Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
8. Mai 2020

Katalin Nagy: Von Tag zu Tag nimmt die Zahl der durch das Coronavirus Infizierten ab, am heutigen Tag gerade um 28. Wir befinden uns in der zweiten Phase der Verteidigung. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán! Sind Sie mit den Erfahrungen der Lockerungen auf dem Lande zufrieden?

Ich begrüße die Zuhörer, guten Morgen! Ich werde dann zufrieden sein, wenn wir dieses elende Virus ausgemerzt haben werden, doch das geht ohne Impfstoff nicht, aber den gibt es nicht, und vorerst verheißen uns auch die Wissenschaftler der Welt kein schnelles Ergebnis. Es gilt also auch weiterhin, dass wir aufeinander aufpassen sollen, es ist auch weiterhin wichtig, dass kein Ungar allein bleibt, allein ist. Es ist auch weiterhin wichtig, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen, dass wir überlegt sind, dass wir unser Gesicht dort, wo dies notwendig ist, verdecken. Während wir also meiner Ansicht nach beim Neustart des Lebens ein schönes Ergebnis erzielt haben, dürfen wir gleichzeitig nicht ins andere Extrem verfallen, und so tun, als wäre es mit der Seuche vorbei. Und die politischen Entscheidungsträger, aber meiner Ansicht nach auch Sie, Journalisten, sind der Gefahr ausgesetzt, dass – nachdem wir uns schon seit Monaten mit der Coronavirus-Epidemie beschäftigen, und sowohl Sie, Journalisten, als auch die Entscheidungsträger hunderte von Artikeln und Analysen gelesen haben, meiner Ansicht nach haben wir bereits mehrere tausend Seiten hinter uns – man das Gefühl hat, langsam selbst zu einem Experten geworden zu sein, und das ist sehr gefährlich. Also ist das Wichtigste, was ich für uns sagen kann: Wir sollten bei unseren Leisten bleiben, wir sollten also nicht glauben, wir wären Experten in der Virologie geworden! Wir sollten die Welt auch nicht von hier betrachten – bleiben wir politische Entscheidungsträger und die Journalisten bleiben Journalisten! Und lassen wir den Raum den Wissenschaftlern, den Ärzten, den Professoren, damit sie uns jene Analysen anfertigen, auf Grund derer wir dann die Entscheidungen fällen können. Die Verantwortung ist natürlich die unsere. Die Verantwortung für die Entscheidung kann man ebensowenig den Professoren und den Wissenschaftlern in die Schuhe schieben wie auch die Verantwortung für die korrekte Berichterstattung, man muss es auf sich nehmen, also die Entscheidung und die Verantwortung, aber wir sollten nicht glauben, dass wir jetzt schon mehr Ahnung davon haben als jene, deren Beruf das ist, und wir sollten uns auch weiterhin bei allen unseren Entscheidungen – das empfehle ich uns – auf die Wissenschaftler, die Ärzte und die Professoren stützen. Den Operativen Stab muss man arbeiten lassen, das Kollegium der Fachleute für den Seuchenschutz muss man arbeiten lassen, auf die Messungen muss man achten, und die Meinung möglichst vieler Ärzte heranziehen. Das ist ein alltäglicher Bestandteil meines Lebens.

Wann ist hier in der Hauptstadt oder im Komitat Pest die Lockerung der Beschränkungen zu erwarten?

Warum verweise ich jetzt vor Ihnen darauf? Aus dem Grund, da sie alle viel vorsichtiger sind als die Durchschnittsmenschen. Die Ärzte, die Virologen, die Professoren, die Wissenschaftler, die Forscher, sie sind also alle vorsichtiger. Es mag also für die Ungarn im Allgemeinen charakteristisch sein, dass wir uns leicht begeistern, wenn wir das Gefühl haben, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, doch kann man nie wissen, ob das nicht etwa der Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges ist. Das haben wir bereits gelernt, und die Ärzte haben uns darauf aufmerksam gemacht, und sie sind zurückhaltend, und sie mahnen zur Vorsicht und schlagen ein stufenweises Vorgehen vor, und sie schlagen das Bedecken des Gesichts vor, den Schutzabstand, und sie werden nicht müde, zu betonen, dass wir mit dem Gebrauch der Schutzmasken und der Einhaltung des Schutzabstandes aufeinander achten. Also achten wir auch weiterhin aufeinander! Deshalb stehe ich auf der Seite des Neustarts des Lebens. Sowieso, wir sind ja eine christdemokratische Regierung, wir stehen auf der Seite des Lebens. Das ist unsere grundlegende Attitüde oder unser Verhältnis zur menschlichen Existenz. Wir starten also das Leben mit Freuden neu. Nicht die Wirtschaft, das ist sehr wichtig. Die Wirtschaft ist Teil unseres Lebens, aber nicht identisch mit unserem Leben, und es ist die Aufgabe der Wirtschaft, unserem Leben zu dienen sowie die materiellen Grundlagen dessen zu erschaffen, was wir uns in unserem Leben erdacht haben. Die beiden Dinge dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Also obwohl die Wirtschaft sehr wichtig ist, spreche ich doch über den Neustart des Lebens. Und ich würde eilen, eilen, eilen, aber den Saum meines Jacketts halten die Professoren doch fest umklammert, und sie sagen: „Nur vorsichtig!“ Sie sagen zum Beispiel auch im Fall von Budapest, wir sollten darauf warten, dass die Sterberate und die Zahl an Todesfällen abnehmen. Solange also die Sterblichkeitsrate nicht abnimmt und Budapest sowie das Komitat Pest auch weiterhin die überwiegende Mehrheit der verlorenen Leben aufweisen, sollten wir mit der Öffnung Budapests vorsichtig sein. Diese Woche öffnen wir auch nicht. Die nächsten weiteren Schritte, die nächsten Schritte des Neustarts des Lebens können am frühesten am Ende der kommenden Woche erfolgen.

Ein jeder hat sich darüber gefreut, dass das Abitur, die vielen Abiturienten diese Woche ihre Pflicht erfüllt haben, und es kein Stocken gab. Die Schulen haben diese Abläufe gut organisiert. Dies beweist wiederum, dass wenn wir sehr vorsichtig, sehr umsichtig vorgehen, dann kann man das Leben doch wieder starten. Und wir sehen, auch das Gesundheitswesen ist neu gestartet. Sicherlich gibt es dabei holprige Momente, das kann und muss man sicherlich auch nicht in Abrede stellen.

Die politischen Debatten verirren sich ja häufig auf das Gebiet des Unterrichtswesens, und wie das zu sein pflegt – denn es liegt in der Natur der politischen Diskussionen, zumindest in der heutigen Welt –, werden die Zustände vereinfacht oder das Bild, das über die Zustände gezeichnet wird. Deshalb haben diese Debatten keine gute Wirkung auf den Unterricht. Es ist zu einer Glaubensfrage geworden, ob das denn nun gut oder schlecht sei. Und natürlich ist es nie vollkommen gut und nie vollkommen schlecht. Jetzt wurde das Unterrichtswesen zum Beispiel getestet. Wir haben sehr nützliche Erfahrungen gesammelt und auch die am heftigsten debattierenden Politiker können ein bisschen vorsichtiger werden, wenn sie über das Unterrichtswesen sprechen. Eine vollkommen unbekannte, unerwartete Aufgabe, die Umstellung von dem auf der persönlichen Begegnung basierenden Unterricht auf einen digitalen Unterricht, hat man auf eine Weise gelöst, wie sonst nirgendwo in Europa. Möglicherweise übertreibe ich und bin gegenüber unseren eigenen Lehrern voreingenommen, aber ich habe, als ich die Fälle studierte, wer, wo was getan hat, keine solche Umstellung mit so wenigen Missgeschicken, nicht ohne Missgeschicke, denn die gab es doch, aber mit so wenigen habe ich sonst nirgendwo in Europa gesehen. Und soweit ich das sehe, sind die Frauen erschöpft, wir treffen also viele von ihnen, sie sagen, es wäre jetzt aber schon gut, wenn…

Die Kinder zurück in die Schule gingen?

Ich verstehe das, habe ich doch auch fünf Kinder aufgezogen, ich weiß, wie das ist. Aber auch die Eltern haben eine ernsthafte Rolle bei der Lösung dieser neuen Situation auf sich genommen, doch die Pädagogen haben diese Prüfung ohne jeden Fehler bestanden. Natürlich gibt es immer dissonante Stimmen. Jetzt habe auch ich bei dem Abitur gesehen, dass es einige Stimmen gab, vielleicht auch unter den Pädagogen, doch unter den Abgeordneten waren es mit Sicherheit mehrere, die sagten, man könne es nicht machen, es sei gefährlich, man darf es nicht, es sei unverantwortlich. Sie haben also der Politik und der Regierung einen schönen Tritt verpasst. Doch die Wirklichkeit hat etwas anderes gezeigt. Gerade heute früh habe ich mir die Berichte angesehen, und dort habe ich die Angabe gefunden, nach der lediglich drei Prozent der Schüler sagten, sie würden lieber nicht zum Abitur gehen. So viele von uns hatten sich auch damals erschreckt, als wir zum Abitur mussten. Das ist also keine besonders hohe Zahl, doch die wichtigste Sache ist, dass auch ihnen nichts geschieht. Es gibt also keine Vergeltung. Sie sind nicht gekommen, dann sind sie eben nicht gekommen. Sie haben zwar ein Jahr ihrer normalen Ausbildung verloren, aber das ist keine Tragödie, dass wird man noch nachholen können, mit ihnen gibt es also keine Probleme. Aber 97% sind zum Abitur gegangen, haben es abgelegt, es vollbracht und erweisen sich als gereift, stehen also bereit für das Erwachsenenleben, so hoffe ich. Ich wünsche all jenen, denen noch Prüfungen bevorstehen, viel Erfolg! Unser Unterrichtswesen hat also die Prüfung gut bestanden. Viele Menschen fragen, ob die Schulen noch vor den Ferien geöffnet werden. Ich ziehe den Satz in die Länge, oder ich weiß gar nicht, wie ich es formulieren soll. Ich bin sehr unsicher, und ich sehe nicht, dass die Voraussetzungen dafür vorhanden wären, also seitens der Eltern und der Pädagogen diese vorhanden wären. Denn während sie möchten, dass die Schulen wieder starten sollen, so lassen sie ihre Kinder in keiner großen Zahl dorthin. Schließlich sind ja auch die Kindergärten sowie die Kinderkrippen und auch die Schulen auf, und dort werden die Kinder nicht nur aufbewahrt, sondern wir bieten ihnen dort auch die Ausbildung. Also wir beschäftigen uns mit ihnen. Trotzdem sehe ich, dass die Eltern nur zu einem sehr geringen Anteil, in geringer Zahl ihre Kinder hinschicken. Und daraus folgere ich, dass der große Bedarf nach der Öffnung der Schule – obwohl viele darüber sprechen – trotzdem nicht stark genug ist. Er zwingt uns also nicht, das mit der Öffnung der Schulen verbundene Risiko auf uns zu nehmen. Wenn es natürlich einen massenhaften Bedarf und einen Druck auf uns geben wird, dann werden wir natürlich darüber nachdenken, aber vorerst sehe ich so etwas nicht.

Sind die notwendigen medizinischen Apparaturen alle schon da?

Wir haben sehr wichtige Lehren im Laufe der Seuche gesammelt. Auch ich selbst war vielerorts und habe die Besorgung der notwendigen Instrumente als meine persönliche Verantwortung empfunden. Es gab auch eine Debatte darüber, ob es richtig ist, wenn der Ministerpräsident in Krankenhäusern erscheint, er selbst die Verteidigung leitet. Und das ist im Übrigen eine berechtigte Frage. Ich sage darauf auch nicht sofort, ja, es sei richtig, denn es hängt von der jeweiligen Situation ab. Es gibt Momente, in denen man die Verteidigung persönlich leiten muss, und es gibt Krisen, in denen man eher den Innenminister oder eben den Gesundheitsminister dazu ermächtigen muss. Ich empfinde es jetzt als wichtig, die Verteidigung selbst zu leiten. Nicht weil ich mich im Gesundheitswesen gut auskennen würde, dessen kann man mich kaum bezichtigen, doch ist mein nüchterner Verstand am rechten Fleck, und ich weiß, wie man sich in Zeiten von Krisen verteidigen muss, denn dies ist nicht die erste Krise, die ich sehe. Ich habe sowohl eine Wirtschaftskrise als auch eine Migrantenkrise gesehen, ich habe Hochwasser gesehen, ich habe auch Rotschlamm gesehen. Ich habe also schon viel erlebt, aber ich dachte, in dieser Krise, die eine gesamteuropäische Krise ist, muss man den ungarischen Menschen beweisen, dass der ungarische Staat treu zu ihnen ist. Wir pflegen ja den Begriff der staatsbürgerlichen Treue zu benutzen, und darunter verstehen wir immer, dass der Staatsbürger treu zu dem Staat sein soll. Das ist aber keine Einbahnstraße, das muss auch umgekehrt funktionieren, der Staat muss also treu zu seinen Bürgern sein. Was bedeutet das? Wenn es eben Probleme gibt, dann lässt er sie nicht im Stich. Und der Staat kann auf die Weise treu sein, indem die Regierung dort an der Seite der Menschen ist, kein Ungar darf alleine bleiben. Auch der Ministerpräsident persönlich ist dort, denn er leitet ja die Regierung, und so auch das staatliche Leben. Er ist da an der Seite der Menschen und beweist: „Ja, es hat einen Sinn, dass ihr zu eurer Gemeinschaft und dem Staat treu sein sollt, denn auch der Staat ist treu zu Euch.“ Und dann kann man mit der notwendigen Kraft zeigen, dass selbst der Ministerpräsident eine persönliche Rolle sowie Verantwortung in der Verteidigung übernimmt. Insgesamt habe ich auch aus diesem Grunde auf die Besorgungen nicht so geblickt, dass Herr Außenminister Szijjártó diese schon erledigen wird, sondern ich habe sie unter ständiger Kontrolle gehalten. Ich habe ständig darauf geachtet, dass kein einziger Mensch unversorgt bleibt, weil es keine ausreichenden Mittel gibt. Doch gibt es noch eine Sache, die ich gelernt habe: Es ist schön, wenn man oder Ungarn über einen talentierten und agilen, in der Arbeit vielleicht auch noch den Ministerpräsidenten übertreffen könnenden Außenminister besitzt – obwohl dies ein großer Wettlauf ist, denn ich gebe mich nicht leicht geschlagen –, aber wir dürfen den Erfolg des Krisenmanagements des Landes nicht dem Umstand überlassen, ob wir ausreichend zur Verteidigung notwendige Mittel erwerben können. Also während die Luftbrücke funktioniert, wir all das hierherbringen, was wir brauchen, wie die alten Soldaten es ausdrücken, wir „aufstocken“, während also die zur Verteidigung für mehrere Monate notwendigen Mittel schön geordnet, zusammengefaltet in den Lagerräumen stehen, habe ich gelernt, dass wenn wir über keine eigene Produktion verfügen, dann haben wir vergeblich Freunde in der Welt, es kann eine Situation sich ergeben, in der wir ausgeliefert sind. Deshalb müssen wir in der Lage sein, Masken, die in Ungarn benötigt werden, selber herzustellen. Die Produktionsanlagen werden im Übrigen gerade montiert. Es gibt welche, die schon arbeiten, andere werden hiernach von uns in Betrieb genommen. Wir müssen selbst Beatmungsgeräte herstellen können. Alle zur Verteidigung notwendigen Mittel, wenn es einen Impfstoff geben wird, dann auch diesen, die zum Testen notwendigen Stoffe, Reagenzien, all das muss die ungarische Industrie herstellen können. Mag sein, dass dies in Friedenszeiten nicht notwendig ist, und das in Friedenszeiten nur Ausgaben bedeutet, denn man erhält Kapazitäten aufrecht, die gerade nicht benötigt werden, aber die Lehre ist, dass wenn es Probleme gibt, du nur auf dich selbst, wenn es wirklich große Probleme gibt, du nur auf dich selbst zählen kannst. Auch Ungarn kann nur auf sich selbst zählen. Diese Kapazitäten müssen also errichtet werden. Diese Arbeit wird jetzt durchgeführt.

Sie haben den Vorsitzenden der Volkspartei einen Brief geschrieben. Habe Sie schon eine Antwort erhalten? In diesem Brief hatten Sie ja geschrieben, über Ungarn würden Falschmeldungen verbreitet, und ein jeder soll ruhig das ungarische Coronavirus-Gesetz lesen, darin ist nichts enthalten, was dem Rechtsverständnis der Europäischen Union entgegengesetzt wäre. Doch das haben nicht Sie als erster gesagt, sondern die Zuständige der Europäischen Kommission, Vera Jourová, hat dies schon zweimal erklärt.

Das ist eine schwierige Frage, die Sie da ansprechen, denn es geht nicht darum, wer lügt, da wir wissen, sie lügen und wir sagen die Wahrheit, und es ist auch klar, dass wir die Wirklichkeit, über die wir reden, kennen, und sie kennen sie nicht. Das ist im Übrigen ein allgemeines Problem, denn es ist – ohne dass ich jetzt Ihr Metier beschimpfen würde, aber es ist – immer schwieriger aus den Medien zuverlässige Informationen über die in anderen Ländern ablaufenden Prozesse zu sammeln. Ich verstehe also, dass derjenige, der in Westeuropa Zeitung liest und sich auf Grund dessen eine Meinung über die Situation in Ungarn bilden möchte, in keiner leichten Situation ist, und Ungarisch sprechen nur sehr wenige Menschen. Davon ganz zu schweigen, dass zum Verständnis eines Landes nicht nur Sprachkenntnisse nötig sind, sondern man muss auch die Kultur jenes Landes, also auch die kulturellen Zusammenhänge der jeweiligen politischen Auseinandersetzungen kennen, was für ein ungarisches Herz und für eine ungarische Seele wichtig ist und was nicht. Das, was in einem Land als unvernünftig erscheint, ist in einem anderen Land ganz selbstverständlich. Wer über keine kulturellen Kenntnisse verfügt, kann wohl kaum eine ernsthafte Meinung, eine seriöse und zuverlässige Meinung über die politischen Debatten eines anderen Landes artikulieren. Mit diesen Schwierigkeiten haben alle europäischen Entscheidungsträger zu kämpfen. Doch die Wahrheit ist, dass in Europa eine große Schlacht im Gang ist und alle Konflikte können entsprechend ihrer Logik angeordnet und verstanden werden. Das Zeitalter, in dem wir leben, das große internationale politische System der Zusammenhänge der heute lebenden Ungarn, in dem wir unser Leben leben, ist, ob es in Europa ein Imperium geben und aus Europa ein Imperium werden wird, oder ob die Nationalstaaten erhalten bleiben? Und wir Ungarn, die wir unsere Heimat lieben, wir denken, unser Land sei das schönste Land der Welt, und wir besitzen eine tausendjährige staatliche Geschichte, wir wollen überhaupt nicht in irgendeinem Imperium aufgehen. Wir wollten auch nicht in dem Reich der Türken aufgehen, wir haben uns dagegen auch in dem der Habsburger gesträubt, und sind von dort raus, so wie wir das konnten, dabei die Notwendigkeit der Kooperation einsehend, aber die Formen der Unabhängigkeit suchend. Und so, wie wir das 1956 an die Wand geschrieben hatten, „Wir sind in 150 Jahren nicht zu Türken geworden.“ so sind wir auch während der 41 und einige Jahre dauernden Besatzung auch nicht zu Sowjets geworden und wir wollten uns auch gar nicht eingliedern und im Sowjetreich verbleiben, aber wir wollen auch nicht Teil eines europäischen Reiches werden. Und jene, die in Europa ein Imperium errichten wollen, wollen die Nationalstaaten in eine Reichsordnung hineinzwingen. Der elegante Name dafür – denn sie können hübsch darüber reden – lautet Vereinigte Staaten von Europa. Wir wollen davon verschont bleiben und wir möchten Ungarn bleiben, und wir wollen, dass Ungarn Ungarn bleibt. Und da die gegenwärtige ungarische Regierung auf dieser Grundlage steht, werden die Anhänger des Imperiums, die Baumeister des Reichs immer jede Gelegenheit nutzen, um die ungarische Regierung zu schwächen. Bei der spannendsten und interessantesten Belastung dieser Debatte, die seit zehn und einigen Jahren zwischen der Europäischen Union, den Brüsseler Bürokraten und Ungarn geführt wird, geht es gerade darum, dass sie Dinge attackieren, die hier in Ungarn von der bei weitem überwiegenden Mehrheit der Menschen unterstützt werden. Woraus ergaben sich Probleme? Wir haben die Bankensteuer eingeführt, die ein klarer Beweis unserer nationalen Souveränität ist. Die Brüsseler Bürokraten haben sie sofort attackiert. Die Menschen hier in Ungarn haben diese Steuer zu achtzig Prozent unterstützt. Die Senkung der Nebenkosten. Wir wollten nicht, dass die Multis noch weiteren Gewinn auf Kosten der ungarischen Menschen ziehen. Die im Rahmen großer europäischer Firmen denkenden Brüsseler Bürokraten haben uns attackiert. Achtzig Prozent der ungarischen Menschen standen auf der Seite der Senkung der Nebenkosten. Ebenso im Fall der Migration. Jetzt ist hinsichtlich des eigenen nationalen Weges im Umgang mit der Seuche das gleiche der Fall. Es ist also deutlich erkennbar, dass sich diejenigen, die uns attackieren, überhaupt nicht für Demokratie interessieren, denn die Demokratie und der Volkswille und die Mehrheitsmeinung stehen im Allgemeinen hinter dem Standpunkt der ungarischen Regierung. Wir tun Dinge, die die Menschen wollen, um die sie uns bitten, die sie von uns erwarten. In der Debatte geht es also nicht um die Demokratie, sondern um das Imperium und die nationale Unabhängigkeit.

Ja, und ich glaube, das Ziel ist nicht, dass jetzt Donald Tusk sich im wahrsten Sinne des Wortes bei Ihnen entschuldigen soll, obwohl er das offensichtlich tun könnte, denn es war nicht wirklich elegant, die ungarische Regierung und den ungarischen Ministerpräsidenten des Nazismus zu bezichtigen, sondern das Ziel wäre doch, nicht wahr, dass man den Tatsachen glauben sollte.

Eher schon, ja. Das Ganze ist auch deshalb schwierig – ich bin in meiner Antwort von hier ausgegangen, habe dann aber einen Abstecher in die Welt der Imperien getan, aber – es ist auch deshalb schwierig zu entscheiden, wann wir wie reagieren sollen, denn in den einfachen alltäglichen Verhältnissen eines normalen Menschen wird dieser, wenn er von jemandem verleumdet oder beschuldigt wird oder jemand ungerecht über ihn spricht, dann wird er zu diesem Menschen hingehen und sagen: „Hör damit auf! Warum tust du das?“ Er versucht das Problem zu lösen, und wenn es sein muss, dann stimmt er kräftigere Töne an. Und wenn das das zehnte Mal geschieht, dann zuckt er mit der Achsel, und geht kein weiteres Mal hin. Und er sagt: „Ein Irrer redet wirres Zeug.“ Jetzt ist das Dilemma in der Politik ein ähnliches. Wann muss man mit der Achsel zucken und lassen, dass dieser unbegründete Angriff von uns abprallt, und wann ist der Moment gekommen, in dem man sagen muss: „Stopp! Bis hierher und nicht weiter!“ Und hierbei handelt es sich um keine persönliche Angelegenheit, besonders um keine persönliche Angelegenheit der Regierung und des Ministerpräsidenten, sondern hier geht es um die Ehre des Heimatlandes. Es kommt also vor, dass wir uns diese unbegründeten Angriffe auf die Weise abschütteln müssen wie ein Hund das Wasser. Es schadet auch nicht, von Zeit zu Zeit darüber zu lachen, und ein bisschen zu spotten oder zu scherzen, das wäre vielleicht der bessere Begriff, darüber zu scherzen oder einen ironischen Tonfall anzuschlagen, doch gibt es auch Momente, in denen man sagen muss: „Stopp! Bis hierher und nicht weiter!“ Also das geht doch nicht, dass hier zu Hause zehntausende von Menschen in Lebensgefahr sind, das halbe Land kämpft darum, diesen Menschen das Leben zu retten, und wenn du dich dann mit all deinen Kräften diesen Menschen zuwendest und leben rettest, du also ungeschützt bist, da tritt man dich von hinten. Wegen dem nun müssen wir doch unseren Zeigefinger erheben und sagen: „Bis hierher und nicht weiter!“ Hier muss ein kräftigerer Tonfall angeschlagen werden, man muss die Debatte auf sich nehmen und man muss sagen: „So nicht!“ Denn wenn wir das nicht tun, dann werden sie es auch das nächste Mal tun. Wir müssen es also klarstellen, Wir müssen also klarstellen, dass man sich mit den Ungarn nicht ohne Konsequenzen anlegen kann, besonders nicht in einer Situation, in der sie Probleme haben. Wir vergessen nicht, wir merken es uns und wir werden unsere Rechnungen begleichen.

Aber Herr Ministerpräsident, lohnt es sich in der Europäischen Volkspartei, über Kooperation zu reden?

Ja. Denn während es Diskussionen gibt, wie dies in einer Familie zu sein pflegt, dürfen wir nie vergessen, dass wir an einen Ort gehören. Nicht zufällig sind wir an einem Ort. Und das wir gerade scharfe, ja schwere, ja häufig verletzende und beleidigende Debatten haben, ändert nichts an der Tatsache, dass wir zu einer Familie gehören, und so lange es geht, muss man daran arbeiten, die Familie zusammenzuhalten. Das gelingt nicht immer, hierfür sehen wir zahlreiche Beispiele auch im Alltagsleben, doch der anständige Mensch arbeitet daran, solange es möglich ist, die Familie zusammenzuhalten, denn die Kooperation, die Zusammenarbeit bedeutet immer mehr Sicherheit und Glück für das Leben als das Auseinanderstreben. Dann stellt sich natürlich heraus, dass das nicht geht. Wie viele solche Familien sehen wir denn? Und das ist auch in der Politik so. Dann muss man natürlich ein neues Kapitel aufschlagen, und man muss versuchen, eine Lösung zu wählen, die für alle, allen betroffenen Seiten, für jedes Familienmitglied gut ist. Doch solange es geht, versuchen wir sie lieber zusammenzuhalten. Das ist auch in der Politik ein Gesetz.

Sie haben zu Beginn des Interviews dahingehend formuliert, der Neustart des Lebens sei am wichtigsten. Natürlich sei auch der Neustart der Wirtschaft sehr wichtig, doch ist der Neustart des Lebens am wichtigsten. Wir haben gehört, laut den Angaben des Ungarischen Zentralen Amtes für Statistik zeigen die Daten im März in der industriellen Produktion einen Rückgang von 5,6%.

Das wird auch noch schlimmer werden, verzeihen Sie mir, dass ich die Hörer früh am Morgen damit schockiere, doch werden die Daten vom April brutal sein. Jetzt sprechen wir noch über das erste Quartal, und das Virus begann irgendwie schon um den 10. März herum mit seiner zerstörerischen Wirkung auch in der Wirtschaft. Also wurden die Daten für das erste Quartal noch durch die schlechten Daten eines Dreiviertelmonats herabgezogen. Doch der April war aus der Sicht der Wirtschaft bereits im vollen Umfang grässlich, und deshalb werden wir für den April noch schlechtere Zahlen sehen. Und auch die Zahlen für den Mai werden schlecht sein, denn jetzt sind wir gerade in diesem Monat, die Krise dauert noch an, doch werden sie besser sein als jene des April. Und die vom Juni werden, wenn der liebe Gott uns hilft, die werden dann schon viel besser sein als jene vom Mai oder eben die aus dem April. Wir machen also jetzt einen schwierigen Zeitraum durch. In solchen Momenten ist immer die Frage, weil es viele Probleme auf einmal gibt, was wir als Ursache wählen? Wo sehen wir die Wurzel des Übels? Denn darauf muss man sich konzentrieren, das Übel an der Wurzel anzupacken. Und ich sehe das Problem beim Verlust der Arbeitsplätze. Ich glaube also, dass die Medizin für dieses Problem gesucht werden muss, wie man also die Arbeitsplätze schützen und wie man neue Arbeitsplätze erschaffen kann. Ich sehe es auch als meine persönliche Verpflichtung an, so etwas ist in der Politik selten, doch wiederhole ich das, was ich Ihnen bereits früher gesagt hatte: Wir werden so viele Arbeitsplätze erschaffen, wie das Virus zerstört hat. Auf der Regierungssitzung am Mittwoch haben wir bereits über staatliche Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen gesprochen, Ich habe bereits den Innenminister und den Finanzminister angewiesen, die Zahl der öffentlich Beschäftigten zu verdoppeln. Wir stehen also bereit, um auch zweihunderttausend öffentlich Beschäftigten Arbeit zu geben. Heute gibt es im Übrigen keine hunderttausend. Wir können also zahlreiche Menschen aufnehmen, wenn es notwendig werden sollte, und wenn dieser Rahmen ausgeschöpft werden sollte, dann werden wir ihn weiter anheben. Die Armee hat mit der intensiveren Anwerbung begonnen. Die staatlichen Firmen haben Aufgaben erhalten, für die sie neue Leute mit befristeten Verträgen aufnehmen können. Und ich zähle, ich zähle jeden Tag, wie viele Menschen sich um Hilfe an uns gewandt haben, denn wir werden hier alle möglichen statistischen Angaben über die Arbeitslosigkeit sehen, dies ist eine mindestens so komplizierte Wissenschaft wie die Medizin. Auch hier ist es wichtig, dass man nicht zum Statistiker wird. Ich schaue ja immer darauf, wie viele Menschen sich an uns, das heißt hier an den ungarischen Staat, an die Regierung um Hilfe gewandt haben. Wie viele sind es, die eine Arbeitslosenhilfe beantragen, und wie viele sind es, die während des Zeitraums der drei Monate der Arbeitslosenhilfe keine neue Stelle finden können und deshalb von uns irgendeine das Einkommen ersetzende Unterstützung oder irgendeine staatlich organisierte Arbeit möchten. Jetzt, wenn ich mich richtig erinnere, berichten die Zahlen von gestern Abend von 161 und einigen tausend Menschen. Es gibt also 161 und einige tausend Ungarn, die im vergangenen Zeitraum ihre Arbeit verloren haben, nicht nur wegen der Krise, auch schon früher, und sie bitten um Hilfe. Sie bitten um die Arbeitslosenhilfe oder bitten nach Ablauf der Arbeitslosenhilfe um irgendeine soziale Zuwendung, eine das Einkommen ersetzende Unterstützung, die zum Leben notwendig ist. Es ist meine Pflicht, es ist die Pflicht der Regierung, diesen 163 tausend Menschen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben, und wir werden das auch tun.

Sie haben auch den Haushalt umgeformt. Wie groß ist die Summe, die Sie dafür vorgesehen haben oder die dafür verwandt werden muss?

Jetzt müsste ich riesige Zahlen nennen, die die Zuhörer vielleicht nicht genau in den Kontext ihrer eigenen Erfahrungen und in ihr persönliches Leben einordnen könnten. Ich spreche hier von Tausendmilliarden. Ich glaube also daran, dass wir Investitionen und Entwicklungen benötigen, denn woraus entstehen Arbeitsplätze? Arbeitsplätze entstehen aus Investitionen und aus Entwicklungen. Wenn also die Arbeitslosigkeit das Problem ist, dann muss man Arbeitsplätze schaffen. Deshalb muss man den Ungarn dazu verhelfen, darüber hinaus, dass sie sich ihre Gesundheit bewahren sollen, damit sie fähig sind, ihre Firmen zu entwickeln und mit Hilfe von Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb vergeben wir Hilfen in der Größenordnung von Tausendmilliarden in Form von Unternehmen unterstützenden Investitionen, Entwicklungskredite zu Zinsen um null Prozent, Lohnunterstützungen. Also werden alle Mittel, die heute die europäische Politik kennt, auch von Ungarn angewandt. Von Land zu Land ist das Gleichgewicht oder der Akzent zwischen den Mitteln unterschiedlich. Das variiert. Jedes Land legt dies entsprechend seiner eigenen Traditionen fest. Wir bauen eine auf Arbeit basierende Wirtschaft auf. Deshalb liegt der Schwerpunkt der in Ungarn angewandten Mittel auf der Schaffung von Arbeitsplätzen. Und mich wird man hiervon auch nicht abbringen können, denn der Lohn ist wichtig, aber den Lohn erhält man ja nur dann, wenn man Arbeit hat. Die Voraussetzung des Lebensunterhaltes und des Lohnes ist, dass man Arbeit hat. Man kann darüber diskutieren, ob wir anheben sollen oder nicht, ob wir die Löhne anheben können. Man kann aber nur dann über eine Lohnerhöhung reden, wenn Arbeit vorhanden ist, denn daraus kommt das Einkommen und der Verdienst. Ich habe also 2010, als mich die Menschen inmitten der Wirtschaftskrise mit der Leitung des Staates betraut hatten, diese Politik verkündet. Wir haben versprochen, innerhalb von zehn Jahren eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben sie auch geschaffen. Wir hatten versprochen, jeder, der arbeiten möchte, würde Arbeit haben. Es hatte auch ein jeder Arbeit. Jetzt hat die Seuche eine neue Situation verursacht, aber was damals funktionierte, jene Denkweise, die 2010 funktionierte, das muss natürlich mutatis mutandis erfolgen, denn es müssen neue Mittel angewandt werden, auch die Welt hat sich verändert, aber die Denkweise, die uns damals aus dem Schlamassel herausgezogen hat, die wird auch jetzt erfolgreich sein. Sie zieht uns heraus, es wird Arbeitsplätze geben und wir werden uns schön zurückfinden. Meiner Ansicht nach schneller als dies heute viele annehmen. Wir werden auf den Pfad der erfolgreichen ungarischen Wirtschaft zurückfinden.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.