Viktor Orbáns Rede auf der 9. Sitzung des Ungarischen Diaspora-Rates
14. November 2019, Budapest

Ich begrüße Sie recht herzlich, guten Tag!

Ich bedanke mich auch für das Wort. Das ist ein eigentümliches Genre, wenn wir uns einmal im Jahr hier treffen, und da fällt mir die alte Székler Geschichte ein, nach der als man den alten Székler fragte, ob er sich auf alle Dinge verstünde, er antwortete: „Auch auf alle.“ Ein bisschen bin auch ich in dieser Lage, denn bei diesem Anlass müsste man über alles sprechen, ja sogar über ein bisschen mehr als das, denn man müsste auch über die Triebfedern reden, die hinter allem stecken. Meine Situation ist nicht einfach. Das ist eine freie Gattung, vielleicht ist die Bestimmung des Herrn Vorsitzenden die treffendste, denn die ist am wenigsten fest umrissen: Bezeichnen wir dies als einen Vortrag. Ich versuche also die Lage zu resümieren, wie ich sie gegenwärtig in Europa aus dem Sessel des ungarischen Ministerpräsidenten sehe, und ich werde natürlich in erster Linie über Ungarn sprechen.

Für uns ist nichts gut, von diesem Punkt aus möchte ich mit dem beginnen, was ich zu sagen habe, denn wenn die Welt sich nicht mit uns beschäftigt, da sagen wir, man vernachlässige uns, und wenn sie sich mit uns zu beschäftigen beginnt, und man solche und andere Meinungen über uns ausspricht, da haben wir das Gefühl, es sei ungerecht, dass sich die Welt mit uns beschäftigt. Es gibt friedlichere Zeiträume und es gibt jene, in denen die Welt in Übertreibungen verfällt. Jetzt befinden wir uns gerade in dieser Phase. Jene, die aus Amerika kommen, wissen dies offensichtlich genau, man weiß gar nicht, was man machen soll, ich glaube, das eine Auge weint während das andere lacht, wenn man liest: Zwei Männer hätten den amerikanischen Präsidenten beeinflusst, damit sich seine Meinung über die Ukraine in negative Richtung verändere – der Präsident Russlands und ich. Da weiß man wirklich nicht, was man denken soll, denn offensichtlich gibt es keine Obergrenze für die Dummheit. Wenn man aber sieht, dass dies keine Meinung in Zeitungen ist – denn dort pflegt man Dummheiten zu schreiben, und das ist Teil der Redefreiheit –, wenn aber solche absurden Dinge in amerikanischen Verfahren, Anhörungen des sich auf das – wie sie das nennen – Impeachment vorbereitenden Kongresses gesagt werden können, da wundert man sich wirklich, und man weiß nicht, was jetzt gut ist: Wenn sie von uns wissen oder wenn nicht? Wenn sie sich mit uns beschäftigen oder uns eher in Ruhe lassen?

Ähnliche Übertreibungen sehe ich auch andernorts, gestern oder heute habe ich bemerkt, dass angeblich irgendein führender europäischer Politiker gesagt haben soll, da man mit den Russen ein besseres Verhältnis in Europa ausbauen müsste, hoffe er, ich würde die Polen überzeugen, damit sich ihre Meinung ändert. Nun ist es aber zunächst einmal nicht die Aufgabe des ungarischen Ministerpräsidenten, das Unmögliche zu versuchen, denn dass jemand die Meinung der Polen über die Russen verändere, ist vollkommen unmöglich, ich würde also einem jeden von dieser Arbeit abraten, aber an erster Stelle am ehesten dem Ministerpräsidenten. Die Polen sind also die Polen, und sie denken über ihre Nachbarn das, was sie denken, und daran kann man auch kaum etwas verändern, und das ist auch nicht das Ziel der ungarischen Regierung, die Polen werden dann entscheiden, was sie machen. Eine Sache ist sicher: Ungarn stand immer an der Seite Polens, dort wird es auch in der Zukunft stehen. Dies war selbst in einem derart schwierigen Zeitraum so wie im Zweiten Weltkrieg, als wir auf entgegengesetzten Seiten standen, und unser damaliger Hauptverbündeter Polen besetzt, überrannt, zerstört, deportiert, zur Hälfte ausgerottet hat – wir haben auch damals einen Korridor geöffnet und die von dort fliehenden Polen nach Ungarn hereingelassen. Die polnisch–ungarische Freundschaft steht also auf stabilen Beinen. Die Wahrheit ist, dass die Geschichte dann dies auch noch besiegelt hat, denn die Polen haben nach dem Weltkrieg das als Belohnung erhalten, was wir zur Strafe, doch dies gehört bereits zu den Absurditäten der mitteleuropäischen Geschichte. Wie auch immer, das Wesentliche ist, die erste Behauptung dessen, was ich sagen möchte, lautet: Wir sollten unser nüchternes Judizium, nicht verlieren, wir sollten unser Urteilsvermögen behalten, wir sollten die Rolle, die Möglichkeiten und das Gewicht Ungarns weder über- noch unterschätzen, unsere beiden Beine sollten auf dem Boden bleiben. Wir sollten eine Außenpolitik verfolgen, wir sollten eine Rolle übernehmen, für die Ungarn die Fähigkeit und die Kraft besitzt, und wir sollten keinesfalls das versuchen, was uns andere aufdrängen wollen – um diesen letzteren Fall an dieser Stelle auch wörtlich zu zitieren.

Um noch für die Dauer einer kurzen Bemerkung die Ukraine zurückzuholen: Ich informiere sie darüber, dass es uns entgegen mehrfacher Versuche nicht gelungen ist, vorerst uns mit dem neuen Präsidenten der Ukraine zu treffen. In der Ukraine gab es seit unserem letzten Treffen Wahlen. Das war für die Ukraine wichtig und es war auch für Ungarn wichtig. In der Ukraine gab es in den vergangenen Jahren ein antiungarisches Regieren, und wir hoffen, die durch den neuen Präsidenten geführte politische Elite wird ihr Denken und ihre Politik ändern, und sie wird die ausgestreckte Hand Ungarns akzeptieren und wird mit Ungarn kooperieren, und keine antiungarische Politik verfolgen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Bevor wir uns in die Beschreibung der Situation des Landes vertiefen würden, erlauben Sie mir den Anlass zu nutzen, um auch kurz einige Worte über die Diaspora zu sagen, denn ich habe das Gefühl, dass im Laufe unserer jährlichen Treffen meine Sätze mehr Aufmerksamkeit erhalten als die Diaspora selbst, und das ist nicht in Ordnung. Meiner Ansicht nach sollten wir kurz die Kräfte überblicken. Ich würde aber der ungarischen Öffentlichkeit mitteilen, nicht Ihnen, denn Sie wissen dies sicherlich, was denn die ungarische Diaspora ist, wie wir mit ihr rechnen. Zsolt, der Herr stellvertretende Ministerpräsident hat dieses Dilemma genau festgehalten, das sich aus der Veränderung der ungarischen Politikgeschichte ergibt, das heißt dass die „Diaspora“ früher bedeutete, sie sind jene Ungarn, die zu uns gehören, nur nicht heimkommen können, und hinzu kommt noch, dass sie – bezeichnen wir das jetzt der Einfachheit halber mit dem Namen des alten ungarischen Siedlungsgebietes – das Karpatenbecken verlassen haben. Die Lage hat sich insofern verändert, dass es heute kaum noch – in zu vernachlässigender Zahl, es ist an der Grenze vielleicht kaum noch wahrnehmbar – außerhalb der ungarischen Grenzen, in der Diaspora lebende Landsleute von uns gibt, die heute tatsächlich auf Grund politischer, physischer Gründe nicht nach Ungarn zurückkehren können. Die Bedeutung der „Diaspora“ hat sich also verändert. Sie sind jene, die in Ländern in Gemeinschaften leben, die nicht zu unserem traditionellen, tausendjährigen ungarischen Siedlungsgebiet, zu unserem Heim, zu unserer Heimat im Karpatenbecken, zu unserer Nation im geographischen Sinn gehören. Ich habe um eine Zusammenfassung gebeten, wie wir denn stehen, und in der Zusammenfassung der Regierung sehe ich, dass man die Zahl der in der Diaspora lebenden Ungarn ungefähr mit 2,5 Millionen veranschlagen kann. Das ist eine gewaltige Zahl! Wir sprechen von einer Nation bestehend aus zehn Millionen Menschen. Da steckt alles drin, am meisten unsere Geschichte, die Geschichte unserer Verstreuung, aber es zeigt sehr gut, wie wichtig die Diaspora ist, denn wenn wir auf dem Territorium Ungarns eine Landesbevölkerung von beinahe zehn Millionen Menschen haben, und wir in der Diaspora noch 2,5 Millionen Menschen haben, dann zeigt das sehr genau, was für ein gewaltiges Gewicht die 2,5 Millionen darstellen. Ein viel größeres Gewicht als wir im Übrigen im öffentlichen Diskurs in Ungarn an Aufmerksamkeit auf jene Ungarn aufzuwenden pflegen, die in der Diaspora leben, und ein viel größeres Gewicht, als wie wir in der Lage wären, Sie als Möglichkeit im Übrigen in die ungarische Wirtschafts-, internationale Verbindungs- und Außenpolitik zu integrieren. Ich weiß natürlich sehr gut, dass die Angaben der Volkszählungen – besonders in den angelsächsischen Ländern – etwas anderes bedeuten als in Ungarn, aber trotzdem sind dies die einzigen Daten, die man als einen festen Ausgangspunkt ansehen kann, auf Grund derer wir darüber nachdenken können, wer und wo als Ungar in der Welt lebt. Und hierbei sehe ich, dass in den Vereinigten Staaten laut den letzten Volkszählungsdaten aus dem Jahr 2015 ja doch 1,4 Millionen Ungarn leben. Es wäre gut, sie zu finden, das ist nicht so einfach, auch das Maß ihrer Identität ist äußerst unterschiedlich. Es gibt jene, die hier unter uns sitzen, und die über ein sehr starkes, frisches Nationalbewusstsein verfügen, und es gibt jene, die es eher als eine Erinnerung der Abstammung bewahren, dass sie Ungarn sind. Doch das bedeutet, dass wir irgendeine Verbindung mit ihnen haben, sie gehören zu uns, damit kann man etwas anfangen. Über die in Kanada Lebenden sagt die kanadische Volkszählung von 2011, dass dort 316.760 Menschen über sich als Ungarn denken. Im Fall der nach Südamerika Ausgewanderten sehe ich, dass auf dem gesamten Kontinent, auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent die Zahl der dort lebenden Ungarn auf 125.000 Personen geschätzt wird. Die ungarische Diaspora in Israel beträgt etwa 200 tausend Personen. In Australien haben sich laut der Volkszählung von 2011 insgesamt 69 tausend Menschen als Ungarn bekannt. Die Daten der Volkszählung sind auch aus dem Grund wertvoll, denn es sind offene Fragen, dem Menschen wird also keine Herkunft aufgezwungen, sondern er selber kann sagen, welcher Herkunft er ist, sie sind es also, die sich bei einer offiziellen Volkszählung dazu bekennen, Ungarn zu sein. Und dann kommen wir jetzt zu den kompliziertesten Fragen. Diese sind die Fragen der europäischen Diaspora, da wir Mitglied der Europäischen Union sind. Es gibt die freie Bewegung, es gibt einen einheitlichen Arbeitsmarkt, hier scheint also eher die Bedeutung der Staatsgrenzen abzunehmen, das verstärkt die Situation, das verstärkt das Bild noch mehr, dass die in Europa lebenden Ungarn dann nun wirklich sich frei zwischen ihrem gegenwärtigen Wohnsitz und Ungarn bewegen können. Trotzdem pflegen wir unsere in Westeuropa lebenden Landsleute in den Erfassungen der Diaspora anzuführen, und dort sehe ich, dass wir in Deutschland 178 tausend Ungarn zählen, im Vereinigten Königreich 80 tausend. Laut den österreichischen Statistiken gibt es 60 tausend Ungarn in Österreich, 22 tausend Personen sind in den Niederlanden erfasst und 17 tausend ungarische Menschen in Schweden.

Hiernach benenne ich, indem ich noch immer nicht in erster Linie zu Ihnen spreche, sondern zur ungarischen Öffentlichkeit, kurz jene Programme, die gegenwärtig laufen, damit die ungarische Öffentlichkeit versteht, dass dies die Situation ist, dass wir eine Weltnation sind, da wir über die Welt verstreut sind, und mit welchen Programmen wir versuchen, dies zu unserem Vorteil zu machen. Denn die Verstreuung ist natürlich in erster Linie immer ein Verlust, denn sie gehen ja von uns weg, aber wenn man in der Lage ist, die an den verschiedenen Punkten der Welt lebenden ungarischen Gemeinschaften miteinander zu verbinden, und dazu muss natürlich am ehesten der ungarische Staat in der Lage sein, dann wird der Verlust plötzlich zum Vorteil. Jene, die gegangen sind, können viel mehr zu der Kraft der Nation hinzufügen, und deshalb erinnern sie uns nicht an den Verlust, sondern an die Möglichkeit. Aus diesem Grund führt die ungarische Regierung Programme durch, um diese Gemeinschaften – das heißt die in der Diaspora lebenden ungarischen Gemeinschaften – wieder an den Blutkreislauf der ungarischen Nation anzuschließen. Wir haben das Sándor Kőrösi Csoma Programm, das wir gestartet haben. In dessen Rahmen entsenden wir 150 Stipendiaten zu den Gemeinschaften der Diaspora. Auch im Haushalt für das kommende Jahr sind die für ihre Wirken notwendigen finanziellen Quellen enthalten, ja wir planen sogar, ihre Zahl zu erhöhen. Wir haben ein Kelemen Mikes Programm, in dessen Rahmen wir versuchen, Nachlässe, durch Vernichtung bedrohte Nachlässe zu identifizieren, in ein Verzeichnis aufzunehmen, zu sammeln, in die Heimat zu bringen, und hier, zu Hause bzw. bei anderen ungarischen Gemeinschaften im Karpatenbecken unterzubringen und zu nutzen. Am ersten Januar 2014 begann dieses Programm, auch dessen Voraussetzungen sind gesichert. Wir haben in sieben Ländern in Übersee Sammelpunkte, 3.740 Kartons an gefährdetem Emigrationsnachlass ist laut der vor mir liegenden Aufstellung nach Hause gekommen. Wir haben ein Julianus Programm. Bei unserem Julianus Programm geht es darum, das Kataster der ungarischen Erbgüter und der Erinnerungsorte zu schaffen. 2013 begann dieses Programm, und im Rahmen dieses Programms gelang es in 46 Ländern der Erde 434 ungarische Andenken zu identifizieren. Diese Arbeit setzen wir fort. Diese Schlammkugel ist nicht so groß, als dass wir nicht alle die auf ihr auffindbaren ungarischen Gedenkorte benennen, kennzeichnen, identifizieren, und dort, wo es das wert ist, aufrechterhalten könnten. Dann haben wir ein Programm, das sich teilweise an die Diaspora knüpft, das ist das Programm „Grenzenlos!“. Das ist ein 2010 unter schwierigen Bedingungen gestartetes – denn es erfordert umfangreiche Organisation – Programm, bei dem es darum geht, dass Schüler aus Ungarn Klassenfahrten in die Gebiete jenseits der Grenzen machen können sollen. Jedes Jahr können mehrere zehntausend Jugendliche eine Fahrt machen. Unser Ziel ist es, dieses Jahr die Zahl von 100 tausend Schülern zu erreichen, aber Zsolt sagt, diese hätten wir schon im vergangenen Jahr erreicht. Im Laufe eines Jahres besuchen 100 tausend ungarische Jugendliche im Rahmen von staatlicher Finanzierung Gebiete jenseits der heutigen ungarischen Staatsgrenzen und versuchen dort Kontakte zu knüpfen. Und selbstverständlich haben wir auch neuere Programme. 2019 haben wir das Treffen der ungarischen Schulen am Wochenende gestartet, das möchten wir fortsetzen, es läuft in 27 Ländern, und wir planen, im Rahmen des Diasporaprogramms 2019 erneut den Rákóczi Bund zu unterstützen, damit sie die Besuche der in der Diaspora lebenden ungarischen Jugendlichen im Mutterland sichern. Es existiert ein ungarisches Emigrations- bzw. es existiert nicht, sondern wir wünschen uns, wenn ein ungarisches Emigrations- und Diasporazentrum entstünde, wir haben seine Schaffung für dieses Jahr als Ziel gesetzt. Wir möchten eine Leiterausbildung für Jugendliche in der Diaspora starten. Wir möchten das Kőrösi Csoma Programm weiterentwickeln, usw. usf. Diese sind vielleicht die wichtigsten. Hierüber werden die Anwesenden dann sicherlich eine ausführliche Informierung durch den Herrn Staatssekretär und den sich mit den Angelegenheiten der Diaspora beschäftigenden staatlichen Beamten erhalten. Ich wollte vielmehr nur einige Programme hervorheben, damit auch die uns beobachtende ungarische Öffentlichkeit sich ein Bild davon machen kann, wen denn der Diaspora-Rat darstellt, wen er umfasst und was für Programme Ungarn am Laufen hält. In Ungarn gibt es viele wichtige Dinge, über die die ungarischen Menschen weniger wissen als es nützlich und vielleicht auch notwendig wäre.

Erlauben Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit hiernach auf Ungarn zu lenken. Wir sind inmitten eines Wahlzyklus. Vielleicht könnte man – ich hätte auch Lust dazu, vielleicht bestünde auch der Bedarf dafür – in größeren historischen Zusammenhängen über die ungarische politische Situation zu reden, aber davon würde ich jetzt absehen, denn früher haben wir so etwas schon gemacht, und wir vertrauen darauf, dass es dazu auch in der Zukunft die Möglichkeit geben wird. Jetzt würde ich lieber bei der sehr einfachen politischen Tatsache verbleiben, die meinen Horizont auch etwas einengt, dass wir uns in der Mitte des Wahlzyklus befinden. Der Wahlzyklus umfasst in Ungarn vier Jahre. 2018 gab es die letzten Wahlen und 2022 wird es die nächsten geben. Hierauf können wir im Hinblick darauf vertrauen, dass – obwohl dies nur wenige wissen, jedoch – Ungarn das einzige Land in der gesamten Europäischen Union ist, in dem es seit 1990, also seitdem in den mitteleuropäischen Ländern freie Wahlen abgehalten werden, es keine vorgezogenen Wahlen gegeben hat. In allen anderen europäischen Ländern gab es sie, selbst bei den auf Grund ihrer Stabilität berühmten Deutschen gab es vorgezogene Parlamentswahlen. Ein einziges Land gibt es auf dem ganzen Kontinent, wo es dies nie gab. Hierüber habe ich schon einmal bei einem unserer Treffen gesprochen, denn meiner Ansicht nach geht es hier nicht nur darum, dass die Parteien des Systemwechsels: MDF, SZDSZ, Fidesz, MSZP, die damaligen Kleinen Landwirte und die Christdemokraten das Wesen der konstitutionellen Stabilität richtig begriffen, richtig erfasst und deshalb eine Konstruktion erschaffen haben, in der vermutlich auch die konstitutionellen Rahmen den Zusammenhalt, das Zusammenwirken stärken, vermutlich geht es auch darum, aber in Wirklichkeit steckt dahinter jene kulturelle Eigenheit, dass die Ungarn genau wissen, dass die politische Stabilität der Ausgangspunkt von allem ist. Ich habe vielleicht vor einem oder vor zwei Jahren an dieser Stelle sagen können, dass ich Länder kenne – ich bin seit dreißig Jahren in der internationalen Politik –, in der der Umstand, ob es eine Regierung gibt oder nicht, von keiner besonderen Bedeutung ist. Auch dieser Tage konnten wir eine Parlamentswahl beobachten, ein Land, in dem man im Laufe von vier Jahren das vierte Mal eine Wahl abgehalten hat, und dies kann man im Übrigen am Zustand des Landes nicht sehen. Es gibt also Länder, in denen sowohl die Wirtschaft als auch die Kultur sowie die Außenpolitik auch ohne eine stabile Regierung erfolgreich funktionieren. Und es gibt Länder und es gibt Völker, deren Denken – vermutlich aus kulturellen und historischen Gründen – derart ist, dass wenn es keine Zentralregierung gibt und es nicht klar ist, wo hinten und wo vorne ist, dann bleibt alles stehen, wird langsamer, abwartend, man weiß nicht, man riskiert nicht, und ich glaube, die Stürme der Geschichte haben Ungarn gelehrt, dass es besser ist, zu wissen, wo hinten und wo vorne ist. Solange wir dies nicht genau wissen, müssen wir unsere Energien vorsichtig verbrennen. Meiner Ansicht nach gehört Ungarn zu solchen Ländern – die politische Stabilität besitzt also Bedeutung, und es ist meiner Ansicht nach eine gute Nachricht, dass es seit 1990 keine vorgezogenen Wahlen gab, obwohl wenn man in der Opposition ist, da pflegt man im Übrigen solche zu fordern, und dann ist das immer so auch in Ordnung, und die diese fordernden, sich gerade in der Opposition befindlichen Parteien haben vielleicht auch Recht, dass es gut wäre, vorgezogene Wahlen abzuhalten, aber insgesamt, wenn wir die Situation vor einem historischen Horizont betrachten, dann ist deutlich erkennbar, dass dies ein nationaler Vorteil im internationalen Wettlauf ist.

Wir befinden uns also in der Mitte des Wahlzyklus, und die Eigenheit dieser Situation zur Mitte des Wahlzyklus war jetzt in Ungarn, dass wir in diesem Jahr zwei Wahlen hatten. Einerseits, weil der Zeitpunkt der Wahlen zum europäischen Parlament hierher entfiel, und andererseits weil wir irgendwann bei der Verfassungsänderung 2010 entschieden hatten, dass sich die Länge des Mandats der Selbstverwaltungen von der Länge der Parlamentsmandate lösen soll und wir die Vertreter in den Kommunen für fünf Jahre wählen, weshalb sich jedes Jahr die Entfernung zwischen den Wahlen zum nationalen Parlament und den Kommunalwahlen um jeweils ein Jahr verschiebt. Dies ist auch dieses Jahr geschehen, dass die Wahlen zur Halbzeit lagen. Das ist eine schwierige Angelegenheit für eine Regierung, jede zur Mitte eines Wahlzyklus veranstaltete Wahl ist eine große Herausforderung, denn wir befinden uns ja gerade bei der Hälfte der für den Zyklus, für die vier Jahre veranschlagten Arbeit. Die schwierigen Entscheidungen pflegen zu diesem Zeitpunkt schon getroffen worden zu sein, im Großen und Ganzen ist das auch bei uns so, und die Ergebnisse kommen eher später. Also sind in Europa Wahlen zur Mitte eines Zyklus immer riskant, denn wenn man nicht die nötige Unterstützung erhält, dann kann die Opposition zu Recht sagen, man solle die Laute niederlegen, denn man habe das Vertrauen entzogen bekommen, es ist also wichtig, dass die Regierungspartei die Wahlen innerhalb des Zyklus gewinnen kann. Natürlich ist es die Schönheit einer Kommunalwahl, dass sie jeder gewinnt, denn sie lässt einen derart breiten Deutungsrahmen zu, dass sich jeder zum Gewinner erklärt, so besteht diese Möglichkeit auch für die Regierung. Wenn wir die Zahl der gesamten abgegebenen Stimmen betrachten, und ich die Kommunalwahlen auf die Weise deute, wie viele Wähler sagten, die Regierung soll ihre Arbeit fortsetzen, und wie viele, sie solle dies nicht tun, dann muss ich sagen: Eine deutliche Überlegenheit zeichnet sich ab. Ich könnte auch Zahlen nennen, aber diese waren ja in den Zeitungen zu lesen. Ich deute, wir deuten die Kommunalwahlen trotz des Umstandes, dass die Regierungsparteien auch empfindliche Niederlagen in wichtigen Städten erlitten haben, dahingehend, dass wir eine Legitimation zur Fortsetzung unserer Regierungsarbeit erhalten haben. Wenn ich also jetzt zu Ihnen sprechen werde, dann spreche ich aus dieser Position heraus, also die Regierung wird die Regierungsarbeit und die Umsetzung ihres Programms auch in den kommenden 2,5 Jahren fortsetzen.

Im Mittelpunkt dieses Programms steht die attributive Konstruktion „starkes Ungarn“. Das Ziel unserer Regierung war also beginnend mit 2010 – inzwischen sind wir schon im dritten Zyklus angelangt –, Ungarn aus einem schwachen Land, einem kraftlosen Land zu einem kräftigen, vitalen, handlungsfähigen, sich Ziele setzen könnenden, starken Ungarn zu machen. Wenn wir die Situation aus dieser Perspektive betrachten, dann geben in der modernen Welt die Grundlagen für die Stabilität und Kraft eines Landes seine finanzielle Stabilität und Kraft, und in dieser Hinsicht können Sie täglich auf Nachrichten stoßen, selbst die voreingenommene internationale Presse erwähnt dies regelmäßig, dass die ungarische Wirtschaft finanziell auf stabilen Beinen steht. Es gehört zu den wenigen Ländern, vielleicht ist es auch das einzige Land, das in der Europäischen Union in jedem Jahr seine Schulden mindert. Mag sein, dass ich mich hierin irre, denn auch die Deutschen sind dazu in der Lage, das Wesentliche ist aber, dass wir nur sehr wenige Länder sind, die jedes Jahr ihre Staatsverschuldung senken. Ungarn ist so ein Land. Unser Verdienst wird etwas dadurch geschmälert, dass dies uns ein Gesetz vorschreibt, jedoch wird unser Verdienst dadurch vergrößert, dass wir dieses Gesetz geschaffen haben. Aber das Wesentliche ist, dass wir es auch noch einhalten, und deshalb nimmt jedes Jahr die ungarische Staatsverschuldung ab, und unsere finanzielle Situation kann man als stabil bezeichnen. Die Wachstumszahlen kennen Sie, die sind trügerisch. Dass Ungarn sich in dem Wachstumsbereich von 4-5 Prozent im Verhältnis des GDP befindet, ist ein sehr schönes Ergebnis, jedoch müssen wir wissen: Da der ungarische Export etwa 85 Prozent des ungarischen Gesamtproduktes ausmacht, reagiert die ungarische Wirtschaft immer sehr empfindlich darauf, wie sich die Welt um sie herum verändert. Deshalb müssen wir auch zeitweise, wenn es im internationalen Kontext eine Abkühlung gibt, eine wirtschaftliche Abkühlung, dann müssen wir immer einen Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft verkünden, denn die Verschlechterung unserer Exportverhältnisse stellt uns vor ernsthafte Herausforderungen, und jetzt befinden wir uns gerade vor so einem Zeitraum. Dieses Wirtschaftswachstum ist also schön, doch ich betrachte nicht die absoluten Zahlen. Die Zielstellung der Regierung ist, um die Geschwindigkeit der Annäherung an die entwickeltesten Länder Europas aufrechterhalten zu können, müssen wir dazu das durchschnittliche Wachstum der Europäischen Union immer um 2 Prozent übertreffen. Solange wir dies haben, unabhängig davon, ob dies gerade ein Wachstum von 3, 4 oder 5 Prozent bedeutet, solange wir diese plus 2 Prozent haben, ist die Route oder sind die Eisenbahngleise, die Gleise, auf denen wir uns vorwärtsbewegen, in Ordnung.

Über die Gehälter möchte ich jetzt nicht reden, denn darüber werden Sie sicher viel von Ihren ungarischen Verwandten gehört haben, jedoch möchte ich über die Armut reden, denn es ist eine der wichtigsten Aufgaben, zu der wir uns in diesem Zyklus, in dem 2018 begonnenen Wahlzyklus verpflichtet hatten, die Armut zu liquidieren, die Integration der Roma hier mit inbegriffen, was zwei gewaltige Aufgaben sind. Der Mensch ist eben ein Mensch, also motivieren ihn auch fehlbare Gesichtspunkte, manchmal ist er zum Beispiel eitel, möchte Anerkennung gewinnen und Taten vollbringen, durch die er das Gefühl hat, seine Visitenkarte in der Welt hinterlassen zu haben. Also in uns allen wirkt so etwas, man versucht das natürlich irgendwie mit mehr oder weniger Erfolg im Zaum zu halten, doch ist die KDNP aus dem Grund in der Regierung, damit dies eher mit mehr Erfolg funktionieren kann. Also auch in uns schlummert so ein Wunsch, auch wir möchten große Dinge vollbringen, und eine solche große Aufgabe unsererseits ist – in Kenntnis unserer Geschichte –, dass wir die Regierung und jene regierende Kraft sein wollen, die von sich behaupten kann, die Armut in Ungarn liquidiert zu haben. Jetzt gibt es hierüber natürlich immer eine Diskussion, denn das ist eines der wichtigsten Themen in der Diskussion zwischen der europäischen Rechten und Linken, und deshalb pflegt man hier die Tatsachen außer Acht lassend die Standpunkte des jeweils anderen als vollkommen illegitim zu qualifizieren. Aus diesem Grund ist es sehr schwer, sich in Ungarn in dieser Sache zurechtzufinden. Zum Glück gibt es in der Welt Forscher, die sich mit der Armut und der Ausgrenzung beschäftigen, und ich möchte lediglich Sie darauf aufmerksam machen, dass einer der führenden Forscher der Ungleichheit, ein Amerikaner, vor gar nicht so langer Zeit ein längeres Interview gegeben und auf seiner Homepage Daten über die ungarische Wirtschaftspolitik veröffentlicht hat, wo er sehr starke Feststellungen formulierte, und sagte, in Ungarn sei die Zahl der unter schwerwiegenden materiellen Entbehrungen Lebenden auf das niedrigste Niveau seit Jahrzehnten gesunken. Dies brachte er in Zusammenhang damit, dass mehr Ungarn heimgekommen sind als im vergangenen Jahr weggegangen waren, dies ist das erste solche Jahr im Übrigen, hoffen wir, es ist keine Ausnahme, sondern vielmehr der Anfang einer Tendenz. Und einer seiner Kollegen, der an der Ausarbeitung der Studie hierüber teilgenommen hatte, führte übrigens aus, die Regierung habe mit den Arbeitsmarktprogrammen in fantastischem Maße den Roma dabei geholfen, sich in das System einzugliedern, und fügte dann hinzu: „Ich könnte heute weder in Großbritannien noch in den Vereinigten Staaten eine Meinung veröffentlichen, nach der die Wirtschaftspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten gut sei, denn man würde mich gar nicht erst anhören.” Nur soviel zu den Realitäten. Aber um auf das Wesentliche der Dinge zurückzukommen: Zweifelsohne haben wir die 2008-2009-er Wirtschaftskrise auf die Weise gemanagt, dass wir dabei die Zielstellung der Minderung der Ungleichheiten und der Rückintegration der Ausgegrenzten auch nicht aufgegeben haben. Das ist ein großer Unterschied in der Bewältigung der Krise in Griechenland und in Ungarn, denn während Ungarn meiner Ansicht nach gut mit der Krise umgegangen ist, ist aus Griechenland eine Schuldenkolonie geworden. Wir haben auf alle Fälle auf diesem Gebiet Ergebnisse erreicht, die Hoffnung aufkommen lassen. Solche Dinge sind nicht spektakulär, jetzt versuchen wir in dieser Angelegenheit auch so zu helfen, indem wir 30 ungarische Dörfer ausgewählt haben, die als die ärmsten in Ungarn gelten. Für diese 30 Dörfer haben wir ein eigenes Programm gestartet, und haben einen 300-er Kreis festgelegt, der die 300 ärmsten Dörfer beinhaltet. Das ist kein so intensives Programm wie das dreißiger, aber auch da haben wir ein sehr starkes Entwicklungsprogramm gestartet. Das ist nicht das Programm Ungarisches Dorf, das ist eine andere Sache, sondern dies ist in ihm enthalten, wir haben es zur Modernisierung, zur Umformung von ausgesprochen armen, in einer ghettoartigen Existenzform lebenden Dörfer initiiert. Ich hoffe, ich werde im kommenden Jahr schon über Ergebnisse berichten können.

Starkes Ungarn. Ungarn ist ein Land, in dem die Familie im Mittelpunkt steht. Das Denken der ungarischen Menschen konzentriert sich auf die Familie. An dieser Tatsache ändert meiner Ansicht nach auch der Umstand nichts, dass die Zahl der Scheidungen äußerst hoch liegt. Nach der Meinung von Zsolt nehmen sie auch ab, darüber gibt es immer Diskussionen, aber der ungarische Mensch heiratet auch noch erneut. Dies zeigt also sehr gut, dass die Tatsache der Scheidung an sich noch nicht die Behauptung widerlegt, dass der ungarische Mensch sein Leben in einer Familie verleben möchte. Es ist meine Überzeugung, dass nachdem die Kraft eines Landes auch dadurch bestimmt wird, ob man sich wohl in der eigenen Haut fühlt, also ob man sein Leben auf die Weise führen kann, wie es im Übrigen der eigenen Gefühlswelt und der eigenen Kultur am ehesten entspricht, und da in Ungarn die Menschen die Familie lieben und sie für sie im Mittelpunkt steht, deshalb fühlen sie sich sicherlich nur dann wohl in ihrer Haut, wenn sie sehen, dass die Familien nicht nur für sie wichtig sind, dass dies nicht nur eine persönliche Angelegenheit ist, sondern diese auch für die Gemeinschaft wichtig sind, und sie zu jeder Zeit Parlamentsabgeordnete und Gesetzgeber und eine Regierung haben, die im Übrigen diesen Gedanken mit ihnen teilen, also die Familie für wichtig halten und den Familien im Allgemeinen helfen, aber auch konkret ihre Familien unterstützen. Jetzt macht Ungarn viel, damit die Familien stark sein sollen, denn ohne starke Familien gibt es kein starkes Ungarn. Dazu sind natürlich am meisten Kinder notwendig. Es gibt in Ungarn eine Diskussion darüber, was die Familie sei. Wir haben einmal einen Versuch unternommen, ein Familienschutzgesetz zu formulieren, und dabei sind wir dahintergekommen, dass es gar keine so einfache Sache ist, zu definieren, was denn die Familie sei. Ist ein Ehepaar ohne Kind schon eine Familie oder nicht, gilt eine ihr Kind alleine erziehende Mutter als Familie oder nicht? Und wir haben erkannt, hier kann man nicht klug sein, also ist es besser, dies nicht zu definieren, denn irgendwie spürt der Mensch ja sowieso, was das ist: Familie. Das ist eine Liebesgemeinschaft, und die konstitutionelle Hürde beachtend, dass in Ungarn natürlich eine Ehe ein Mann und eine Frau schließen können, sind alle Formen des Zusammenlebens, die sich innerhalb dessen befinden, eine Familie, und sind es wert, unterstützt zu werden. Jedoch ist die wichtigste Sache in der Familie letztlich das Kind, auch wenn dies die Familie an sich noch nicht definiert, aber am wichtigsten ist doch das Kind. Und aus diesem Grund vertritt Ungarn den Standpunkt, dass wir eine 40-jährige Tendenz umdrehen müssen. Seit dem Anfang der achtziger Jahre kann man den Bevölkerungsschwund in Ungarn beobachten. Die Probleme begannen sicherlich früher, sie traten zu Beginn der achtziger Jahre das erste Mal an die Oberfläche, und seitdem ist das so. Seit 40 Jahren verliert also Ungarn in jedem Jahr etwas an Bevölkerung, denn es werden weniger Kinder geboren als Menschen von uns gehen. Diese Tendenz müsste man umdrehen. Das ist eine sehr schwierige Sache, denn der Ungar, der ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl besitzt, wenn es um die Sache der Nation geht, ist wenigstens so individualistisch, wenn es um sein eigenes Leben geht. Mein Heim ist meine Burg, ist mein Leben, und alles, was von ihm als Intervention, als Eingriff empfunden wird, wenn er meint, man will ihn zu etwas überreden, dann löst dies sofortigen Widerstand aus. Es ist also nicht einfach, den ungarischen Familien zu helfen, denn helfen muss man auch, und auch zu hundert Prozent ihre Autonomie respektieren. Also muss man das Kinderkriegen auf eine Weise unterstützen, dass das niemand als Zwang oder als irgendein staatlich gestecktes Ziel empfindet, und vor allem nicht als eine Einmischung in sein eigenes Leben. Übrigens jene, die unsere Familienpolitik attackieren, greifen immer auf dieser Seite an. Sie behaupten immer, die Familienpolitik sei an sich schon de facto ein Eingriff in das persönliche Leben der Menschen, und sei deshalb nicht richtig. Das ist die gewohnte liberal-illiberal-Diskussion, die ich an dieser Stelle nicht skizzieren muss, doch ist das Wesentliche der Sache, dass es wünschenswert wäre, wenn es uns gelänge zu erreichen, dass wenigstens so viele Kinder geboren werden wie Menschen aus dem Lebens scheiden, und dazu wäre laut der internationalen statistischen Wissenschaft eine Geburtenrate von 2,1 Prozent notwendig. Davon sind wir sehr-sehr weit entfernt. Und wir werden sie kurzfristig auch nicht erreichen, vielleicht in einer Perspektive von zehn Jahren. Heute ist es unser Ziel, diesen Prozess zu bremsen, auch das ist sehr schwer, und irgendwann, wenn wir die Familienpolitik ausdauernd weiterführen können – denn auch das machen die sich mit der Familie beschäftigenden Wissenschaften deutlich, dass der Erfolg der Familienpolitik von der Langfristigkeit abhängt –, wenn also eine Familienpolitik über einen längeren Zeitraum berechenbar ist, dann ist ihr Erfolg viel größer, als wenn man im Übrigen das System der Unterstützung in jedem Wahlzyklus hin- und herzerrt. Das ist die Lektion der Franzosen für Europa, das machen sie gut. Wenn es also langfristig, über zehn-fünfzehn Jahre hinweg gelingt, die gleiche die Familien unterstützende Politik und auch jene Methoden aufrechtzuerhalten, mit denen wir die Menschen ermuntern, Kinder zu bekommen. Jetzt ist das natürlich auf zweierlei Weise möglich: So, dass es keinen Regierungswechsel gibt oder wir diese Politik unabhängig von Regierungswechseln als beständig ansehen. Hier besitzt ein jeder eine andere Präferenz in der ungarischen Politik. Wir unterstützen natürlich die erste Variante. Wie auch immer es also möglich sein könnte, wenn es gelingt, die Familienpolitik über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, dann werden wir meiner Ansicht nach in der Perspektive von zehn Jahren auch schon spürbare Ergebnisse haben. Jetzt haben wir erst ermunternde Zeichen, spürbare Ergebnisse können nur in einem Zeitraum eines Jahrzehnts erscheinen, doch das ist kein Grund, um unsere Familienpolitik nicht zu verfolgen. In diesem Jahr haben wir ein Aktionsprogramm zum Schutz der Familie mit zahlreichen Maßnahmen verkündet. Diese zähle ich jetzt alle nicht auf, denn wer von Ihnen sich für fachpolitische Fragen Ungarns interessiert, der kann sie alle aus der Öffentlichkeit kennen. Hier würde ich nur sagen, sie funktionieren gut, und es wird dann ein neueres geben, wir hoffen, dass es im kommenden Jahr auch den zweiten Aktionsplan zum Schutz der Familie geben wird. Frau Staatssekretär Katalin Novák arbeitet hieran.

Wenn wir über ein starkes Ungarn sprechen, dann bedeutet das im Fall von Ungarn auch eine lebenstüchtige nationale Kultur. Es gibt glückliche Nationen, die niemals darüber nachdenken müssen, wie lange es sie wohl noch auf der Welt geben wird. Ein Deutscher oder ein Angelsachse, ja auch die Slawen müssen hierüber nicht groß nachdenken, denn man kann sich die Welt ohne Slawen, ohne Deutsche und ohne Angelsachsen kaum vorstellen, aber wir, Ungarn, sind der Ansicht, dass man sich die Welt ohne Ungarn ziemlich leicht vorstellen kann. Wir sind ziemlich wenige und wir sind ziemlich in der Welt verstreut, um zu denken, eine Welt sei möglich, eine menschliche Welt sei möglich, in der es keine Ungarn gibt, oder wenn es sie dennoch gibt, dann existieren sie nur als so eine Art zoologisches Unikum, aber keinesfalls als Gemeinschaft und als Nation. Unsere Gefühlswelt ist also eine andere, und deshalb müssen wir auf unsere Nationalkultur achten, denn uns erhält unsere nationale Kultur. Solange wir ungarisch reden, solange unsere in ungarischer Sprache entstandene Kultur existiert, solange existiert die ungarische Nation. Wenn wir also über ein starkes Ungarn sprechen, bedeutet dies notwendigerweise auch ein starkes, eine lebenstüchtige Kultur besitzendes, eine nationale Kultur besitzendes Ungarn. Deshalb – und an diesem Punkt sind wir erneut bei der liberal-illiberal-Diskussion angelangt – ist es für mich keine Frage, dass der ungarische Staat in kulturpolitischen Fragen nicht neutral sein kann, die Erhaltung der nationalen Kultur ist die Pflicht der Regierung. Was auch immer die Nationalkultur bedeuten soll, darüber kann man diskutieren, aber dass die Erhaltung und die Stärkung der in ungarischer Sprache entfalteten Nationalkultur eine staatliche Aufgabe ist, darüber gibt es auf unserer Seite keine Diskussionen, und wir betrachten die Frage auch in Zukunft auf diese Weise. Hiervon lässt sich sogleich ablesen, dass die Nationalkultur für uns auch ein natürliches Genussmittel ist, natürlich auch eine Art des Selbstausdrucks, aber auch das Mittel der Bewahrung der nationalen Identität. Und dieses Dritte ist mindestens so wichtig oder vielleicht sogar wichtiger als die ersten beiden zusammengenommen. Hinzu kommt noch, dass ich den Eindruck habe, die Welt, diese einfarbig werdende, sich globalisierende Welt bewegt sich – verständlicherweise – in die Richtung, dass jede Farbe, die vom Grau abweicht, also vom globalen Einheitslook, interessant ist. Deshalb bin ich der Ansicht, dass wenn wir Tourismus wollen, wenn wir Fremdenverkehr wollen, wenn wir daraus ein Geschäft machen wollen, dass Ungarn ein Land mit einer eigentümlichen Kultur ist, dann müssen wir den Akzent darauf setzen, worin wir uns unterscheiden, dann müssen wir unsere Einzigartigkeit betonen, denn die Menschen interessieren sich für das Einzigartige. Sie sind auf Ungarn aus dem Grund neugierig, weil sie nicht so sind, wie wir, und neugierig darauf sind, wie man die Welt sich auf Ungarisch vorstellen, sie organisieren und einrichten kann. Deshalb kommen sie nach Ungarn, nicht um hier das Gleiche zu sehen, wie was sie schon von Zuhause her bereits kennen. Deshalb hat die Regierung die kulturpolitischen Investitionen – obwohl das Geld an tausend Stellen benötigt wird – immer zu den wichtigsten gezählt. Auch hierüber gibt es immer Diskussionen, aber wir sind letztlich doch Ungarn. Eine unserer herausragenden kulturpolitischen Projekte war die Wiederherstellung des Kossuth Platzes, als Hauptplatz der Nation. Wenn ich sagen wollte, unsere kulturpolitische Auffassung oder unsere Auffassung über die nationale Kultur sei wie das Meer in einem einzigen Tropfen auszudrücken, dann würde ich sagen, wenn man sich den Kossuth Platz ansieht, dann kann man genau identifizieren, was dies genau ist. Und wenn man sich die Karte oder das Bild oder die Fotografie des Kossuth Platzes von vor dreißig Jahren vor Augen hält und sie mit der Gegenwart vergleicht, dann kann man sehen, was wir darüber denken, in welche Richtung es sich lohnt, die ungarische Kultur zu verändern. Das war ja früher der Parkplatz des Landes, der Kossuth Platz war ein Parkplatz, das war der Parkplatz des Landes, und jetzt ist es der Hauptplatz der Nation. Aber als genauso wichtig empfinden wir auch die Burg, wir sitzen im Burggarten-Basar. Das ungarische konstitutionelle System der Symbole sieht so aus, dass das Symbol der modernen Demokratie, des modernen Ungarns, das auf die Teilnahme, auf die Stimmen der Staatsbürger aufgebaute verfassungsmäßige Symbol das Parlament ist, während das Symbol des Althergebrachten, der alten Konstitutionalität, des tausendjährigen Ungarn die Burg ist, wo wir jetzt sitzen. Und aus diesem Grund war es nicht zu tolerieren, dass der Burggarten-Basar auch noch vor einigen Jahren zu den am meisten gefährdeten Baudenkmälern der Welt gehörte. Und jetzt, da wir hier sitzen, und so wie er ist, drückt er sehr gut unsere Kulturpolitik aus. Aber auf ähnliche Weise drückt sie auch das Stadtwäldchen Projekt gut aus, das heute – und da liegt überhaupt keine Übertreibung in meinen Worten – das größte kulturelle Entwicklungsprogramm der westlichen Welt ist, das größte kulturelle Entwicklungsprogramm der gesamten westlichen Welt. Und danken wir dem lieben Gott, dass wir bereits drei Viertel dessen hinter uns haben, und jene Veränderung im Kräfteverhältnis in Budapest, die bei den Kommunalwahlen eingetreten ist, nur noch ein Viertel, ein Drittel des Programms betrifft. Dieses allerdings auf schwerwiegende Weise, denn sie stoppen es gerade, sie wollen es einstellen, darüber gibt es eine Diskussion, wir werden sehen, wie es ausgeht, aber jedenfalls haben wir zwei Drittel jenes Programms bereits verwirklicht, und wenn es auch im vollen Umfang nicht gelingen sollte, so werden wir doch dieses im Übrigen äußerst erhebende Programm auf alle Fälle in einem ansehnlichen Umfang verwirklichen. Und jetzt habe ich nur über Budapest gesprochen. Ich hoffe, Sie werden die Möglichkeit haben, unsere Städte auf dem Lande, ja auch unsere Dörfer aufzusuchen. Es lohnt sich, die Hauptplätze der ungarischen Städte auf dem Land, unsere historischen Gebäude sich anzusehen, an ihnen allen kann man spüren, dass dieses Land weiß: Für es ist die Kultur, das kulturelle Erbe äußerst wichtig, und dies gilt angefangen mit dem kleinsten Dorf bis zur Hauptstadt der Nation, bis Budapest.

Wenn wir über das starke Ungarn sprechen, können wir auch die Frage der starken Armee nicht umgehen, wenn es auch ein sensibles Thema ist. In Ungarn existierte 1990 verständlicherweise noch der Gedanke, dass wenn wir in die NATO kommen, dann würde auch die Frage der Sicherheit Ungarns gelöst sein. In dieser Behauptung steckt viel Wahrheit, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Unsere NATO-Mitgliedschaft ist also äußerst wichtig, obwohl die letzte Äußerung des französischen Präsidenten, die Sie vielleicht auch haben lesen können, irgendeine englische Wochenzeitung hat sie gebracht, von einer gehirntoten NATO sprach, was doch ein Zeichen ist, das Aufmerksamkeit verdient. Nun gehört es nicht im engeren Sinn zum Thema unserer heutigen Beratung, doch es wirft auf alle Fälle die Frage auf, dass wir vielleicht 1990 noch gedacht haben, die NATO-Mitgliedschaft garantiere die Sicherheit Ungarns im vollen Umfang, und die NATO sei gleichbedeutend mit Sicherheit, doch heute ist das mit Sicherheit nicht mehr so. Die NATO plus die nationalen Streitkräfte sind identisch mit der Sicherheit. Also ohne nationale Streitkräfte ist auch die NATO nicht in der Lage uns Sicherheit zu bieten, deshalb mussten wir auch mit dem Ausbau der modernen ungarischen nationalen Armee beginnen. Dieser Prozess schreitet voran. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn wir dieses Programm erst ein-zwei Jahre später hätten starten müssen, denn von den beschränkten Kraftressourcen muss so viel für sehr viele andere Dinge aufgewendet werden, doch ist die Lage derart, dass die benachbarten Länder mit einer Modernisierung ihrer Streitkräfte in einem Tempo begonnen haben, das man nicht unbeantwortet lassen konnte, denn man darf nicht zulassen, dass der Unterschied zwischen der militärischen Kraft der uns umgebenden Länder und der Kraft der ungarischen Armee ein bestimmtes Maß übersteige. Und das drohte zu geschehen. Denn wenn dieser Unterschied zu groß wird, dann kann man später diesen Unterschied aus technologischen Gründen nicht mehr oder nur durch ungeheure Anstrengungen und Ausgaben ausgleichen. Aus diesem Grund mussten wir das Programm zur Entwicklung der nationalen Streitkräfte früher starten, als wir gedacht hatten, denn wir dürfen es nicht zulassen, dass die militärische Kraft der uns umgebenden Länder in bedeutendem Maße entwickelter ist als jene Ungarns. Selbstverständlich ist es der optimale Fall, wenn sie nicht entwickelter ist. Dies wird bis 2026 eintreten. Bis 2026 werden wir also auf Grund des gegenwärtigen Programms an den Punkt gelangen, dass die nationale Armee Ungarns in der Lage sein wird, auch ohne die NATO die Sicherheit der ungarischen Menschen, den Schutz der Staatsgrenzen und der angehäuften Güter Ungarns gegenüber den realistischerweise vorstellbaren Gefahren zu garantieren – das bedeutet also, dass wir nicht an einen Weltkrieg, sondern an einen regionalen Konflikt denken. Das können wir bis 2026 mit völligem Selbstbewusstsein erklären. Heute kann ich nur sagen, dass wir uns diesem Punkt nähern. Wir sind nicht in einem Maße zurückgeblieben, dass dies hoffnungslos wäre, und bis 2026 wird die ungarische Armee die bestimmende, eine der bestimmenden Armeen der Region sein. Dies ändert überhaupt nichts an der Tatsache, dass im Mittelpunkt der Außenpolitik und der regionalen Politik Ungarns der Frieden, das Zusammenleben, das Suchen nach Bündnissen und die Zusammenarbeit stehen, doch können wir auch die Gesichtspunkte der Sicherheit auch nicht ganz außer Acht lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Das starke Ungarn bedeutet in der Außenpolitik, dass wir zunächst einmal unsere Lage zur Kenntnis nehmen, was wir dahingehend zu formulieren pflegen, dass geistig normale Länder nicht danach streben können, ihre Hausnummer zu verändern. Man könnte sich also auch ein Ungarn mit einer glücklicheren Hausnummer vorstellen, aber Ungarn ist dort, wo es ist, und hieran kann man nichts ändern. Dies bedeutet außenpolitisch, dass wir unser Leben in einem Dreieck, in einem Machtdreieck leben, und – je nachdem, ob ich der Landkarte gegenüber oder mit dem Rücken zu ihr stehe: links Berlin, rechts Moskau, und im Süden Istanbul. So war es seit der Landnahme, jetzt übertreibe ich, nicht seit der Landnahme, seit einigen hundert Jahren ist das so, und anscheinend bleibt dies eine Weile lang auch noch so. Und ganz gleichgültig, ob uns dies gefällt oder nicht, ganz gleichgültig, welche Ideologie wir verfolgen, die Außenpolitik ist die Wissenschaft der Realitäten. Das ist die Realität: Moskau, Berlin, Istanbul, in diesem Dreieck müssen wir unser Leben einrichten. Hier benötigen wir Sicherheit, Wachstum, ungarische Kultur, ungarisches Leben, ungarische Zivilisation. Unserer Auffassung nach muss man sich nicht auf die eine oder die andere Seite stellen, unserer Auffassung nach muss man mit allen drei Kraftzentren ein gutes Verhältnis pflegen und eine Politik verfolgen, dass alle drei an unserem Erfolg interessiert sein sollen. Das ist äußerst schwierig, vor allem wenn von den dreien einer oder zwei regelmäßig den anderen gegenüberstehen. Da aber die Politik angeblich eine Kunst ist, ist dies, da in der Kunst nichts unmöglich ist, auch in der Politik nicht unmöglich. Und heute ist zum Beispiel die Situation die, dass ganz gleichgültig wie das Verhältnis der drei zueinander auch sein mag, alle drei Länder sind heute am Erfolg Ungarns interessiert. Wenn Sie die Deutschen, die Russen oder die Türken fragen, was für eine Zukunft sie Ungarn wünschen, an was für einem Ungarn sie aus der Perspektive ihrer eigenen nationalen Interessen interessiert sind, dann wird man in allen drei Ländern antworten, man sei an einem erfolgreichen Ungarn interessiert. Und meiner Ansicht nach ist dies jene außenpolitische Position, die wir schwer ausgeformt, die wir auf beschwerliche Weise uns errungen haben, die es aber auch in der Zukunft aufrechtzuerhalten lohnt.

Schließlich gehört es auch zu den Charakteristika eines starken Ungarn, über Integrationsfähigkeit, zusammenhaltende Kraft und Willen zu verfügen. Das Wirken des Diaspora-Rates ist ein Beweis dafür, aber auch die im Karpatenbecken wirkenden ungarischen Gemeinschaften, die morgen durchzuführende MÁÉRT (Ständige Ungarische Konsultation) wird dies deutlich zeigen, die Aufrechterhaltung der nationalen Gemeinschaft mit ihnen gehört auch hierher. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, dass Ungarn über genügend Kraft verfügt, es nicht nur zu sagen, sondern auch etwas dafür zu tun, damit die Ungarn in ihrem Heimatland bleiben können. Das ist keine einfache Sache. Auch Sie kennen die Daten der mitteleuropäischen Bevölkerungsbewegungen, wie viele Menschen aus den mitteleuropäischen Ländern weggehen, in erster Linie in westeuropäische Länder. Das lässt auch die ungarischen Gemeinschaften nicht unberührt. Jetzt ist die Situation nicht mehr die, dass sie nach Ungarn kommen, wie dies zu Beginn der neunziger Jahre der Fall war, vielleicht gibt es das auch noch, sondern dass sie ohne Weiteres aus Ungarn in westliche Richtung weitergehen können. Das allgemeine europäische Übel hat also auch die ungarischen Gemeinschaften erreicht, und da es in unserem Interesse ist, das ist jetzt nationales Interesse, nicht einfach nur ein sozialer oder ein humaner Gesichtspunkt, dass die ungarischen Gemeinschaften in ihrer Heimat zurechtkommen können, müssen wir jetzt Möglichkeiten bieten oder diese im wirtschaftlichen Sinn unterstützen, damit es sich lohnt, in der Heimat zu bleiben. Deshalb haben wir die Politik der verantwortungsvollen Nachbarschaft verkündet, was zwei Dinge bedeutet. Erstens sind wir nicht daran interessiert, dass zwischen dem Grade der wirtschaftlichen Entwicklung Ungarns und dem der benachbarten Länder die Entfernung zunehme. Da wir aber auch nicht stehenbleiben möchten, da wir uns entwickeln wollen, möchten wir diesen Unterschied nicht auf die Weise verringern, indem wir zurückgehen oder stagnieren, sondern wir gehen voran, weshalb es eine einzige Lösung gibt: Wir versuchen sie mit uns mitzuziehen. Deshalb verfolgen wir ausgesprochen eine Wirtschaftspolitik, die nicht nur für Ungarn gut ist, aber auch für Serbien gut ist, für Kroatien gut ist, für Rumänien gut ist, und wenn man es zulassen würde, dann auch für die Ukraine gut wäre. Wir sind also daran interessiert, dass unsere Nachbarn sich mit der gleichen Geschwindigkeit entwickeln sollen wie wir, oder zumindest die Gebiete, die jenseits der heutigen Landesgrenzen Ungarns liegen, damit die Menschen von dort nicht weggehen wollen, sondern dortbleiben wollen. Das ist das Wesen der verantwortungsvollen Nachbarschaft, deshalb führen wir schon jetzt Wirtschaftsentwicklungsprogramme gemeinsam mit den Serben, den Rumänen, den Kroaten, ja auch mit den Slowaken im Interesse dessen durch, damit sich jene Gebiete, in denen Ungarn leben, sich entwickeln können. Ja, da unser wichtigstes wirtschaftspolitisches Ziel es ist, dass die Rendite unserer außerhalb Ungarns getätigten Investitionen die Summe erreichen soll, die das in Ungarn investierte Kapital als Rendite aus Ungarn hinausbringt, deshalb ist es unser Interesse, dass sich im Übrigen auch die Wirtschaft der benachbarten Länder entwickeln soll. Hierüber möchte ich nicht ausführlicher reden, aber wir haben auch ein Programm für Investitionen im Ausland. Auch dieses verfügt über eine zeitliche Perspektive von zehn-fünfzehn Jahren, wo das Ziel es ist – ich hatte ja gesagt, dass 85 Prozent des nationalen Gesamtprodukts Ungarn der Export darstellt, das bedeutet, große internationale Firmen arbeiten nicht aus sozialem Mitgefühl in Ungarn, sondern um für sich selbst Profit zu produzieren, und einen Teil dieses Profits nehmen sie regelmäßig mit nach Hause –. jetzt ist es das Ziel, dass die im Ausland tätigen ungarischen Firmen von dem dort erwirtschafteten Profit mindesten so viel nach Hause bringen sollen, wie die ausländischen Firmen aus Ungarn hinausbringen. Dazu sind große Investitionen notwendig. In der vergangenen Woche kam es zur größten Auslandsinvestition dieses Typs in der ungarischen Wirtschaftsgeschichte, als Mol einen amerikanischen Geschäftsanteil in Aserbaidschan gekauft hat, was eine Investition im Wert von mehr als einer Milliarde Euro bedeutet. Wir kommen in dieser Angelegenheit voran. Es gibt auch weniger spektakuläre Entwicklungen. Ich möchte nur signalisieren, dass die erstrangigen Zielpunkte von Investitionen solcher Art sich in erster Linie auf dem Gebiet der benachbarten Länder befinden, denn auf diese Weise können wir es erreichen, sowohl Profit zu produzieren als auch im Übrigen die Entwicklung dieser Länder zu unterstützen und das gemeinsame Wachsen und die gemeinsame Entwicklung Ungarns mit den benachbarten Ländern, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass die Ungarn zu Hause bleiben können sollen oder zumindest aus wirtschaftlichen Gründen nicht das Gefühl haben sollen, sie müssten ihre Heimatregion verlassen. Auf diese Weise fügen sich die Mosaiksteinchen ineinander.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zum Abschluss muss ich noch einen Satz sagen, und wenn Árpád es erlaubt, komme ich dann auch zum Ende dessen, was ich sagen will, und das ist Budapest selbst. Es ist nicht gleichgültig, was für eine Führung Budapest gerade hat, aber insgesamt spielt dies von einem bestimmten Gesichtspunkt aus keine Rolle, denn Budapest ist die Hauptstadt der Nation, und in die Nation ist die Diaspora mit inbegriffen. Es muss also einen Ort geben, daran führt kein Weg vorbei, im Fall einer in der Welt zerstreuten Nation muss es einen Ort geben, ich will nicht übertreiben, aber es muss im Grunde eine heilige Stadt geben, die die Stadt der Ungarn ist, die die Hauptstadt Ungarns ist, die die Hauptstadt der Nation ist, die die Stadt eines jeden Ungarns ist, und wohin man – wo immer man auch leben mag – im Leben zumindest einmal hingelangen muss. Ein bisschen so, wie für die Juden Jerusalem ihre Stadt ist, genauso ist für uns, Ungarn, Budapest die Hauptstadt der Nation. Und Budapest müssen wir aus diesem Grund, während es das Zuhause der Budapester ist, und es ist wichtig, für den Komfort der hier Lebenden zu sorgen, auch als Hauptstadt der Nation deuten. Und natürlich gehört die Stadt den hier Wohnenden, denn das ist ihr Zuhause, aber in Wirklichkeit auch jenes aller Ungarn, da es die Hauptstadt der Nation ist. Also ist Budapest für uns wichtig, und ich hoffe sehr, es wird diese seine Qualität, die es ihm im Übrigen gelungen ist zu erreichen, oder sich dieser zumindest anzunähern, auch in den kommenden Jahren nicht verlieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zum Abschluss, Verzeihung Árpád, es gibt noch eine Sache. Das ist eine wichtige seelische oder moralische Frage, deshalb möchte ich noch über sie reden, hier am Ende. Denn die gewichtigsten Gefechte der vergangenen Jahre und auch die schwierigsten Gefechte der vor uns stehenden Jahre hängen alle mit der Migration zusammen. Und Sie kennen den ungarischen Standpunkt, sprechen wir also geradeheraus: Wir haben eine die Einwanderung ablehnende Regierung, es ist besser, wenn auch wir das sagen, man sagt es sowieso über uns. Lieber sollten wir interpretieren, was das bedeutet. Wir sind gegen die Einwanderung, denn ein Land mit einer abnehmenden Bevölkerung darf sich nicht der Illusion hingeben, dass eine Person einer anderen entspricht, und wenn wir den natürlichen Schwund, wenn wir das, was wir durch den natürlichen Bevölkerungsschwund verlieren, dann durch die aus dem Ausland Kommenden werden ersetzen können, denn ein Mensch entspricht dem anderen. Es kann sein, dass es nach den Berechnungen der liberalen Wirtschaftspolitik so ist, denn zwischen der verlorenen Arbeitskultur und der Arbeitskultur der Hereinkommenden wird es immer einen Unterschied geben, wir sehen solche Probleme in der Welt, aber eine Person entspricht nicht der anderen. Einen Ungarn kann man nur durch einen Ungarn ersetzen, das ist unsere Auffassung, und wir sind gegen die Einwanderung, weil wir nicht möchten, dass Ungarn sich der Illusion hingibt, es könne das Problem der Bevölkerungsabnahme ohne eigene Anstrengung lösen. Das sollten wir nicht glauben, sondern uns daran erinnern, dass wir ein Problem haben, und wir etwas unternehmen müssen, damit wir solch ein Problem nicht haben. Und wir sollten nicht die einfache Lösung wählen, die einfache Lösung führt an einen schlechten Ort. Wir werden also deshalb die mit der Migration zusammenhängenden Auseinandersetzungen fortsetzen, denn die Welterscheinung der Migration wird nicht aufhören zu existieren, sie bleibt hier mit uns. Afrika rührt sich erst gerade. Bisher stellte Asien das Problem dar, Pakistan, Syrien usw., sie kamen aus über achtzig Ländern zu uns, als sie durch Ungarn hindurchgetrabt sind, doch die wirklich großen Massen werden sich dann in Afrika rühren. Wir benötigen also auch im Weiteren eine gegen die Einwanderung gerichtete Politik. Ich will nicht argumentieren, über den vorhin genannten demografischen Gesichtspunkt hinaus besitzen wir auch offensichtliche Sicherheitsinteressen, wir haben auch offensichtliche wirtschaftliche Interessen. Aber warum führe ich das hier an? Ich führe dies hier an, weil wir in der Frage der Einwanderung hart sind und ein ansehnlicher Teil der Menschen, die einwandern möchten, sind tatsächlich hilflose Menschen, in einer sehr schwierigen Situation lebende Menschen, und das verursacht immer ein seelisches Problem. Wir achten auf die Stellungnahmen des Vatikan in dieser Hinsicht, wir beobachten auch uns selbst, es ist kein so gutes Gefühl, notleidende Menschen mit sehr deutlicher, harter Entschlossenheit an der ungarischen Staatsgrenze aufzuhalten und klar zu machen, dass wir entsprechend den internationalen Regeln nur jene hereinlassen, die man laut der Genfer Konvention hereinlassen muss, aber Wirtschaftsmigranten lassen wir nicht herein, das ist keine einfache Arbeit. Dabei haben wir auch in Ungarn in der Politik viele Anhänger der Einwanderung, ohne jetzt die Frage der Parteizugehörigkeit an dieser Stelle miteinzubeziehen, aber wir sollten einsehen, dass es in der ungarischen Politik sehr viele Kräfte gibt, die die Einwanderung befürworten. Brüssel selbst ist eine Kraftzentrale der Einwanderung. Ein ansehnlicher Teil der Regierungsparteien in den westeuropäischen Ländern befürwortet die Einwanderung, sie denken über das Ganze anders als wir, weshalb wir ständig Angriffen ausgesetzt sind. Und das Wesentliche der Angriffe ist, dass unser Herz aus Stein sei, dass wir keine guten Menschen seien, wir jenen nicht helfen, die ansonsten Hilfe benötigten. Es ist sehr wichtig, in dieser Angelegenheit klar, kristallklar zu reden und deutlich auszusprechen: Die Ungarn sind gute Menschen, das ist ein gutes Land, das ist eine gute Nation, das ist eine nach dem Guten strebende Nation, und die Menschen sind durchaus offen für das Gute, ja sind auch bereit in seinem Interesse etwas zu tun, nur auf eine andere Weise als jene, die die Einwanderung befürworten. Unser Standpunkt ist, dass man die Hilfe dorthin bringen muss, und nicht das Problem hierher bringen. Denn das ist keine Lösung, wenn wir die Migranten hereinlassen, sondern die Lösung ist, ihnen bei der Schaffung eines lebenswerten Lebens dort zu helfen, wo sie geboren worden sind. Deshalb muss die Hilfe hingebracht werden und nicht das Übel hereingebracht. Jetzt wird es langweilig sein, was ich sagen werde, aber ich lese jene Hilfen vor, die Ungarn in den vergangenen Jahren auf dem durch die Migration betroffenen Gebieten geleistet hat.

Neubau der demolierten Wohnhäuser von Tell Askuf, einer Siedlung im Irak: 580 Millionen Forint. Ich werde nicht immer die Posten vorlesen, ich möchte Ihnen nur die Liste vorstellen. Einjahresunterstützung des Sankt Joseph Hospitals in Erbil mit Medikamenten: Diese zahlen wir alle. Neubau der Schule in Alqosh, Schulbau in Erbil, Unterstützung von Programmen zur Förderung des Verbleibs und der Rückkehr irakischer jesidischer Flüchtlinge, humanitäre Hilfeleistung für die Syrische Orthodoxe Kirche. Unterrichts-, kulturelle Projekte sowie solche zur Schaffung von Heimen in Latakia und in Homs. Wiedererrichtung eines Waisenhauses in Homs unter der Kooperation der polnischen und der ungarischen Regierung. Humanitäre Hilfeleistungen für die syrische Katholische Kirche: 310 Millionen Forint. Diözese Maidugur, Nigeria: Schul- und Krankenhausbau für 310 Millionen Forint. Diözese Sokoto, Nigeria – das sind übrigens christliche Gebiete – Schul- und Krankenhausbau: 324 Millionen Forint. Church of Christ In Nations, protestantische Kirche, Nigeria, Programme zur Unterstützung der Rückkehr und der landwirtschaftlichen Tätigkeit von Flüchtlingen: 162 Millionen Forint. Wiederaufbau der melkitischen Schule zusammen mit den griechischen Katholiken in Idlib. Rekonstruktion und Erhaltung der Riaya Schule in Damaskus im Wert von 794 Millionen Forint. Die Wiederbewohnbarmachung der Heime der nach Homs zurücksiedelnden Familien. Hilfe für Flüchtlingsfamilien in Jordanien, in Zusammenarbeit mit dem jordanischen Vikariat des Jerusalemer Lateinischen Patriarchats. Energetische Modernisierung der Schule in Marka. Priesterbildungsseminar- und Kirchenbau für die assyrische Ostkirche. Gemeinsam mit der syrischen maronitischen katholischen Kirche von Antiochia die Unterstützung der Tätigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Verbleib von Familien im Libanon. Rekonstruktion der mittelalterlichen Kirchen der libanesischen Heilig-Geist-Universität im Libanon. Zusammen mit der syrischen und libanesischen nationalen evangelikalischen Synode die Versorgung von Flüchtlingsfamilien. Gemeinsam mit der armenischen protestantischen Kirche die Versorgung von Flüchtlingsfamilien in Syrien: 310 Millionen Forint. Teilnahme am Programm offene Spitäler in Syrien, in Damaskus und in Aleppo die Unterstützung von Krankenhäusern, die eine kostenlose Versorgung anbieten im Wert von 505 Millionen Forint. Beitrag zum Wiederaufbau der über eine christliche Mehrheit verfügenden Stadt Karakosch gemeinsam mit dem syrischen katholischen Erzbistum in Mossul. Wiederaufbau der Um al Noor Volksschule in Erbil für 320 Millionen Forint. Unterstützung der Tätigkeit und der Erweiterung der Sank Raphaels Augenklinik in Mbuji-Mayi, ein phantastischer Mensch, Bruder Richárd Hardi, arbeitet dort; im Wert von 320 Millionen Forint. Wiederaufbau des Klosters der Trappisten-Zisterzienser-Schwestern in Tarkala in Syrien. Unterstützung des Migbare-Armenkrankenhauses in Addis Abeba. Unterstützung der Aufrechterhaltung des Flüchtlingslagers in Mai-Aini. Das gleiche noch einmal, im Wert weiterer 161 Millionen Forint. Das gleiche ein drittes Mal, im Wert von 161 Millionen Forint. Unterstützung der Tätigkeit der Malariaklinik im Staat Adamawa, gemeinsam mit der Nigerianischen Evangelischen Kirche. Das sind die staatlichen, ausgesprochen ungarischen staatlichen Programme. Und außerdem sichert noch die Ungarische Ökumenische Hilfsorganisation die Lebensmittelversorgung von nordirakischen inneren Flüchtlingen, in Alqosh, Karakosch, Baschiqa errichtet sie wieder Wohngebäude, Schulen und die Wassernetze. Fünf Schulen werden in Karamlesch, Baschiqa, Karakosch, Tel Kaif und das Wassernetz in Karakosch wiedererrichtet, und man führt auch ein Hilfsprogramm zur Unterstützung irakischer jesidischer Flüchtlinge sowie zu dem Zweck durch, sie vor Ort zu behalten. Der Ungarische Malteser Hilfsdienst unterstützt palästinensische und jordanische Projekte im Wert von 70 Millionen Forint, und in Aleppo wird die Wiederherstellung eines Krankenhauses durchgeführt. Und außerdem haben wir ein Stipendienprogramm für Jugendliche aus den von der Migration betroffenen Gebieten, die wir hierherbringen, ausbilden und danach nach Hause zurückschicken. Sie werden in ihren eigenen Ländern, im Allgemeinen wegen ihres christlichen Glaubens, an den Rand gedrängt, für sie haben wir ein gesondertes Stipendienprogramm im Wert von mehr als 1.380 Millionen Forint. Und außerdem haben wir noch ein Programm, das sich nicht nur auf die durch die Migration betroffenen Gebiete konzentriert, sondern es sind alle Länder darin enthalten, wenn wir Stipendien ohne Beachtung der konfessionellen Zugehörigkeit, auf nationaler Grundlage, zum Studium an Universitäten in Ungarn vergeben, zu 100 Prozent mit ungarischer staatlicher Finanzierung. Ich möchte Ihnen nur deutlich machen, dass während wir eine sehr bestimmte, gegen die Einwanderung gerichtete Politik verfolgen, Sie keinerlei Grund haben, sich deshalb zu schämen, weil wir zugleich unserer Behauptung treu sind, diese ernst nehmen, nach der man die Hilfe dorthin bringen muss und nicht das Problem hierher bringen. Ungarn ist ein gutes Land, das Land guter Menschen, und wo wir können, da helfen wir.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.