ist zum Beispiel Schengen. Das ist eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Jetzt spinnen wir gewaltige Pläne für die Zukunft, und zugleich zerfällt das Schengen-System zwischen unseren Fingern zu Staub. Anstatt die Außengrenzen zu verteidigen, was die Voraussetzung für die freie Bewegung innerhalb Europas ist, verteidigen wir die Außengrenzen nicht, abgesehen von Ungarn. Jene Mitgliedsstaaten, die ihre Außengrenzen nicht schützen, zwingen wir nicht dazu, dies zu tun, stattdessen werden innerhalb Europas Zäune und Grenzen errichtet. Wir haben am Anfang gesagt, wenn wir die Außengrenzen nicht verteidigen, wenn wir außen keine Zäune bauen, dann werden die Mitgliedsstaaten zwischeneinander Zäune hochziehen. Jetzt liegt der Vorschlag auf dem Tisch, dass die Mitgliedsstaaten das Recht haben sollen, innerhalb des Schengen-Raums für drei Jahre – also nicht so wie bisher, für sechs Monate in außergewöhnlichen Fällen, sondern für drei Jahre – die Grenzkontrollen wieder einzuführen, wenn es sein muss auch mit physischen Grenzbarrieren. Wir zerschlagen gerade jetzt Schengen. Während wir über die Zukunft Europas sprechen, hört die größte Errungenschaft vor unseren Augen auf zu existieren. Ich bitte die führenden europäischen Politiker immer darum, dass wir wenigstens das, was wir schon erreicht haben, verteidigen sollen. Das gleiche gilt auch für die Entsendung, also die Frage des Arbeitens in anderen Staaten, was die Bürokratensprache in Brüssel „posting“ nennt. Es gibt die freie Bewegung der Arbeitskräfte in Europa, die wir gerade jetzt wieder einschränken. Während wir also über große Pläne reden, mit breiten, ich könnte auch sagen südlichen Gesten großangelegte Pläne skizzieren, weichen wir ständig und machen Rückschritte in den tatsächlichen Detailfragen.

Ja, aber hierauf sagte zum Beispiel im Zusammenhang mit den Schengener Grenzen der dafür zuständige Unionskommissar, dass wir einerseits eine außergewöhnliche Lage haben und andererseits man auf diese Weise effektiv mit den Herausforderungen des Terrorismus umgehen kann.

Nein, man kann mit ihnen auf die Weise effektiv umgehen, indem wir die Außengrenzen Europas schützen. So muss man damit umgehen.

Sprechen wir über Ihre Rundreise in Siebenbürgen. Sie sagen, es gebe keinen Wahlkampf. War auch das kein Wahlkampf?

Wenn Sie behaupten wollen, dass dieser arme Luther unter Beachtung des ungarischen Wahlkampfes den Zeitpunkt gewählt hat…

Das wollte ich nicht sagen.

…um seine Thesen am Tor in Wittenberg anzuschlagen, und es so eingerichtet hat, dass der fünfhundertste Jahrestag der Reformation zeitlich genau mit dem Wahlkampf, dem ungarischen Wahlkampf übereinstimme, dann würde ich das als übertrieben empfinden.

Auf diese Weise hört sich das tatsächlich übertrieben an. Engen wir dann den Kreis ein bisschen ein, damit es keine derartige Übertreibung ist. Die Schulfrage in Marosvásárhely, die Angelegenheit des ukrainischen Sprachgesetzes. In welcher ist es Ihnen gelungen, einen tatsächlichen Fortschritt zu erreichen?

Das wird die Zeit entscheiden, das sind schwierige, komplizierte und verworrene Verhältnisse. In dieser Ecke der Welt ist es nicht Gang der Dinge, dass wir uns gegenseitig die Hand geben, über irgendetwas übereinkommen und das wird dann einfach so eingehalten, sondern es gibt ständig ein Hin-und-Her. Es ist schwer, sich in diesen Angelegenheiten zurechtzufinden. Ich suche jene Menschen, in denen ich den guten Willen, die Ehrhaftigkeit und die Zuverlässigkeit sehe, um zu versuchen, mit ihnen irgendwie übereinzukommen, damit wenigstens die interpersonellen Vereinbarungen irgendeine Garantie darstellen. Jetzt habe ich den Eindruck, dass wir in Rumänien in dieser Hinsicht weiter sind als wir es waren, da es dort gelungen ist, mit dem Vorsitzenden der regierenden Partei ein persönliches Verhältnis aufzubauen, das Hoffnungen für die Zukunft zu beinhalten scheint. Auch hier formuliere ich noch unsicher, wir müssten uns noch zwei-dreimal treffen, man müsste einige rumänisch-ungarische Angelegenheiten ernsthafter durchsprechen und dann könnte ich mit größerer Sicherheit formulieren. Aber ich habe das Gefühl, dass ich dort mit dem Vorsitzenden der regierenden Partei etwas aufbauen kann. In der Ukraine ist die Situation eine andere. Mit der Ukraine stehen wir vorerst an dem Punkt, dass wir lieber versuchen, die Kooperation der Länder zu erschaffen, deren Minderheiten eine juristische Benachteiligung erleiden mussten, denn hier sind nicht nur die Rechte der Ungarn verletzt worden, sondern die der Rumänen, der Bulgaren, auch der Griechen und der Polen sowie der Slowaken. Wir versuchen also eine gemeinsame Position der Europäischen Union zu etablieren, woraus die Ukrainer es verstehen. Wir wollen nicht drohen, wir wollen nicht bestrafen, sondern wir wollen ihnen klarmachen und möchten, dass sie einsehen: Es ist unmöglich, dass – während sie an ihrer Ostgrenze sich mit Russland im Kriegszustand befinden oder es zumindest Grenzkonflikte gibt, ihre Wirtschaft Probleme hat, sie auf niemandem außer der Europäischen Union zählen können, sie orientieren sich ja auch in diese Richtung, sie wollen mit uns leben, wollen mit uns kooperieren – sie gleichzeitig von den Minderheiten, ganz gleich, um welche Minderheit es sich handelt, nicht nur um die ungarische, von dem bereits erreichten Niveau des juristischen Schutzes etwas zurücknehmen, zurücktreten und etwas wegnehmen. Hinzufügen kann man immer, und auch ergänzen, aber wegnehmen, das kann man nicht. Wer von den Rechten etwas wegnimmt, von den Rechten der Minderheiten, der kann sich der EU nicht annähern und auch wir können sie hierbei nicht unterstützen. Dies einzusehen bitten wir unsere ukrainischen Freunde, und bitten sie, eine Lösung für diese Lage zu finden.

Nun, offiziell gibt es zwar noch keinen Wahlkampf in Ungarn, aber es gibt ein ziemlich großes Gerangel unter den Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten.

Ja, jetzt verstehe ich, was Sie irritiert hat.

Mich hat nichts irritiert.

Doch! Es hat Sie irritiert, dass es auf einmal so viele Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten gegeben hat, ihre Zahl dermaßen angestiegen…

Meiner Ansicht nach hat die Zahl der Ministerpräsidenten-Kandidaten viele Menschen irritiert.

Ja, aber nur weil plötzlich viele Ministerpräsidenten-Kandidaten auftauchen, wie Pilze nach dem Regen, daraus folgt nicht, dass der Wahlkampf beginnt, denn die Regierung hat vorerst keine Möglichkeit am Wahlkampf teilzunehmen, weil sie arbeiten muss. Es ist uns nicht möglich, sechs Monate vor den Wahlen mit dem Wahlkampf zu beginnen. Es gibt ernsthafte Angelegenheiten des Landes. Man muss es zum Beispiel schützen, man muss die öffentliche Sicherheit aufrechterhalten, die Familien müssen unterstützt werden, die Steuern möglichst gesenkt werden, man muss den Menschen die Chance geben, voranzukommen, wir müssen für die Anhebung der Löhne arbeiten. Es gibt also gewaltig viel Arbeit, die verrichtet werden muss. Wir haben keine Zeit, uns mit dem zu beschäftigen, womit sich die wie die Pilze vermehrenden Ministerpräsidenten-Kandidaten gegenseitig und die öffentliche Meinung amüsieren. Den Wahlkampf wird es dann geben, wenn die Regierung, ich nehme an, etwa drei Monate vor den Wahlen, zwei und halb, drei Monate davor, sagen wird: „Meine Herren, wir haben die vierjährige Regierungsarbeit verrichtet, sind von hier nach da gelangt, jetzt beginnen wir also eine Kampagne, und schauen wir uns an, wer das Vertrauen der Ungarn verdient.“ Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Sagen wir, es ist auch nicht der richtige Ausdruck, dass die Zahl der Ministerpräsidenten-Kandidaten zugenommen hat, denn gerade der eine wichtige Herausforderer ist entfallen.

Aber trotzdem werden es irgendwie immer mehr. Sehen Sie das nicht so?

Zahlenmäßig nehmen sie zu, aber einer Ihrer Hauptherausforderer ist nun ausgefallen.

Wessen Herausforderer?

László Botka. Galt er nicht als der Hauptherausforderer? 

Ich sagte ja gerade jetzt, ich versuche zu sagen, dass wir arbeiten. Uns kann man nicht herausfordern, weil wir vorerst arbeiten. Wenn die Regierungszeit zu Ende geht, und das dauert noch zwei-drei Monate, dann werden wir über Herausforderung, Wettbewerb, Gerangel, Kampagne, Geschrei sprechen können. Jetzt muss man sich noch auf die Arbeit konzentrieren.

Wir werden dann im Zeitraum des offiziellen Wahlkampfs dann hierauf zurückkommen. Was denken Sie darüber, dass das Zentrum für Grundrechte gesagt hat, die Staatsanwaltschaft könne die Auflösung der Jobbik-Partei beantragen, wenn die Partei nicht mit dem Staatlichen Rechnungshof zusammenarbeitet?

Schauen Sie, ich möchte das lieber nicht in den politischen Raum integrieren. Das ist eine technische, eine juristische Frage. Es gibt eine Vorschrift, die vorschreibt, wie man die Wirtschaftsführung der Parteien kontrollieren muss und welche Verpflichtungen die Parteien in dieser Frage besitzen. Ich wiederhole, die Gesetze müssen eingehalten werden, und dann gibt es kein Problem. Ich möchte das aber nicht zu einer politischen Frage machen, dies ist eine technische, eine finanzielle, eine juristische Frage, eine Frage der Kontrolle.

Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.