Viktor Orbáns Interview in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
28. Oktober 2016.

Es ist drei Minuten nach halb acht, Sie hören die Sendung „180 Minuten“, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen! Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Guten Morgen!

Wir haben uns seit dem Unionsgipfel nicht mehr unterhalten, bei dem Sie damit gerechnet hatten, die Quote würde von der Tagesordnung verschwinden. Bevor wir uns hierüber unterhalten würden, verraten Sie uns bitte, wie eigentlich hinter den verschlossenen Türen die Gespräche ablaufen, wenn die Journalisten, die Fotografen verschwunden sind. Argumentiert dann jeder, haut man auf den Tisch? Wie sieht das aus, wie ist überhaupt die Stimmung? Es ging doch um ziemlich kontroverse Themen.

28 Ministerpräsidenten sitzen um einen Tisch herum. Sehr viele, ich kann ruhig sagen, mehrere hundert Menschen arbeiten vor der Sitzung, um die Beratung selbst vorzubereiten. Wir nennen diese Menschen Sherpas, also Lastenträger, die in der letzten Phase diese Gipfeltreffen vorbereiten. Wir wissen Monate im Voraus, welche jene zwei-drei Themen sind, über die zu sprechen es die zeitlichen Beschränkungen überhaupt zulassen. Zuletzt gab es ja im Grunde genommen auch drei ernsthafte Fragen. Eine war die Migration, aber es gab auch Russland und auch andere Fragen. Und über diese drei Fragen stimmen sich mehrere Hundert Experten der 28 Mitgliedsstaaten über Monate ab. Wenn es neue Entwicklungen gibt, dann stehen natürlich keine Monate, sondern nur Wochen zur Verfügung, manchmal nur Tage, aber sie verrichten eine gewaltige Arbeit. Und noch vor der Beratung wird eine Version des Abschlussdokuments angefertigt, die „Gattungsbezeichnung“ dieses Abschlussdokuments lautet Schlussfolgerungen, an welchen Punkt die 28 europäischen Ministerpräsidenten gelangt sind. Und bei der Zusammenstellung des Textes entsteht der Kompromiss, die Vereinbarung, die jener Text ist, in den sich alle 28 Länder hineindenken, das heißt ihn akzeptieren können. Und diesen Text, dieser Text liefert das Apropos, wenn das Gespräch beginnt. Also jeweils ein Tagesordnungspunkt beginnt damit, dass wir uns ansehen, was der Text enthält, was seine wichtigsten Behauptungen sind und wer hierüber was denkt. Wir, die V-4, der polnische, tschechische, ungarische und slowakische Ministerpräsident, pflegen das so zu machen, dass wir die Themen im Allgemeinen unter uns aufteilen, denn die V4-Staaten besitzen einen jeweiligen amtierenden Jahrespräsidenten, im nächsten Jahr werden wir das sein, und wenn wir einen gemeinsamen Standpunkt besitzen, in den schwerwiegenden Angelegenheiten haben wir im Allgemeinen solch einen, dann stellt ihn der uns führende, der uns im jeweiligen Jahr gerade vertretende Ministerpräsident, V4-Ministerpräsident vor. Und dann entscheidet jeder, ob er noch etwas dazu sagt oder nicht. Es gibt Dinge, zu denen wir uns äußern, und wir halten es für das Protokoll fest, wie der ungarische Standpunkt lautet, und es gibt Momente, in denen es nicht notwendig ist, sich zu äußern. In der Migrantenangelegenheit muss ich mich immer zu Wort melden, muss Wesentliches sagen, denn schließlich bin ich der „mit den schwarzen Füßen“, der eine andere Politik gestartet hat, als es jene war, über die früher allgemeiner Konsens bestand oder solcher zu bestehen schien. Denn früher, noch zu Beginn der Flüchtlingskrise, der Migrantenkrise strebte ein jeder ausschließlich danach, ein guter Mensch zu sein. Es ist also nur eine einzige Dimension zur Geltung gekommen, nämlich dass es irgendwo am anderen Ende der Welt Menschen gibt, die Probleme haben, die von dort weggehen wollen, und ein anständiger Mensch hilft. Dies war die Grundsituation, von der wir ausgegangen sind. Und niemand hat die Frage gestellt: „Gut-gut, aber wer sind diese Menschen? Sind sie wirklich auf Hilfe angewiesen? Welche Risiken birgt es, wenn wir sie hereinlassen? Kennen wir sie überhaupt? Was wollen sie in Wirklichkeit? Und: Wo ist das Ende des Ganzen?“ Diese Fragen hat Ungarn zuerst auf den Tisch gelegt, deshalb melde ich mich immer, wenn Flüchtlinge, Migrantenfrage, Einwanderungsfrage auf der Tagesordnung stehen, mit dem notwendigen Gewicht zu Worte und ich muss mich auch äußern.

Spüren Sie auf diesen Beratungen den Druck, dass eine Entscheidung getroffen werden muss? Sieht man den führenden Politikern der Union diese Spannung an?

Ich würde vielmehr sagen, man spürt, dass wir sehr verschiedene Interessen haben, nicht nur auf zweierlei Art, sondern auf mehrere Weise. Nun ist die Lage, die Ausgangslage der Länder sehr unterschiedlich. Hier sind zum Beispiel Italien und Griechenland. Dies sind bekanntlich zwei problematische Länder. Denn sie sind nicht in der Lage, die Außengrenze zu verteidigen. Es wäre also aufgrund des Schengenvertrages ihre Pflicht, zu garantieren, dass das Gebiet Europas über ihre Staatsgrenze hinweg ohne Erlaubnis, ohne Kontrolle, ohne einen berechtigten Anspruch niemand betreten darf. Nun, sie können diese ihre Pflicht nicht erfüllen. Es gibt also diese Ländergruppe, sie beide. Dann gibt es uns, es gibt die Kroaten, es gibt die Slowenen, ein bisschen auch die Rumänen, die den Teil des Balkan berühren, von wo die Migranten nach Norden kommen, die die Griechen nicht bereit oder nicht in der Lage waren, aufzuhalten. Also auch wir sitzen in einem Boot. Dann gibt es die V4-Staaten, die zwar an dem östlichen Ende der Europäischen Union liegen, jetzt kommen gerade in der Höhe des Baltischen Meeres keine Migranten, aber wer weiß, was dort passieren wird, es gibt also einen historischen und geographischen Grund, warum die V4-Staaten entlang einer ähnlichen Logik darüber denken, was sein wird, wenn sie als Länder an der Peripherie auf einmal mehrere hunderttausend Menschen am Hals haben. Und dann gibt es die Länder im Inneren, die Binnenländer, die im Grunde genommen wir verteidigen, die auch gar keinen Schutz der Außengrenzen durchführen müssen, die auch gar keine Grenze haben, nicht einmal über Grenzwächter verfügen – nun, ihre Lage ist eine ganz andere. Dann gibt es die reichen Länder, denn schließlich stellt es sich ganz am Ende der Geschichte heraus, dass ein jeder Migrant nicht wegen seiner Sicherheit hierher kommt, sondern in Hoffnung auf das bessere Leben, deshalb wollen sie nach Deutschland, Österreich und Schweden gehen. Dies sind die drei am ehesten als Zielpunkt festgelegten Länder, sie bewegen sich nun wiederum entlang anderer Interessen, es ist also ein großes Durcheinander, es gibt viele entgegengesetzte Interessen, es ist keine geringe Aufgabe, irgendeinen Kompromiss herzustellen.

Wenn Ungarn, die Republik Tschechien und die Slowakei eine moralische Lektion über die Migranten erteilen, aber danach nicht helfen und nur unser Geld wollen, dann können sie das Geld der Italiener auch gleich vergessen – so formulierte der italienische Regierungschef, er sei bereit, selbst gegen den Haushalt der Europäischen Union sein Veto einzulegen, wenn die osteuropäischen Mitgliedsstaaten nicht bei der Aufnahme der Migranten helfen. Nun nehme ich an, es hat auf diesem Gipfel kein freundschaftliches Schulterklopfen mit Matteo Renzi gegeben.

Schauen Sie, wir sprechen über den früheren Bürgermeister von Florenz. Florenz war eine erfolgreiche Stadt, wir sprechen hier also über einen ehrwürdigen und seriösen Menschen, hinter dem tatsächliche Leistungen stehen, die ein jeder anerkennt. Die  italienische Politik ist im Übrigen ja auch ein sehr schwieriges Gelände, das italienische Volk ist ja eher wegen seiner Buntheit bekannt, und nicht wegen seiner Eintönigkeit, es ist nicht leicht, den Willen solch eines Volkes kennenzulernen, ihn zu formen, zusammenzufassen und es zu führen. Die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden sind gewaltig, diese innere Spannung ist dort tagtäglich spürbar. Sie haben ein Haushaltsproblem, nach Griechenland ist Italien das zweite am meisten verschuldete Land, also besitzt der italienische Ministerpräsident einen guten Grund, um nervös zu sein. Und ich verstehe dies auch. Und dann kommen ihnen auch noch diese vielen Migranten an den Hals, die tatsächlich wegen der Nähe der italienischen Küste zu Afrika am ehesten in Italien an Land gehen wollen. Doch ändert dies, dieses viele Verstehen und das Mitgefühl nichts an der Tatsache – hinzu kommt noch, dass sie jetzt auch noch die Erdbeben erleiden mussten, die Armen, so dass wir gute Gründe haben, über das italienische Volk solidarisch und freundschaftlich zu denken –, doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass sie eine Pflicht besitzen: Diese heißt Schengenvertrag. Nun ist man entweder innerhalb eines Vertragssystems und erfüllt seine Pflicht, oder man tritt aus. Die Lage ist nun die, dass sie auch drin sind, und auch ihre Pflicht nicht erfüllen. Man dürfte laut des Schengenvertrages über Italien nur registrierte, kontrollierte, erfasste, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit durchleuchtete Menschen auf die europäischen Gebiete hineinlassen, doch ist heute nicht dies die Situation.

 Nun gut, aber dies wäre eine unbegründete Last für die Italiener, oder eine unbegründete Last, über die wir sprechen, denn die italienische Küstenwache setzt sich weit über ihre eigenen Kräfte hinaus ein, und zwar so, dass im Übrigen die Frontex diese Aufgaben erfüllen müsste. Nun scheint diese Verstärkung, über die wir im Zusammenhang mit der Frontex sprechen, zwar schon begonnen worden zu sein, doch steckt sie vorerst noch in den Kinderschuhen. Also die italienische Küstenwache leistet Dinge weit über ihre Kräfte hinaus, in dieser Hinsicht allein…

Dies sagt auch der italienische Ministerpräsident, genauso wie Sie. Sie könnten also auch der Sprecher der italienischen Regierung sein, und siehe da, auch Ihre Meinung bestätigt…

Aber hat er Ihrer Meinung nach nicht darin Recht?

Nein, gar nicht, hinter dem italienischen Standpunkt stehen sehr wohl ernsthafte Argumente. Nun ist dies aber egal, denn die Situation ist die, dass es einen Vertrag gibt, und der muss eingehalten werden. Ungarn hat einen Zaun errichtet, hat dreitausend Polizisten eingestellt, also behaupte ich, dass diese Aufgabe nicht unmöglich ist. Sie ist schwer, aber nicht unmöglich. Nun stellen Sie zu Recht die Frage, ob Europa Italien die notwendige Hilfe leistet. Die Antwortet lautet, dass wir die nötige Hilfe nicht leisten.  Jetzt beginnen wir über die Frontex zu sprechen, die die gemeinsame Grenzschutzagentur der Europäischen Union ist, und wenn wir sie genauer betrachten, dann sehen wir, dass dort 1.500 Menschen arbeiten. Allein auf dem ungarischen Grenzabschnitt arbeiten Tag und Nacht 8.000! Wie könnten dann die 1.500 Leute der Frontex es mit den italienischen sowie den griechischen Problemen aufnehmen? Ich habe mir jetzt auch noch angeschaut, was diese Menschen, die in der Frontex arbeiten, machen. Jetzt vor einigen Tagen habe ich dies durchgesehen. Sie beschäftigen sich nicht mit dem Schutz der Grenze, dies sind Beamte zu Bearbeitung der Einreise, zur Passkontrolle, zur Abnahme von Fingerabdrücken, also sie werden von der Europäische Union deutlich erkennbar nicht dazu nach Italien und Griechenland geschickt, damit sie die Einwanderung sowie die Migration aufhalten sollen, sondern damit sie mit dem Problem umgehen und die legale, möglichst schnelle Einreise auf das Gebiet der Union unterstützen helfen. Dies beleuchtet – um auf Ihre erste Frage zurückzukommen –, worüber wir diskutieren, dies beleuchtet jene grundlegende Tatsache, dass es keine Übereinkunft darüber gibt, was das Ziel unserer Politik ist. Es gibt Länder, solch eines ist auch Ungarn, die sagen: Das Ziel unserer gemeinsamen Migrantenpolitik muss sein, die illegalen Einreisen zu beenden. Dies stimmt mit der Meinung von mehr als drei Millionen ungarischer Staatsbürger überein, die wir im Rahmen der Volksabstimmung zum Ausdruck gebracht haben. Also denkt die Gemeinschaft der neuen Einheit für Ungarn, dass Ziel und Sinn unserer Migrantenpolitik ist, die Hilfe dorthin zu schicken, und nicht die Probleme hierherzuholen; wir sollen also die Migranten aufhalten, es soll in Ungarn keine aus einer uns fremden Kultur kommende, große Migrantengemeinschaft geben. Dies müssen wir offen aussprechen. Dies ist unser Ziel, und es gibt noch einige solche Länder. Und es gibt Länder und auch Brüssel selbst, die dies nicht denken. Sie wollen den ganzen Migrationsprozess managen, regulieren, akzeptabel machen, ihn also nicht – im Gegensatz zu uns  – stoppen, sondern auf irgendeine Weise mit ihm zusammenleben, und diese Menschen hereinlassen. Nachdem es keine Eintracht hinsichtlich des Zieles gibt, gibt es von diesem Punkt an natürlich auch hinsichtlich der Mittel viele Konflikte, denn wenn ich ein Mittel für jeweils verschiedene Zwecke gebrauche, so wird dies zu verschiedenen Ergebnissen führen. Der wahre Grund für die fehlende Übereinstimmung, des sich seit Jahren, jetzt langsam schon seit zwei Jahren hinziehenden Hin- und- Hers, der Dissonanz, des Diskutierens ist, dass wir hinsichtlich des Zieles nicht miteinander übereinstimmen, da es sehr wohl Länder gibt, und hieran ist der italienische Ministerpräsident mitverantwortlich, er gehört zu diesem Kreis, die die Migration nicht aufhalten, sondern irgendwie mit ihr zusammenleben wollen.

Ich möchte keinesfalls die bisherige Arbeit der Staats- und Regierungschefs der Union  bagatellisieren, doch ist die Lage letztlich die, dass wir langsam seit zwei Jahren über die gleichen Probleme sprechen, und wenn es auch einen minimalen Fortschritt gegeben hat, wir werden dann gleich über die Türkei sprechen, so ist doch die Situation die, dass es niemanden gibt, der auf den Tisch haut, und sagt: „Kinder, diese Frontex ist in dieser Form ein Witz.“

Nun, es gibt niemanden solchen, denn ich, der ich dies im Prinzip sagen dürfte, muss aufgrund der Probleme mit der Größe mich mit der entsprechenden Bescheidenheit äußern, denn Ungarn ist ein Land mit zehn Millionen Einwohnern. Also hier sind alle gleichrangig, doch gibt es dort Länder, die dreihunderttausend Staatsbürger besitzen, und solche mit zwei Millionen. Ungarn ist ein Land von zehn Millionen, und Deutschland von 83 Millionen. Die Wahrheit ist also, dass zwar jeder hier eine Stimme besitzt,  jedoch ist das Gewicht des Wortes nicht identisch. Wir warten hier also darauf, dass die großen Spieler sich endlich entschließen, doch besteht das Problem gerade darin, dass die großen Spieler, die Akteure mit großem Gewicht, Dinge sagen, mit denen wir nicht einverstanden sind. Ich komme also im Gegenwind an und verlasse jedes Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten im Gegenwind.

Dann befindet sich die Europäische Union in einem unlösbaren Dilemma.

Ich wäre schon damit zufrieden, wenn ich die Sorgen Ungarns lösen könnte. Der ungarische Ministerpräsident hat also keine Ambition…

Es gibt also nur keine ungarische Lösung.

Und ob es die gibt. Auch jetzt haben wir diese.

Aber Ungarn ist also Teil der Europäischen Union, wenn das Problem verteilt wird, wenn die Quote zu einem ständigen Mechanismus wird…

Ja, aber das möchte ich nicht erlauben. Die Situation ist also die, dass das ungarische Interesse darin besteht, dass Ungarn – als am Schengen-Vertrag beteiligtes Land – diese Vereinbarung buchstabengetreu einhält. Dies tun wir, deshalb haben wir einen Zaun, den Grenzschutz, viele Polizisten und so weiter. Und wir verhindern jene Bestrebungen, die das Problem verteilen wollen. Das ist für keinerlei Krankheit eine gute Therapie, wenn wir von ihr auch dem Nachbarn etwas geben.

Sie haben Schengen erwähnt. Sprechen wir hierüber. Aus dem Bau des österreichischen Zauns kann man schon darauf folgern, dass man in Österreich ziemlich skeptisch hinsichtlich der Vereinbarung mit der Türkei ist, doch am gestrigen Tag haben im Wesentlichen alle Mitgliedsstaaten der Union hierauf geschlossen, denn sie haben diese Kontrollen an den Binnengrenzen entweder bestätigt oder verlängert. Haben Sie sich darauf vorbereitet, gibt es ein Drehbuch der Europäischen Union für den Fall, wenn die Vereinbarung mit der Türkei zerbröckelt?

 Die Situation ist die, dass der gestrige Tag nicht unser Tag in der internationalen Politik war. Denn es ist eine für Ungarn unvorteilhafte Entscheidung gefällt worden. Ich habe dies auf dem Gipfel in Brüssel zu verhindern versucht, aber ich habe mich gegenüber sehr großen Gegenkräften wiedergefunden. Ich habe empfohlen, wir sollten unseren Beschluss vom März einhalten. Im März haben wir gesagt, bis zur Mitte des November sollten wir zu den normalen Schengener Zuständen zurückkehren, was bedeutet, dass wir die Außengrenzen verteidigen sollen. Die inzwischen innen, innerhalb des Schengen-Raumes geschaffenen Grenzen, wie die an der österreichisch-ungarischen Grenze zeitweilig wiederhergestellten Kontrollen, diese sollten wir beenden. Dies haben wir im März entschieden. Aber jetzt haben die Großen, in erster Linie die Deutschen gesagt, dass nachdem die Außengrenzen nicht geschützt werden, deshalb kann man auch nicht auf die Binnengrenzen verzichten, also baten sie darum, dass die Union die Erlaubnis hierfür verlängern soll und soweit ich das sehe, ist dies gestern auch geschehen. Dies ist den ungarischen Interessen entgegengesetzt. Das ungarische Interesse wäre, dass die Griechen und die Italiener ihre Außengrenzen schützen, dann wären keine Binnengrenzen notwendig.

Nun, es mag sein, dass die Führer der großen Staaten meinen, dies sei die Lösung, doch die die Steuern zahlenden Staatsbürger der Europäischen Union haben davon genug. 250 tausend Menschen pendeln zum Beispiel aus Schweden nach Dänemark, wo man konkret der Regierung den Prozess machen will, weil ein derart großer Schaden aus den Grenzkontrollen entsteht. Aber wenn wir über die ungarische Situation sprechen, dann kann man nur auf die Spediteure verweisen. Wegen der unseligen Zustände in Richtung Großbritannien sind die ungarischen Spediteure immer häufiger gezwungen, die dortigen Bestellungen abzusagen.

Und die zwischen Österreich und Ungarn Pendelnden. Es sind sehr viele.

Und, da haben wir offensichtlich über Österreich noch gar nicht gesprochen.

Arbeitende Menschen bringen auch viel Geld nach Hause, sie sind also wichtige Akteure der ungarischen Wirtschaft, und sie nehmen zusätzliche Belastungen auf sich, denn im Ausland zu arbeiten ist aber eine schwere Sache. Es ist schwer, dort zu bestehen, am Morgen zu fahren, am Abend heimzukommen, und jetzt sehen sie sich wegen der Österreicher auch noch mit überflüssigen Hindernissen konfrontiert.

 Verfügen Sie im Übrigen über Schätzungen, dass man schon absehen kann, wie groß der wirtschaftliche Schaden ist? Auf der Ebene der Europäischen Union oder auf der Ungarns? Liegt ein Ersuchen auf Ihrem Tisch, dass es jetzt aber an der Zeit wäre, dies zu normalisieren?

Dies wird untersucht, doch ist bisher weder ein Zwischen- noch ein abschließender Bericht in dieser Sache entstanden.

Sprechen wir über die anderen Schäden, wirtschaftliche Schäden, weil gesagt wird, in Deutschland müssten dieses Jahr zwanzig Milliarden Euro aufgewendet werden, um die Migranten zu versorgen und ihnen zu helfen. Nun wird diese Summe die deutsche Wirtschaft sicherlich nicht zu Boden werfen, doch darin stimmen die Experten im Großen und Ganzen überein, dass das, was in Deutschland auf wirtschaftlicher Ebene passiert, sich schön auch in andere Richtung verbreitet. Nun sind die Zahlen der ungarischen Wirtschaft vergebens gut, wenn sie diesem Umstand langfristig ins Auge schauen muss.

 Nun, wir sprechen über eine Herausforderung, die jeden Bereich unseres Lebens berührt, es handelt sich also nicht einfach nur um eine Sicherheitsfrage, also dass dort, wo mehr Migranten sind, die Kriminalität ansteigt, es handelt sich nicht einfach nur um die Terrorgefahr, dass dort, wo es viele Migranten gibt, die Terrortaten zunehmen, und es geht nicht nur um die kulturelle Identität, dass dort, wo die Zahl der aus einer fremden Kultur ankommenden Gemeinschaften zunimmt, dort auch unsere Kultur in Gefahr gerät, sondern es handelt sich auch um eine tatsächliche wirtschaftliche Last. Es ist kein Zufall, dass wir in Ungarn vor einem Jahr eine Regel erlassen haben, die besagt, dass wer als Migrant nach Ungarn kommt und sich aus welchem Grund auch immer hier aufhalten darf, der muss hinsichtlich seiner täglichen Verpflegung in eine Kategorie mit den Ungarn gehören. Denn laut den internationalen Vorschriften hätten wir einem sich hier aufhaltenden Migranten viel mehr Hilfe leisten müssen als wir dies den sich unter sehr schwierigen, manchmal aussichtslosen Bedingungen befindlichen Ungarn leisten müssen. Dies wäre nicht gerecht, also haben wir so eine Regel erlassen. Hieraus ergab sich eine riesige Diskussion in Brüssel, auch hier waren wir einige Zeit jene mit den „schwarzen Füßen“, doch jetzt sehe ich, dass in immer mehr Ländern diese Regeln aufgestellt werden, weil es die Bürger erzwingen, denn es ist eine unmögliche Sache, dass die dort lebenden, zu jener Gemeinschaft gehörenden Eingeborenen von ihrem eigenen Staat eine geringere Unterstützung erhalten als die von irgendwoher ankommenden Fremden.

War es also zum Beispiel auf dem Brüsseler Gipfeltreffen ein Grund für Diskussionen oder ist es überhaupt zur Sprache gekommen, dass diese Situation schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben wird?

Nun, die Deutschen argumentieren damit. Auch die Argumentation des italienischen Ministerpräsidenten führt uns hierher zurück. Sie deuten die ganze Migrationskrise als eine wirtschaftliche Belastung, diese kostet sie Geld, und sie möchten, dass auch andere einen Anteil an dieser finanziellen Belastung übernehmen. Und sie sagen, wer nicht seinen Anteil an dieser finanziellen Belastung übernimmt, der soll auch nicht aus dem gemeinsamen Haushalt der Union Geld erhalten wollen, und an diesem Punkt wollen sie zwischen den beiden Dingen eine Verbindung herstellen, was aus dem Grunde nicht fair ist, weil wir inzwischen sehr viel Geld, im Verhältnis vielleicht sogar mehr als die Deutschen, für den Grenzschutz aufwenden. Die Deutschen haben keine Außengrenzen. Wir haben welche. Wir müssen deshalb nach den Schengener Gesetzen den Schutz der Außengrenze organisieren. Wir sind um die 150 Milliarden Forint, vielleicht haben wir sie – wenn wir die Ausgaben betrachten – auch schon überschritten, was der Grenzschutz Ungarn kostet. Diese Ausgaben hat Deutschland nicht. Es hat natürlich Ausgaben für die Verpflegung der hereingelassenen Migranten. Deshalb sage ich, und habe es auch auf dem letzten Gipfel erklärt, dass wir es nicht weiter tolerieren, dass Ungarn zu einem nicht solidarischen Land erklärt wird, diese Meinung ist unfair, das ist ungerecht, Ungarn ist sehr wohl solidarisch, denn wir schützen mit unseren Ausgaben auch die Sicherheit der Länder hinter uns. Diese 150 Milliarden Forint unterstützen nicht nur die Sicherheit der Ungarn, sondern auch die der Österreicher und auch die der Deutschen. So dass wir über unsere Kräfte hinausgehend Aufgaben des Grenzschutzes übernehmen, und dies ist nichts anderes als Solidarität.

János Lázár sagte gestern, im Weiteren seien die Ansiedlungsobligationen nicht mehr notwendig, das heißt dies bedeute, im Wesentlichen wird der Weg – entsprechend der Bitte  der Jobbik – zum „Ja“ frei, also was die Verfassungsänderung im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Migration angeht. Ist dies das Drehbuch?

Die Verfassungsänderung bzw. der zur Verfassungsänderung geformte politische Wille von mehr als drei Millionen Menschen der Neuen Einheit für Ungarn kann nicht mit irgendeiner anderen Frage verknüpft werden. Es ist eine nationale Angelegenheit, sie kann mit keinerlei parteipolitischer Diskussion verknüpft werden, auch mit wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht. So dass wir diese Bitte der Jobbik nicht akzeptieren können. Hingegen wird in der Regierung an einer Sache gearbeitet, denn die Ratingagenturen haben das Land aufgewertet, und zwar auf überzeugende Weise, bereits zwei von dreien, und bald, so hoffen wir, wird dies auch die dritte tun. Die finanzielle Situation Ungarns hat sich verändert, wir haben diese Lage – verglichen mit dem, wo wir uns 2012 befanden – verbessert. Im Jahre 2012 hatten wir keinen Zugang zu den Märkten, ja, den uns gegenüberstehenden Akteuren – wir erinnern uns: Bankensteuer, IMF-Diskussionen – dass wir immer schwieriger an Finanzquellen kamen. Aus diesem Grunde haben wir diese Lösung, diese Obligationen geschaffen, was eine sehr erfolgreiche Lösung war, denn auch die gegenwärtigen Erfolge bestätigen, dass wir diesen schwierigen Zeitraum überlebt haben. Es ergibt sich die Frage, wie man die monetären Bedürfnisse des Landes bezahlen muss, wenn sich sein finanzieller Status verändert hat? Und der Finanzminister hat eine Aufforderung und ein Ersuchen erhalten, diese Durchleuchtung durchzuführen. Er wird diesen seinen Vorschlag bis zum Ende des Jahres vorlegen, und der wird sich außer vielen anderen Fragen auch auf die Ansiedlungsobligationen erstrecken.

Sie rechnen also – wenn ich es richtig verstehe – mit dem Drehbuch, dass die Verfassungsänderung mit der Unterstützung der Jobbik das Parlament passieren wird?

Ich rechne nicht damit, die Jobbik hat gesagt, dass wenn wir nicht etwas machen, was sie wollen, dann wird auch die Verfassungsänderung nicht…

Was wird dann…

Aber man muss es zur Kenntnis nehmen, dass man nicht 3 Millionen 300 tausend Menschen nach Belieben herumspringen lassen kann, und 3 Millionen Menschen werden nicht so herumhüpfen, wie die Jobbik pfeift.

Was ist also das Drehbuch für den Fall, wenn es hierfür keine Möglichkeit gibt?

Wir legen es dem Parlament vor, und ein jeder soll es mit seinem Gewissen ausmachen, was für eine Entscheidung er fällt.

Wenn wir – sagen wir – mit dem Drehbuch rechnen, dass die Änderung am 8. November das Parlament passiert, sie in das Grundgesetz Eingang findet, welche politischen und rechtlichen Folgen wird dies dann haben?

Nun, wir werden eine Schlacht mit der Europäischen Union haben. Es gibt nun mal ein gutes Drehbuch und ein schlechtes Drehbuch. Das gute Drehbuch ist jenes, dass nachdem sich auf dem letzten Gipfel eine Pattsituation ergeben hat, man wollte nämlich die obligatorische Ansiedlungsquote durchsetzen, uns diese akzeptieren lassen, was die V4-Staaten mit ungarischer Teilnahme nicht ermöglichten, wir haben dies also verhindert. Dies ist ein Erfolg. Und wir haben unseren Anspruch vorgetragen, dass wenn es aber offensichtlich keinen Konsens gibt und diesen auch nicht geben wird, dann soll die obligatorische Quote von der Tagesordnung genommen werden; doch hierzu waren sie nicht bereit. Also liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, gegen den wir kontinuierlich unser Veto einlegen und den wir aufhalten, und diese Pattsituation wollen wir auf die Weise auflösen, so haben wir zuletzt entschieden, dass dann die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehabende Slowakei für den im Dezember anstehenden Ministerpräsidentengipfel einen Vorschlag zur Auflösung der Lage vorlegen soll, vielleicht gelingt es ihnen. Ich beneide sie nicht, dies ist eine sehr schwierige intellektuelle Aufgabe, aber vielleicht gelingt es, und dann werden wir es sehen. Wenn das ein guter Vorschlag ist, können wir über eine Lösung übereinkommen, die auch für die ungarischen nationalen Interessen gut ist, also wird es keine obligatorische Quote geben, dann wird sich ein gutes Drehbuch verwirklicht haben. Doch kann es auch vorkommen, dass es nicht so sein wird, sondern die gegenwärtige Pattsituation erhalten bleibt. Wenn die großen Staaten ihre Übermacht erneut so missbrauchen werden, wie sie es auch das letzte Mal getan haben, und die obligatorische Ansiedlungsquote uns den Rachen hinunterschieben wollen, dann werden wir Widerstand leisten. Es wird einen verfassungsmäßigen Widerstand geben, wir werden die Quote nicht vollstrecken, wir werden die Kommission vor Gericht bringen, wir starten die juristischen Verfahren und es wird eine ernsthafte juristische Debatte darüber geben, ob man dem Volk eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union trotz dessen entschiedenen Willens eine fremde Population aufzwingen darf? Mit anderen Worten: Wer entscheidet darüber, mit wem die Völker Europas in ihrem eigenen Land zusammenleben? Die Nationalstaaten, die Mitgliedsstaaten, oder kann Brüssel dieses Recht wegnehmen? Dies wird eine große Schlacht, dazu brauchen wir die Verfassung.

Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der vergangenen halben Stunde.