Viktor Orbáns Presseerklärung nach seiner Unterredung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan
7. November 2019, Budapest

Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Freunde aus der Türkei!

Wenn es der Herr Präsident erlaubt, möchte ich zuerst für die Presse den Rahmen unserer Zusammenarbeit darlegen. Wir haben 2013 in Ankara mit dem Herrn Präsidenten eine Vereinbarung getroffen, in der es darum ging, dass wir einen strategischen Rat auf höchster Ebene schaffen, der die türkisch-ungarisch Zusammenarbeit zusammenfasst. Und dort sind wir darüber übereingekommen, dass diese Körperschaft sich jedes Jahr einmal unter der Leitung der an der Spitze der beiden Länder stehenden Politiker trifft. Jetzt kam es zur fälligen Tagung von 2019 in Ungarn.

Sehr verehrter Herr Präsident!

Ungarn liegt ja in einem geographischen Raum, der durch drei große Hauptstädte festgelegt ist, diese sind Istanbul, oder Ankara, Moskau und Berlin. Vor einigen Tagen war der Präsident der Russischen Föderation, vor ein oder zwei Tagen war der deutsche Außenminister hier, und heute können wir den Präsidenten der Türkei begrüßen. Das ist genau die Außenpolitik, die wir auch in der Zukunft verfolgen möchten, wir streben nach einer Zusammenarbeit mit den für Ungarn bestimmenden Ländern.

Was die türkisch-ungarischen Beziehungen angeht, sehr verehrter Herr Präsident, das ungarische außenpolitische Denken geht von dem Satz aus, dass man ohne die Türkei die nach Europa gerichtete Migration nicht aufhalten kann. Und hieraus folgt dann, dass die Türkei der strategische Partner Ungarns sowohl in den Sicherheitsfragen als auch in der Frage der Migration ist. Dementsprechend haben wir auf der heutigen Besprechung die mit der Sicherheit und der Migration zusammenhängenden Fragen überblickt. Wir haben der Türkei unsere Anerkennung zum Ausdruck gebracht, die allein in diesem Jahr, bis zur Mitte des Oktober, 350 tausend illegale Grenzverletzer aufgehalten hat. Wenn sie das nicht getan hätte, wären diese schon alle hier irgendwo in der Umgebung der südlichen Grenze Ungarns. Beide Länder sind Mitglieder der NATO, deshalb sind wir auch militärische Verbündete, die Türkei verfügt über die zweitgrößte Armee der NATO, woraus auch ersichtlich wird, dass sie einer anderen Liga angehört als Ungarn. Aber da es sich um einen militärischen Verbündeten handelt, streben wir auch nach einer militärpolitischen und auch rüstungsindustriellen Zusammenarbeit. Und wir haben auch feststellen können, dass die rüstungsindustrielle Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern begonnen hat und in gutem Tempo voranschreitet. Ich möchte die sich dafür Interessierenden auch darüber informieren, dass die Türkei und Ungarn – auf Grundlage früher geschlossener Vereinbarungen – gemeinsame Programme, oder – wie man das zu nennen pflegt, Projekte in Afrika haben. Hierüber haben wir in der ungarischen Öffentlichkeit bisher noch nie gesprochen. Ich möchte mitteilen, dass wir ein gemeinsam finanziertes Programm in Afrika haben, wohin wir eine Ärztemission entsenden, das heißt nach Kenya, und jetzt steht ein weiteres Programm der Zusammenarbeit auf der Schwelle, das auf zwei Beinen steht, wir werden Ghana Hilfe im Wasser- und Gesundheitswesen leisten.

Was die Handels- und wirtschaftliche Zusammenarbeit angeht, so sagte noch in 2013 oder 2014 Herr Präsident Erdoğan, wir könnten uns nicht mit dem niedrigen Umfang des Handelsverkehrs zufrieden geben. Und da hat er beschlossen, und wir haben das akzeptiert, den Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern auf fünf Milliarden Euro zu erhöhen. Und später, als wir dann davon begeistert waren, haben wir dies auf sechs Milliarden angehoben. Also ist in diesem Moment das Ziel, das wir uns gesetzt haben, sind sechs Milliarden Euro. Und wir müssen feststellen, dass die Entschlossenheit groß ist, auch unser Optimismus ist ungebrochen, aber das Ziel befindet sich gerade erst in Sichtweite. Obwohl die beiden statistischen Systeme nicht ganz genau einander angeglichen werden können, doch ist das Wesentliche, dass die beiden Länder heute einen Handelsverkehr von 3,1-3,2 Milliarden Euro aufweisen können. Diesen müssen wir auf 6 Milliarden erhöhen. Im Interesse dessen wird es nach der Pressekonferenz ein Wirtschaftsforum auf höchster Ebene geben, auf dem sich die Vertreter von 15 türkischen und 15 ungarischen Großfirmen mit dem Herrn Präsidenten und mir treffen werden, um zu besprechen, wie man die nächsten Schritte der wirtschaftlichen Entwicklung machen kann. Zugleich möchte ich Sie auch davon in Kenntnis setzen, dass wir bei der Exim Bank einen Kreditrahmen von mehr als zweihundert Millionen Dollar zur Finanzierung der türkisch-ungarischen Zusammenarbeit zwischen Firmen eröffnet haben.

Und zum Abschluss möchte ich noch eine Sache erwähnen, die in der ungarischen Öffentlichkeit selten Aufmerksamkeit erhält, da die Türkei nicht nur in der Migration und nicht nur in der Frage der Sicherheit unser strategischer Partner ist, sondern auch im Bereich der Energetik. Wenn also Ungarn für sich energetische Unabhängigkeit, Souveränität wünscht, und das ist das Ziel dieser Regierung, dann sind wir auch auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen. Der erste Grund dafür besteht darin, dass die Energie, in erster Linie das Gas von der Türkei aus auf das Gebiet Ungarns ankommen soll. Hier kann ich mit einer guten Nachricht dienen. Die Türken haben ihre Arbeit getan, die Bulgaren und die Serben arbeiten, und auch wir leisten den uns zugewiesenen Aufgaben genüge. Und deshalb wird bald jene Gasleitung entstehen, die in der Lage ist, aus der Türkei Gas nach Mitteleuropa zu transportieren. Über eine Frist – erlauben Sie mir das – kann ich jetzt nicht besonders konkret sprechen, da dies sehr schwere Arbeiten sind, aber unseren Berechnungen nach kann Ende 2021 auch über diesen Zweig Gas nach Ungarn gelangen. Und schließlich möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass in den vergangenen Tagen es zur größten Kapitalinvestition der ungarischen Wirtschaftsgeschichte außerhalb Ungarns gekommen ist, die eine ungarische Firma, Mol durchgeführt hat. Mol hat einen wertvollen Geschäftansteil an einem Gasfeld in Aserbaidschan und der sich daran anschließenden Pipeline gekuft, die im Übrigen bis in die Türkei führt, und damit dieses Geschäft tatsächlich endgültig vollzogen werden kann, ist auch noch die Genehmigung der türkischen Behörden, der Wettbewerbsbehörde notwendig. Wir hoffen, diese auch so schnell wie möglich erhalten zu können.

Und abschließend möchte ich noch soviel sagen, dass sich heute 150 türkische Stipendiaten in Ungarn mit Hilfe von durch den ungarischen Staat garantierten Stipendien aufhalten. Wir sind darüber übereingekommen, dass in Zukunft die türkische Seite bei der Einteilung dieser Stipendien nach Berufen freie Hand erhält, wir werden also die aus der Türkei kommenden Studenten an solchen Universitäten immatrikulieren, die im Übrigen die Türkei bestimmt. Wir freuen uns, dass die Mitglieder der nächsten Generationen Teil des türkisch-ungarischen Freundschaftsprozesses werden, und wir auch deshalb in der Zukunft damit rechnen dürfen, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern auch für die kommende Generation so wichtig sein wird wie sie es für uns ist.

Herr Präsident, wir danken Ihnen, dass Sie uns besucht haben! Wir danken der Presse für die Aufmerksamkeit! Bitte, Herr Präsident!