Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
28. Mai 2021

Katalin Nagy: In den benachbarten Ländern gibt es nirgendwo eine Durchgeimpftheit von beinahe 52 Prozent wie bei uns. Gestern sind 150 tausend Impfungen verabreicht worden, aber um den Gedichttitel von Mihály Váci aufzugreifen: Es ist noch nicht genug. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán. Haben Sie noch eine Idee, um die Impflust zu steigern?

Guten Morgen, ich begrüße die Zuhörer! In der Tat, gestern geschah es, dass wir 25 tausend Erstimpfungen und 117 tausend Zweitimpfungen verabreicht haben. Es ist ein guter Tag für uns, weil die Zahl der ohne Beatmung in den Krankenhäusern sich aufhaltenden an COVID Erkrankten nach langer Zeit das erste Mal unter tausend gesunken ist. 121 Menschen sind immer noch an Beatmungsgeräte angeschlossen. Die Zahl der aktiven, also jetzt gerade kranken Menschen ist schon unter hunderttausend gefallen, doch ist sie noch immer sehr hoch. Wir wissen von 84.719 Menschen, dass sie gerade infiziert sind. Sie können also nicht arbeiten, ihre Gesundheit ist in Gefahr. Es gibt welche unter ihnen, die noch um ihr Leben ringen. Impflust ist ein so seltsames Wort, denn meiner Ansicht nach ist das keine Frage der Lust. Meiner Ansicht nach weisen jene, die sich nicht impfen lassen, auch nicht aus Jux und Tollerei die Impfung zurück, sondern sie haben irgendetwas anderes im Kopf. Das ist also eine ernsthafte Sache. Meiner Ansicht nach gibt es einen Irrglauben, oder zumindest wenn ich vielen Professoren, Ärzten persönlich und auch in den Medien zuhöre, dann habe ich das Gefühl, dass es hier ein Missverständnis geben mag, denn die Fachleute sprechen häufig über diese Herdenimmunität, ein Begriff, den ich nicht mag, denn wir sind keine Schafe, sondern Menschen, aber das ist ja jetzt schon egal, die Fachsprache ist nun einmal so. Und ich befürchte, dass sich unter den Menschen, die sich noch nicht haben impfen lassen, die falsche Vorstellung entstanden ist – und es gibt drei Millionen Erwachsene in Ungarn, die sich noch nicht haben impfen lassen –, ich befürchte also, dass in ihnen die falsche Vorstellung entstanden sei, sie könnten dem Virus entgehen. Und es scheint so, als ob die Tatsache, jene andere wissenschaftliche Tatsache, die die Wissenschaftler ebenfalls erwähnen, nicht mit der nötigen Kraft und Lautstärke gesagt werden würde, dass dies ein Virus ist, das nicht weggehen wird. Es bleibt also hier. Nun, wenn es hierbleibt, dann wird das hier unter uns zirkulieren, und früher oder später wird es jeden finden. Meiner Ansicht nach gibt es also viele Menschen unter den drei Millionen, die glauben, jetzt seien bereits viele Menschen geimpft worden, die Seuchengefahr nehme ab. Langsam wird sie auch aufhören, und nachdem die Professoren sagen, die Herdenimmunität werde sich einstellen, dann wird sie diese Situation retten. Also auch ohne geimpft zu werden, die Sache zu überstehen. Wenn es wahr ist, dass dieses Virus nicht weggeht, dann ist das meiner Ansicht nach ein Irrtum. Das Virus wird sie finden. Es wird auch den letzten Menschen finden, der nicht geschützt ist. Deshalb können die Menschen ihre eigene und die Gesundheit ihrer Lieben auf eine einzige Weise schützen, indem sie sich impfen lassen. Deshalb möchte ich die Menschen auch nicht mit irgendeiner Art von Lotto und Glücksspiel zur Impfung locken. Wir sind doch Ungarn, d.h. wir sollten seriöse erwachsene Menschen sein. Ein jeder muss eine Entscheidung darüber treffen, wie er sich zu der Situation stellt, dass er und seine Lieben sich jederzeit mit dem Virus anstecken können, wenn sie nicht geimpft sind. Ich bitte also einen jeden darum, obwohl sich die Lage bessert, sich die Impfung verabreichen zu lassen. Die Zahlen sehen gut aus, aber hier geht es ja um Menschenleben, und weniger um Zahlen. Natürlich stellt die Organisierung, die Organisierung der Impfung für die Regierung, die Ärzte, die Krankenschwestern, die den Transport besorgenden Fachleute, die Polizisten, die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung eine gewaltige Herausforderung dar. Und deshalb ist es von Bedeutung, bietet meiner Ansicht nach Anlass für ein Selbstwertgefühl und für Selbstachtung, dass zum Beispiel wir hinsichtlich der Erstimpfungen ein besseres Ergebnis erreichen als die Vereinigten Staaten, obwohl sie für sich selbst den Impfstoff herzustellen in der Lage sind. Das werden wir dann auch ab Ende 2002 sein. Hinsichtlich der Erst- und der Zweitimpfung haben wir das Vereinigte Königreich schon beinahe eingeholt. Heute werde ich darüber auch persönlich mit dem britischen Ministerpräsidenten sprechen können. Die erste Impfung haben 51,5 Prozent der Bevölkerung erhalten, in den Vereinigten Staaten beträgt diese Zahl weniger als 50 Prozent. Ich bin also der Ansicht, dass die Arbeit, die unsere Fachleute geleistet haben, anerkennenswert ist.

Und da sind die Mutanten. Die Fachleute sagen, man könne immer damit rechnen, dass es eine neuere geben wird. Es ist also auch deshalb wichtig, dass in einem jeden die Immunität entsteht.

Jeder hatte Angst vor dem indischen Virus. Ich habe den Fachminister und die Fachleute des Gesundheitswesens gefragt, wie wir mit der indischen Mutante stehen. Und jetzt ist der fachliche Standpunkt, dass jene Impfungen, die wir in Ungarn anwenden, das sind vier westliche und zwei östliche Impfstoffe, meiner Ansicht nach gibt es so etwas nicht noch einmal auf der Welt, dass man wählen kann, welche Impfung man haben möchte, und man kann nicht aus zwei wählen, sondern aus vielen, und sie sagten also, diese Impfungen, diese Impfstoffe seien ausnahmslos dazu geeignet, auch die indische Mutante zu besiegen. Also gegenüber der Mutante, die heute bekannt ist und vor der die meisten Menschen sich fürchten, zum Beispiel auch in dem Vereinigten Königreich, gegenüber dieser geben die in Ungarn im Umlauf befindlichen Impfstoffe eine Sicherheit.

Jetzt nachdem nach der Weltgesundheitsorganisation auch die Amerikanische Ärztekammer die vollständige Dokumentation des chinesischen Impfstoffs Sinopharm veröffentlicht und niedergeschrieben hat, der Impfstoff sei sicher und wirkungsvoll, gibt es dennoch in der Europäischen Union, nicht nur bei uns, sondern auch in der Europäischen Union Länder, die sagen, es sei nicht sicher, ob sie jenen Staatsbürger, jenen ausländischen Staatsbürger in ihr Land hereinlassen werden, der einen östlichen Impfstoff erhalten hat.

Meiner Ansicht nach ist das Panikmache. Das alles wird sich verändern, wenn jemand noch so einen Gedanken im Kopf mit sich tragen würde, dann wird sich das verändern. Schauen Sie, ich habe mich mit dem chinesischen Impfstoff impfen lassen, ich bin doch nicht verrückt oder bin auch nicht auf meinen Kopf gefallen, um mich von der Möglichkeit des Reisens abzuschneiden. Es kann also ein jeder sicher sein, dass man auch mit den östlichen Impfstoffen wird reisen können. Vergessen wir nicht, die anderen liegen hinter uns. Sie sprechen jetzt also noch nicht darüber, wie man dann wird reisen können, oder wenn sie auch darüber sprechen, so liegt dies für diese Armen noch weit von ihrem Leben entfernt. Für uns ist das schon eine tägliche Möglichkeit. Zu den Slowenen können wir ja jetzt schon ohne jede Probleme, mit den Rumänen stimmen wir uns jetzt ab, die Slowaken haben vielleicht gerade dieser Tage unseren Ausweis akzeptiert. Auch Kroatien öffnet sich. Ungarn schließt also nacheinander jene bilateralen Abkommen ab, die das freie Reisen ermöglichen. Aber in der westlichen Welt sprechen wir aber noch nicht davon. Dort gibt es ja noch Ausgangssperren. Dort ist es noch so, dass die Geschäfte zu einem bestimmten Zeitpunkt am Abend geschlossen werden müssen. Es besteht Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen. Sie haben noch keinen solchen Impfpass. Sie haben alle möglichen Papierblätter, aber das, was es bei uns gibt, auf elektronischer Basis und auf Plastik, das gibt es nur in sehr wenigen Ländern. Wenn wir also daran denken, wie es im Westen ist, dann gehen wir von unserem eigenen Kopf aus, und wir glauben, auch sie stünden mehr oder weniger dort, wo wir stehen. Aber das ist nicht so. Also wenn auch sie dort ankommen werden, wo wir jetzt sind, wie sie denn reisen sollen, bis dahin werden auch alle Impfstoffe, die die internationalen Organisationen anerkannt haben, auch in der Europäischen Union akzeptiert sein. Jetzt tritt eine Regel in Kraft, die sagt, irgendwann im Juli wird es vielleicht eine gemeinsame europäische Karte geben. Natürlich werden auch diese die Mitgliedsstaaten herstellen. Also wird diese in Ungarn auch das Pintérsche Innenministerium herstellen, es wird eine elektronische Version sein. Und es wird obligatorisch sein, gegenseitig in den Staaten die durch die Europäische Arzneimittel-Agentur anerkannten Impfungen zu akzeptieren. Man kann dort also nicht sagen, dass sagen wir jene, die mit Astra geimpft worden sind, nicht nach Ungarn kommen dürfen. So etwas gibt es nicht. Man muss also all das akzeptieren, was in Europa akzeptiert worden ist. Und das, was nicht die Europäische Arzneimittel-Agentur anerkannt hat, das können die Länder akzeptieren. Nun, es gibt kein Land, das sich vor den Touristen verschließen würde. Deshalb bin ich, als ein mit dem chinesischen Impfstoff geimpfter Mensch, hoffnungsvoll.

Jetzt betrachtet man die Institution des Homeoffice bereits an sehr vielen Arbeitsplätzen für beendet, und das Leben beginnt, startet wieder, das es vor der Epidemie gegeben hat. Wir müssen uns daran noch ein bisschen gewöhnen, aber wir werden uns offensichtlich schnell daran gewöhnen. Wie sehen Sie es, wie sind die Erfahrungen darüber, ob die unterstützenden Maßnahmen, die für den Neustart der Wirtschaft verantwortlich waren, ihren Zweck erreicht haben?

Nun, wir stellen uns gerade jetzt von der Verteidigung auf den Neustart der Wirtschaft um. Natürlich verspürt dies der, der sich nicht mit der Wirtschaftspolitik beschäftigt, als weniger wichtig. Deshalb sollte ich vielleicht sagen, dass als die Epidemie sich auf ihrem Höhepunkt befand, da war die Verteidigung wichtig, nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in der Wirtschaft. Man musste die Arbeitsplätze verteidigen. Man musste die Löhne der Menschen verteidigen. Man musste die Arbeitsfähigkeit der Menschen verteidigen. Aber jetzt, da wir meiner Ansicht nach die dritte Welle besiegt haben, aber auf jeden Fall auf den Boden niedergerungen haben, sehe ich, dass es Diskussionen darum gibt, ob wir sie besiegt haben oder nicht, ob es vorbei ist oder nicht? Eines ist sicher, dass wir es jetzt auf die Erde niedergerungen haben. Wir kämpfen also auf dem Boden, und es, das Virus ist unten. Ich glaube nicht, dass es von hier noch aufsteht, aber das wird die Zukunft entscheiden. Wir mussten uns also ganz bis hierher verteidigen. Jetzt müssen wir uns aber nicht mehr verteidigen, sondern die Wirtschaft neu starten, denn das hat uns doch mitgenommen. Nicht nur die Unternehmen, sondern auch uns, Arbeitnehmer, die vom Gehalt bzw. dem Lohn leben, auch ich gehöre zu ihnen, also auch uns hat diese Epidemie mitgenommen. Viele Menschen mussten zu Hause bleiben und haben zu Hause gearbeitet. Sie sind ihren Arbeitskollegen nicht begegnet, auch der Charakter der Arbeit hat sich geändert, ebenso auch die Bewertung, die Einschätzung der Arbeit. Es gibt Menschen, die Ihren Arbeitsplatz verloren haben und die von zu Hause aus noch keinen neuen haben finden können, denn man muss der Arbeit hinterhergehen. Von den Kindern ganz zu schweigen. Es hat uns also gequält. Deshalb muss die Wirtschaft neu gestartet werden. Auch die Unternehmer müssen ihre Unternehmungslust zurückgewinnen. Wenn man sich verteidigt, dann unternimmt man nichts, dann verteidigt man sich. Man will das verteidigen, was man hat. Wenn aber etwas erneut gestartet werden muss, dann muss man erneut unternehmerisch aktiv sein, man muss investieren, Geld anlegen, nach Möglichkeiten suchen, erneut beweglich werden. Doch ist das nicht so einfach, aus dem völligen Bremsen plötzlich in einen neuen, durch die Unternehmungslust bestimmten Zeitraum überzugehen. Es gibt also deshalb einen Übergang aus der Verteidigung der Wirtschaft zum Neustart der Wirtschaft. Auch der Haushalt dient diesem Zweck. Der Haushalt von 2021 war eher entsprechend der Logik der Verteidigung formuliert worden. Gerade deshalb muss er jetzt modifiziert werden, denn die zweite Hälfte des Jahres ist nicht mehr durch die Verteidigung geprägt, sondern durch den Neustart. Und in dem Haushalt für 2022, den das Parlament bald annehmen wird, geht es in seiner Gesamtheit über den Neustart der Wirtschaft, über die Schaffung von Arbeitsplätzen, über Lohnerhöhungen, über die Unterstützung des Gesundheitswesens und des Hochschulwesens, also über den Neustart des Lebens. Das wird gut sein. Ich glaube, wir werden dann, wenn wir die Zahlen des zweiten Quartals erhalten – das zweite Quartal endet am 1. Juli, die wirtschaftlichen Leistungen werden im Allgemeinen vierteljährlich ausgewertet – sehen, was in den vergangenen drei Monaten geschehen ist. Und da wir vor einem Jahr einen gehörigen Tiefflug absolviert haben, bin ich mir sicher, dass diese drei Monate, die wir dann mit dem 1. Juli hinter uns wissen werden, vielversprechende Ergebnisse mit sich bringen werden.

Warum musste man auf dem Gipfel der Europäischen Union, den es jetzt in dieser Woche gab, es war ein zweitägiges Treffen, warum muss man Besprechungen bis morgens um zwei Uhr führen? Dieses Thema des Klimaschutzes ist doch nicht so kompliziert.

Dies gehört zu jenen großen Rätseln, die zu lösen es mir bisher nicht gelungen ist. Ich bin seit sehr langem, seit 11 Jahren dank der Entscheidung der Wähler der erste Mann der Regierung. Wir treffen uns in jedem Halbjahr wenigstens einmal, in „Friedenszeiten“ im Allgemeinen einmal. Wenn die Arbeit sich verdichtet, dann zweimal. Und wenn es eine Krise gibt wie jetzt, dann treffen wir uns auch drei-viermal während eines halben Jahres. Und ich sehe mit Überraschung, wie viele Nachteulen es dort in Brüssel gibt, dass wir abends um sieben Uhr mit der Arbeit beginnen. Man kann schon wissen, dass es vor eins, zwei, drei Uhr in der Nacht nicht zu Ende gehen wird. Und wir werden mit den Tagesordnungspunkten nicht fertig, und wir wissen, dass wir anderntags ab neun Uhr wieder beginnen. Es gibt auch eine bösartige Auslegung dessen, warum wir dort zusammengeschlossen sind und die Zeit vergeht.

Ermüdung?

Ermüdung geschieht. Ein jeder will schon gehen, so erreichen wir leichter Kompromisse. Auch darin mag ein Körnchen Wahrheit stecken. Es gibt auch eine gutartige Auslegung, denn vergessen wir es nicht, dass es Länder mit einer konstitutionellen Einrichtung gibt, z.B. ist es bei den Deutschen so, in denen vor dem Treffen der europäischen Ministerpräsidenten, wenn dort eine konkrete Entscheidung zu erwarten ist, dann muss die deutsche Bundeskanzlerin davor dem Parlament davon berichten und sie muss für bestimmte Dinge auch die Befugnis erhalten. Es gibt also häufig Gipfel auf die Weise, dass Angela Merkel am Frühnachmittag noch vor dem Bundestag spricht, und sie kommt von dort, und so fängt dann die Arbeit an. Schwer zu sagen. Ich würde es keinesfalls als eine glückliche Organisation der Arbeit bezeichnen. Wenn wir dies in Ungarn einzuführen versuchten, würden die Minister den Ministerpräsidenten sehr schnell zum Teufel schicken.

Auch hier sind die Meinungen der Teilnehmer in der Hinsicht sehr unterschiedlich, wie man das Klimaziel erreichen sollte, das früher gesteckt worden ist.

Die europäische Landkarte ist sehr geteilt, denn ein jeder hält den Klimaschutz für wichtig, aber wir starten aus unterschiedlichen Positionen. Es gibt eben die Reichen und es gibt die Ärmeren. Und der Klimaschutz ist eine äußerst teure Angelegenheit. Da es aber um unser Leben geht, werden wir früher oder später den Preis dessen zahlen müssen. Die Frage ist, wie wir die Last verteilen sollen, und in welchem Tempo wir voranschreiten. Jetzt denken die Bürokraten, also die Brüsseler Bürokraten auf die Weise, wie das Bürokraten zu tun pflegen, Bleistift, Zirkel, Lineal, die europäische Bevölkerung in Einheiten aufteilen, und ein jeder soll im Großen und Ganzen die gleiche Last tragen. Nun können wir aber nicht die gleiche Last tragen wie z.B. die Niederländer oder die Deutschen, die mehrfach reicher sind als wir. Und der Gedanke, dass wir den Preis und die Kosten der Klimaveränderung die Menschen bezahlen lassen sollten, d.h. dass wir auf das Benzin, den Treibstoff und auf die Wohnungen auf Grund dessen Steuern erheben sollten, wie viel Kohlendioxid sie verbrauchen, dies ist im Westen ein Gedanke, der als natürlich erscheint, denn dort halten sie das aus, dort lässt der Wohlstand noch Bewegungsspielraum. Nun haben wir aber in Ungarn jahrelang dafür gekämpft, die Nebenkosten zu drücken. Aber wir hier, das ist noch ein anderes Kaffeehaus, wir leben hier noch anders. Wir werden die Westler irgendwann einholen, doch speziell jetzt können wir keine Steuern zahlen lassen, und wir wollen die Menschen auch keine Steuer entrichten müssen für das Beheizen ihrer Wohnungen oder das Benzin oder den Pkw. Deshalb ist dieser Gedanke der Brüsseler Bürokraten, den Klimaschutz auf diese Weise zu verteilen und alle sollen einzahlen, meiner Ansicht nach inakzeptabel. Deshalb gibt es Länder, alle mitteleuropäischen gehören hierher, sicherlich bestimmt die materielle Situation den Standpunkt, wir sagen, die Klimazerstörung erfolgt am ehesten durch die großen Firmen, und sie gelangen über die Zerstörung des Klimas auch an einen großen Profit. Warum sollen wir ihn durch die Menschen bezahlen lassen? Warum sollen wir ihre Steuern anheben? Sollen doch die Klimazerstörer zahlen! Daraus schaffen wir jene Finanzfonds, aus denen dann unsere Fabriken, unsere Wohnungen, unser Energiesystem usw. umgewandelt werden kann. Diese beiden Standpunkte unterscheiden sich tiefgreifend. So, wie wir jetzt darüber sprechen, hört sich dies freundlich an, doch dort ist das eine zugespitzte Schlacht, denn es geht um Geld. Die Frage ist: „Wer zahlt?“ Ich will nicht, dass die Ungarn zahlen.

Wann wird es eine Entscheidung in dieser Frage geben?

In einem bis anderthalb Monaten wird die Europäische Kommission 12 Entwürfe von Rechtsvorschriften vorlegen, wie sie sich diese Frage des Klimaschutzes vorstellt. Diese werden auch wir erhalten, und dann beginnt auf Grund von nunmehr konkreten Rechtsvorschriftstexten eine Diskussion zwischen den Ministerpräsidenten. Hier wird man dann den Standpunkt der Ungarn gut verteidigen müssen und die Mitteleuropäer müssen sich hier dann zusammenschließen. Und dann werden die Rechtsvorschriften auf Grund der europäischen Erfahrungen im Laufe von einem bis zu anderthalb Jahren geschaffen. Wenn wir uns einig geworden sind, entweder das gelingt oder es gelingt nicht, dann schalten wir hierin noch das Europäische Parlament ein, und danach entstehen dann jene Regeln, die man dann einführen muss. In den nächsten zwei-drei Jahren wird es auch um den Klimaschutz gehen, und wir müssen den Kampf um die Nebenkosten führen, um die Interessen der ungarischen Familien zu verteidigen.

In dieser Woche herrscht diplomatischer Hochbetrieb, denn nach dem zweitägigen EU-Gipfel haben Sie jetzt am Donnerstag, gestern, den ersten Mann der spanischen Partei VOX empfangen, und von hier, von dem Studio aus fahren Sie zum Flughafen zu Boris Johnson in London. Worüber haben Sie sich mit dem spanischen Parteiführer unterhalten und worum wird es in London gehen?

Wir haben uns eben über europäische Fragen unterhalten. Zwei Themen, nicht wahr, die jetzt, wo die Pandemie, die Seuche langsam in den Rahmen der Erträglichkeit zurückgedrängt wird, zwei alte Themen, die wegen der Verteidigung gegen das Virus zurückgesetzt werden mussten, fordern wieder Beachtung. Es gibt zwei solche Themen. Das eine ist der Klimaschutz. Ich habe eben auch den spanischen Parteiführer darüber in Kenntnis gesetzt, dass man Ungarn als Klimameister betrachten kann. Wenn wir uns also die internationalen Daten des Kohlendioxidausstoßes betrachten, dann werden wir sehen, dass bis 2030 neunzig Prozent der in Ungarn, der hier bei uns hergestellten Energie frei von Kohlendioxid sein wird. Damit stehen wir sehr weit vorn im europäischen Feld. Aber er ist ein spanischer Mensch, er versteht diesen Kampf um die Nebenkosten und dass man sich für den Schutz der Interessen der Menschen sich selbst gegenüber den Brüsseler Bürokraten engagieren muss. Das war also in Ordnung. Das zweite große Thema ist die Einwanderung, die wieder ihren Platz für sich beansprucht. Er ist ein Spanier. Aus dem Süden, von Marokko aus kommen die illegalen Einwanderer zu tausenden nach Europa. Als eine unschöne Erinnerung habe ich zur Sprache gebracht, dass als wir uns 2015 für die Errichtung unseres Zauns entschieden hatten, selbst die spanische Regierung mit dem Kopf geschüttelt und sich einige stärkere, unfreundliche Bemerkungen erlaubte. Und heute haben sie dort an den südlichen Grenzen Spaniens einen Zaun, der dreimal so hoch ist als der unsere zwischen Ungarn und Serbien. Doch ist er der erste Mann einer Partei, die die Einwanderung ablehnt. Wir sind also der gleichen Ansicht. Es gibt in Spanien eine Partei, die die Einwanderung ablehnt. Zum Teil widersetzen sie sich der Einwanderung auf christlicher geistiger Grundlage, zu einem anderen Teil sehen sie ähnlich wie wir die Zukunft in der Unterstützung der Kinder und der Familien. Und auch sie möchten das Land lieber ihren Kindern hinterlassen und nicht den Einwanderern. Wir waren also auf der gleichen Wellenlänge. Das ist eine seriöse Partei, eine aufstrebende spanische Partei. Die Gruppe der europäischen Länder, der Parteien, die die Einwanderung ablehnen, ist um eine ernsthafte Partei stärker geworden. So stehen wir mit der Einwanderung. Nun ist Herr Ministerpräsident Johnson ein anderer Fall. Hier sprechen wir ja doch über eine Atommacht, die aus der Europäischen Union ausgetreten ist, was für uns nicht gut war, ja, auch jetzt nicht gut ist. Wir leiden darunter, dass die Briten nicht da sind, denn wir waren mit den Briten in sehr vielen Dingen der gleichen Meinung. Und so gab es eine ausgewogene Situation in der Europäischen Union. Die Mitteleuropäer und die Briten waren häufig in der Lage, gegen die Steuererhöhungen aufzutreten. Wir alle wollen ja eine Verringerung der Bürokratie. Die Briten standen ja schon immer auf der Seite der nationalen Souveränität. Sie wollten nicht, dass zu viele Befugnisse nach Brüssel abgegeben werden. Indem sie gegangen sind, sind wir geschwächt worden. Mein Leben ist auf den Gipfeln der Ministerpräsidenten auch schwieriger geworden, seit die Briten nicht mehr da sind. Na, aber Europa haben sie nicht verlassen, nur die EU. Sie sind also hier. Und die Frage ist jetzt, wo ihr Platz in der Welt sein wird. Sie verhandeln mit allen, bilden ihre bilateralen Beziehungen aus. Auch wir müssen eine britisch-ungarische Handels- und Wirtschaftskooperation ausarbeiten. Natürlich ist die Vereinbarung der Briten mit der Europäischen Union auch für uns richtungsweisend, doch innerhalb dieses Rahmens werden wir noch spezielle Gebiete der Zusammenarbeit am heutigen Tag suchen. Ich habe und auch er hat Vorschläge, wo England, Großbritannien und Ungarn eine enge wirtschaftliche und politische Kooperation ausbilden könnte. In meinem Denken werden die britisch-ungarischen Beziehungen und der traditionelle, gegenseitige Respekt in der ungarischen Außenpolitik der Zukunft eine große Rolle spielen.

Vor 15 Jahren hielt in Őszöd Ferenc Gyurcsány seine Rede, seine Lügenrede, die er und die vereinte Linke vergessen möchten. Was denken Sie darüber, sollen wir diese Rede vergessen?

Die können wir wohl kaum vergessen. Es gibt ja das, was man als Blitzlichterlebnis, als Blitzlichterinnerung zu bezeichnen pflegt. Der Mensch ist in der Lage, sich an das eine oder andere Erlebnis im Laufe seines Lebens, so lange es auch zurückliegen mag, blitzlichtartig zurückzuerinnern. Es gibt unangenehme und angenehme Blitzlichterinnerungen. Sagen wir, als Krisztina Egerszegi auf der Olympiade in Seoul im Finale schwamm, Vitray im Fernsehen kommentierte, und wir dort im Zimmer herumschrien, das habe ich so deutlich vor Augen, als wenn es jetzt geschähe. Doch ich erinnere mich genauso daran, als wegen der Rede von Őszöd die Aufstände ausbrachen. Ich musste damit beginnen, meinen Sohn, der damals ein Teenager war, sofort an einen sicheren Ort einzuschließen, denn er wollte schon mit seinen Freunden losgehen. Das sind also sehr starke Erinnerungen. Und eine genauso starke Erinnerung ist, als József Antall verstarb, daran erinnere ich mich auch, dass man im Fernsehen das laufende Programm unterbrach. Oder der 16. Juni, als wir Imre Nagy und die anderen Opfer neu bestatteten, daran erinnere ich mich gut. Es gibt also solche Blitzerinnerungen, und die Rede von Őszöd ist so eine Sache. Man ist immer wieder erschüttert, gar nicht darüber, dass all das geschehen ist, denn das ist schmerzhaft, aber es gibt solche Dinge im Leben, sondern es raubt einem den Atem, dass die Person, wegen der all das geschehen ist und die all das gesagt hat, noch genauso in der ungarischen Politik anwesend ist, als wäre gar nichts geschehen. Das ist doch ein Erlebnis, das einem den Atem raubt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch ein Land gibt, in dem, wenn das eintritt und sagen wir ein Ministerpräsident sagt, sie hätten nachts, morgens und am Abend die Menschen angelogen, sie hätten eine Dummheit begangen, sie hätten es vermasselt, und danach den Menschen einen Monatslohn sowie eine Monatsrente wegnimmt, das System zur Unterstützung der Familien abbaut, das Land in die Arme des IWF stößt und in Schulden treibt, danach noch dort in der Politik bleiben könnte. Das ist immer noch ein Erlebnis, das einem den Atem raubt, und selbst für mich ist es das, dabei habe ich schon vieles gesehen, so dass jetzt, als ich mir die angesprochenen Ausschnitte der Rede erneut angehört habe, mir das eingefallen ist. Und hinzu kommt noch, dass ich es nicht nur einfach aus meiner eigenen Perspektive durchdacht habe, dass wir nicht nur darüber reden, ob er hier ist oder nicht, sondern dass niemand dafür die Verantwortung übernommen, niemand um Verzeihung gebeten hat, niemand nach Hause gegangen ist, niemand die Politik verlassen hat – dabei gibt es noch so viele Arbeitsplätze in dieser schönen Welt. Wenn man versagt und ertappt wird, dann lohnt es sich nicht, noch lange dort zu bleiben. Aber ich kämpfe jetzt mit dem gleichen Menschen. Er ist also der Chef auf der anderen Seite. Gyurcsány ist also der Chef. Ich kann dies nicht einfacher und höflicher sagen. Und ich sehe mir auch das Budapester Rathaus an, wo nacheinander jene Menschen hinter dem Rücken des Bürgermeisters erscheinen, die ich noch aus der Gyurcsány-Regierung kenne. In Wirklichkeit sind die ehemaligen Minister ins Rathaus gegangen und hinter dem Rücken des Bürgermeisters hat sich die Gyurcsány-Regierung beinahe wieder neu gegründet. Nach einer Rede, die wir jetzt alle hören konnten, als wir die Ereignisse von vor 15 Jahren uns wieder in Erinnerung riefen. Das sind merkwürdige Dinge der ungarischen Politik. Man weiß auch gar nicht genau, wie man sich jetzt zu dem stellen soll. Auch ich mühe mich mit dieser Frage ab, jetzt war es dann bereits vor 15 Jahren, jetzt sollten wir schon lieber nach vorne sehen. Es war zwar vor 15 Jahren, aber die gleichen Personen sind noch immer da. Sie wollen erneut regieren. Es war vor 15 Jahren, aber es gibt Menschen, denen sie das Auge herausgeschossen haben, die zum Krüppel gemacht worden sind, die man erniedrigt hat. Haben sie die entsprechende Wiedergutmachung erhalten? Ich befürchte, dass vielleicht trotzdem nicht ein jeder sie erhalten hat. Diese Fragen sind also alle hier mit uns. Das Gute an der Rede von Őszöd ist, dass sie lange her ist.

Nun ja, die heutigen 16-18-Jährigen wissen nicht, was damals geschah. Sie wissen nicht, dass man den Menschen die Augen herausgeschossen hat. Und wenn wir schon den Kindertag haben, dann fällt einem ein, was für ein Erlebnis so ein Jugendlicher benötigt, um sich für ein Leben lang von der Politik zurückzuziehen, oder um das Gefühl zu haben, er muss an der Politik teilnehmen.

Ich höre diese Meinung häufig, die Sie anführen. Ich teile sie nicht. Man muss um die Jugendlichen keine Angst haben. Sie besitzen schon den notwendigen Verstand. Und wenn sie etwas interessiert, dann werden sie der Sache nachgehen. Und wenn es sie nicht interessiert, dann ist es sowieso egal. Und sie sind ja doch unsere Kinder. Es lohnt sich nicht, auf die Weise über die Jugendlichen zu denken, diese würden sich an dies oder das nicht erinnern. Und wo sind die Eltern? Das ist dann eben unsere Aufgabe, ihnen das zu erzählen, denn jeder hat einen Vater, eine Mutter, die all das erlebt haben, und wenn sie wollen, wenn sie es für wichtig halten, dies mit seinen Kindern teilen kann. Man hat uns ja auch nichts im kommunistischen System über 1956 gelehrt, jeder schwieg, trotzdem wussten wir alles, nicht wahr? Ich mache mir also deswegen keine Sorgen. Die jungen Menschen können, wenn sie etwas interessiert, besonders jetzt in dieser Welt der modernen Technologien, allem nachgehen. Mich besorgt mehr, dass diese Eingesperrtheit auch unsere Kinder in Mitleidenschaft gezogen hat. Jetzt kommt der Kindertag, der wird jetzt doch besser sein als der vom letzten Jahr. Und endlich werden auch die Kinder frei, sie können in die Schule gehen, sie können sich wieder in ihre Gemeinschaften zurückgliedern. Ich hoffe also darauf, dass Őszöd hin, Őszöd her, unsere Kinder und Enkel ein schöner Kindertag erwartet.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.