Erklärung von Viktor Orbán nach seinem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer
28. Juli 2022, Wien

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen guten Tag!

Wir haben ein ausgezeichnetes Gespräch geführt, bei dem wir eine Reihe von wichtigen Themen angesprochen haben. Das wichtigste Thema war die Migration und die damit verbundenen sicherheitsrelevanten Fragen. Wir haben die Frage des Krieges und in diesem Zusammenhang die Fragen unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit angesprochen und diskutiert, und wie Sie gehört haben, hatten wir auch Zeit uns mit intellektuellen Fragen auseinander zu setzen – wie die Geschichte und der Rassismus. Unsere beiden Länder verbindet eine besondere Beziehung. Wir kommen immer wieder gerne nach Österreich. Ein Ungar fühlt sich in Wien immer zu Hause, und ich glaube, dass sich viele, vielleicht sogar alle Österreicher in Budapest ebenfalls zu Hause fühlen. Wenn wir gute Zeiten erleben, fällt uns die Freundschaft leichter, wenn wir schwierige Zeiten erleben, fällt uns diese schwerer, und derzeit erleben wir schwierige Zeiten. Ich habe mich bei dem heutigen Gespräch gefragt, ob wir in den sehr schwierigen Zeiten, die vor uns liegen, auf unsere österreichischen Freunde zählen können, und ob uns diese besondere historische Freundschaft zwischen unseren beiden Nationen in den Themen Krieg, Migration, Energie und wirtschaftlicher Zusammenarbeit helfen wird. Ich möchte die Verhandlungen mit der Feststellung zusammenfassen, dass wir eine positive Antwort erhalten haben, und ich freue mich, den Bürgern Ungarns mittteilen zu können, dass wir in den kommenden Jahren auf Österreich und auf die Zusammenarbeit mit Österreich zählen können. Und natürlich beruht dies auf Gegenseitigkeit.

Was die kontroversen Themen betrifft, so stellt das Thema der Kernenergie eine schwierige Frage dar. Ich sehe keine Chance, in diesem Punkt einen gemeinsamen Standpunkt zu erringen, es sei denn, Österreich erlaubt uns, einige ungarische Wasserkraftwerke in Österreich bauen zu dürfen. Das wäre uns eine große Hilfe, wir haben nämlich keine Flüsse und Möglichkeiten, die unsere österreichischen Freunde haben, weshalb wir im ungarischen Energiesystem nicht auf die Kernenergie verzichten können, weshalb diese Debatte uns weiter beschäftigen wird. Wir werden uns dabei bemühen, zusammenzuarbeiten und uns gegenseitig so weit wie möglich Sicherheitsgarantien zu geben.

Ich habe mich auch davon überzeugen können, dass wir in den wichtigsten Fragen intellektueller Natur, in den Fragen von Antisemitismus und Rassismus, völlig übereinstimmen: Ich denke darüber das Gleiche, was der österreichische Bundeskanzler denkt. Außerdem denkt Ungarn nicht nur so, sondern ist stolz auf seine diesbezüglichen Leistungen. Ungarn hat fantastische Fortschritte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus gemacht, und unsere Regierung hat dabei eine Vorreiterrolle eingenommen. In Ungarn herrscht diesbezüglich Zero-Toleranz, Handlungen dieser Art werden auch gesetzlich verfolgt und dürfen im politischen Diskurs gar nicht vorkommen. Deshalb habe ich den Herrn Bundeskanzler gebeten, im Zweifelsfall bei sensiblen historischen oder intellektuellen Fragen geistiger Natur die Nachrichten über Ungarn immer nach einem kulturellen Konzept zu interpretieren. Eine biologische Herangehensweise an politische Themen ist in Ungarn gar nicht möglich; was jedoch möglich ist, ist eine kulturelle Annäherung an dieses Thema. Das ist selbstverständlich keine leichte Frage für mich, denn Sie wissen, dass ich vielleicht der einzige Politiker in der gesamten Europäischen Union bin, der offen gegen Einwanderung Stellung bezieht. Das heißt, dass ich nicht um das Thema herumrede und Andeutungen mache, ich rede nicht um den heißen Brei herum, sondern vertrete eine sehr klare und direkte Position. Aus diesem Grund definiere ich mich als ein Politiker gegen Migration und Einwanderung, und ich möchte nicht, dass Ungarn ein Einwanderungsland wird, und möchte nicht, dass die Migration in Ungarn stärker wird. Das ist der Standpunkt, den ich immer vertreten habe und auch weiterhin vertreten werde. Für uns beruht diese Frage nicht auf biologischer Grundlage und gilt nicht als eine Frage der Rasse, sondern als eine kulturelle Frage, und wir wollen ganz einfach unsere Zivilisation so erhalten, wie sie heute ist. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich unsere Situation von der Situation Österreichs, denn das Ausmaß der Einwanderung und der Migration in Ihrem Land und die dadurch verursachten Probleme haben ein ganz anderes Ausmaß als in Ungarn. Ich möchte gleichwohl klarstellen, dass wir unsere Grenzen immer schützen werden und damit ein Hindernis für jede Art von illegaler Migration nach Österreich bilden werden. Unabhängig daher davon, dass ich vielleicht eine andere philosophische Ansicht über Einwanderung und Migration als Ihr Bundeskanzler haben mag, sind wir uns über die konkreten Maßnahmen, die zu ergreifen sind, einig, in Anbetracht der Tatsache, dass es auch im Interesse Österreichs steht, dass Ungarn seine südlichen Grenzen schützt. Es ist eine Tatsache, mit der Sie leben müssen, dass wir Ihre Burgkastellane an der serbisch-ungarischen Grenze sind. Wenn wir unsere Grenzen dort nicht schützen würden, würden in Ihr Land Hunderttausende von Migranten und Einwanderern illegal einreisen. Die einzige Möglichkeit für Sie, dies zu vermeiden, besteht darin, dass Ungarn seine südlichen Staatsgrenzen schützt. Wir würden es begrüßen, wenn wir dies nicht tun müssten und Serbien seine eigenen südlichen Grenzen schützen würde, denn dann würde sich dieser Konflikt nicht an der serbisch-ungarischen Grenze und nicht an der österreichisch-ungarischen Grenze abspielen. Es liegt also in unser aller Interesse, dass Serbien in der Lage ist, seine eigenen Grenzen so weit südlich wie möglich zu schützen. Deshalb habe ich dieses Treffen initiiert, von dem ich hoffe, dass wir uns gegenseitig und auch Brüssel Vorschläge unterbreiten können, wie wir unsere Grenzen vor illegaler Migration schützen können. Ich möchte also klarstellen, dass dies mein Standpunkt ist. Es mag manchmal vorkommen, dass ich mich missverständlich ausdrücke, aber ich habe den Herrn Bundeskanzler gebeten, alle diesbezüglichen Informationen hierzu in den kulturellen Kontext zu stellen, denn in Ungarn stellen diese Ausdrücke und Sätze sowie die Position, die ich vertrete, eine kulturelle, zivilisatorische Position dar. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich stolz auf die Erfolge bin, die Ungarn in den letzten Jahren im Kampf gegen den Rassismus zu verbuchen hat.

Wir haben auch über den Krieg gesprochen. In diesem Zusammenhang ist uns klar, dass dieser Krieg in dieser Form nicht zu gewinnen ist. Das habe ich auch Herrn Bundeskanzler ganz offen gesagt. Nach ungarischer Einschätzung ist das Konzept, dass die NATO die Ukraine mit Waffen und Ausbildungsoffizieren unterstützt, während die Ukrainer gegen die Russen kämpfen, ein Konstrukt ist, von dem es sich bis heute bereits herausgestellt hat, dass dies nicht zu einem Sieg der Ukraine führen wird. Dies ist eine Strategie, die geändert werden muss. Wir nehmen selbstverständlich zur Kenntnis, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die ganze Strategie des Westens zu ändern, aber wir möchten unseren westlichen Freunden signalisieren, dass es ohne einen Strategiewechsel keinen Frieden geben wird. Ohne Frieden jedoch werden wir keine der Probleme lösen können. Wir werden keine Energie haben und die gesamte Europäische Union wird in eine Situation der Kriegswirtschaft hinein driften. Wenn in Brüssel der Energienotstand ausgerufen wird, ist dies bereits das erste Anzeichen einer Kriegswirtschaftslage. Wenn man den Zugang zu bestimmten Gütern einschränken muss, ist bereits das ein erstes Anzeichen einer Kriegswirtschaftssituation. Und wenn wir nicht irgendetwas für den Frieden unternehmen, werden wir in eine vom Krieg geprägte Wirtschaftssituation abdriften, die viel schlimmer sein wird als das, was wir uns jetzt vorstellen, nämlich, dass die Preise für einige Produkte steigen und einige Waren knapp werden. Wenn das Ganze nämlich so weitergeht, werden wir noch viel mehr Probleme bekommen. Es ist unklar, wie wir eine Rezession in der gesamten Europäischen Union vermeiden können, wenn der Krieg weitergeht. Und eine Rezession hat schreckliche Folgen, denn sie führt unter anderem zu Arbeitslosigkeit. Es geht nicht nur darum, dass wir die Heizung ein oder zwei Grad zurückdrehen müssen; wenn es eine Rezession gibt, wird es Arbeitslosigkeit geben. Sie wird uns sowohl wirtschaftlich als auch in Bezug auf die politische Stabilität zu schaffen machen. Wir müssen deshalb alles in unserer Macht stehende für den Frieden tun. So lautete heute die Botschaft Ungarns an Österreich.

Was die Wirtschaft betrifft, habe ich mich beim Herrn Bundeskanzler für die großartige Leistung der österreichischen Unternehmen in Ungarn bedankt. Seine Zahlen waren bescheidener als meine, denn wir zählen 2.000 österreichische Unternehmen, die in Ungarn tätig sind, 2.000 österreichische Unternehmen, und diese 2.000 österreichischen Unternehmen stellen die zweitgrößte Investitionsgemeinschaft in Ungarn dar. Es ist daher nur leicht übertrieben zu sagen, dass die ungarische Wirtschaft ohne österreichische Investoren heute nicht funktionieren würde, aber sie würde sicherlich nicht auf dem Niveau funktionieren, auf dem wir uns heute befinden. Und es liegt in Ungarns elementarem Interesse, weitere österreichische Investitionen nach Ungarn zu holen. Ich habe dem Bundeskanzler nicht verschwiegen, dass auch wir nicht nur als Arbeitnehmer in der österreichischen Wirtschaft präsent sein wollen, sondern früher oder später auch als Investoren auftreten möchten, und ich hoffe sehr, dass die stärker werdenden ungarischen Unternehmen die Möglichkeit erhalten werden, als Investoren in der österreichischen Wirtschaft zu erscheinen.

Alles in allem hatte ich daher ein in die Zukunft gerichtetes und die strategische Allianz stärkendes Gespräch mit Ihrem Bundeskanzler geführt, das die Zusammenarbeit in konkreten Fragen angeregt hat, wofür ich Herrn Bundeskanzler sehr dankbar bin.

Herzlichen Dank!