Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
18. Juni 2021

Katalin Nagy: In dieser Woche begann die Impfung der zwischen 12- und 15-Jährigen, die Jugendlichen erhalten Pfizer, aber die Erwachsenen können unter den Impfungen auswählen. Das Bild in Europa ist interessant, in Deutschland stehen die 40-Jährigen noch in der Schlange, weil es heißt, es gebe keinen ausreichenden Impfstoff. Und bei unserem östlichen Nachbarn, in Rumänien scheint es so, als ob sie einen großen Teil des Impfstoffs verkaufen würden, da sich nur sehr wenige Menschen zur Impfung gemeldet haben. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán! Demnach sind wir in der Mitte am rechten Ort? Stehen wir gut?

Guten Morgen! Ich begrüße die Zuhörer! Wir haben hinsichtlich der Impfungen gegenüber allen anderen Ländern der Europäischen Union einen Vorsprung von anderthalb bis zwei Monaten, da wir früher Impfstoff besorgt und deshalb auch rascher geimpft haben. Auch beim Neustart des Lebens sind wir, glaube ich, vielleicht die ersten, aber jedenfalls sind wir dort sehr weit vorne. Deshalb ist jetzt in Ungarn ein jeder, das ist mein Eindruck, erleichtert. Ich glaube, ich bin die einzige Ausnahme, weil es mich sehr besorgt stimmt, dass es auch weiterhin 3 Millionen Menschen gibt, die sich nicht haben impfen lassen. Und wenn wir die Sache von hier aus betrachten, dann liegen wir irgendwo zwischen den Deutschen und den Rumänen, das ist auch geographisch so. In Deutschland scheinen die Staatsbürger die Impfung eher zu akzeptieren. Ich habe darüber mit Frau Bundeskanzlerin Merkel gesprochen, die hofft, im Gegensatz zu Ungarn und einigen anderen Ländern werde bei etwa 50-55 Prozent die Impfbereitschaft nicht aufhören. Sie denken, sie sind Deutsche, deshalb können sie disziplinierter über die ungarischen Erfahrungen hinausgehen, und bei den Rumänen ist es wie es ist, das muss man vielleicht nicht einmal kommentieren, das ist eine andere Welt. Und wir, Ungarn, sehen so aus, dass in dem Moment, in dem die unmittelbare Gefahr abgenommen hat, da denkt der Ungar, wir hätten es auch bereits hinter uns gebracht. Und ich sage vergeblich, dabei sage ich es auch jetzt, ich bitte einen jeden, der sich nicht hat impfen lassen, es zu tun, denn das Virus wird ihn finden. Jetzt sehen die Zahlen gut aus, wobei natürlich was die Zahl der Gestorbenen angeht, das ist auch auf einen Menschen bezogen, der Verlust eines einzigen Menschen ist eine große Tragödie und ein Verlust, doch sterben jetzt schon viel weniger Menschen, es gibt wenige neue Infizierte, auf den Krankenhäusern lastet kein Druck, aber es gibt ein Virus, das nicht vorbeigeht, sondern hier unter uns sein wird, es wird zirkulieren, und wer nicht geimpft ist, den wird es finden. Wir haben also potentiell 3 Millionen kranke Menschen in Ungarn, die heute noch gesund sind, die über sich gar nicht vorstellen können, das Virus zu bekommen, denn die Epidemie geht gerade zu Ende, doch sind das in Wirklichkeit potentiell auf die Infektion wartende Menschen, die meiner Ansicht nach das Virus finden wird. Ich bitte einen jeden, sich nicht von dieser schönen Sommerstimmung und den guten Zahlen täuschen zu lassen; wer sich nicht impfen hat lassen, soll sich registrieren und impfen lassen.

Wenn wir nur die Engländer, Großbritannien betrachten, dann ist die Gefahr tatsächlich nicht vorüber, denn dort ist der Grad der Durchgeimpftheit sehr gut, doch trotzdem ist diese indische oder Delta-Variante erschienen, die viel ansteckender ist, als es die früheren waren, und man sagt, man müsse sehr vorsichtig sein.

Die, die geimpft worden sind…

…die sind nicht bedroht.

Da ist Amerika, Urlaub, Fußballspiele, also da ist das glückliche Leben, „happy Live“ wie man das so sagt. Wer also geimpft ist, ist laut unseres heutigen Kenntnisstandes auch gegenüber den bisherigen Virusvarianten geschützt. Wir erwarten auch keine, unsere Fachleute prognostizieren vorerst auch nicht, dass am Horizont eine Mutante erscheinen würde, gegenüber der unsere bisher angewandten Impfungen keinen Schutz geben würden. Das ist also in Ordnung. Das Problem ist, dass immer neuere und noch neuere Varianten auftauchen, die Mutationen sind, die bereits auf die schon seltener auffindbaren Kranken abzielen werden, so wie wir das jetzt in England sehen, wo die Durchgeimpftheit hoch ist, trotzdem wächst die Zahl der Infizierten, ich könnte aber auch andere Länder als Beispiel heranziehen. Es gibt ein Land, in dem man in der Gegend der Hauptstadt die Quarantäne angeordnet hat, wenn ich das in den Nachrichten heute Morgen richtig gesehen habe. Ich bitte also einen jeden darum, uns mit dem Gedanken anzufreunden, dass gegen das Virus nur die Impfung einen Schutz bedeutet. Wer sich impfen lässt, ist geschützt, wer sich nicht impfen lässt, der ist – ich sage es noch einmal – potentiell schwer krank.

Das Parlament hat jetzt vorerst seine Arbeit beendet, es gab Abschlussabstimmungen im Hohen Haus. Für das Pädophilengesetz haben nicht nur die Abgeordneten der Regierungsparteien gestimmt, sondern auch jene von Jobbik und auch einige unabhängige Abgeordnete. Demgegenüber sagte die Mehrheit der Opposition, dass dieses Gesetz zu einem Gesetz gegen Homosexuelle geworden sei, und es scheint doch so, dass bereits am Tag nach der Annahme des Gesetzes die Vorsitzende der Europäischen Kommission sich dahingehend geäußert hat, dass das Gesetz sie besorgt mache, da es ein Gesetz gegen Homosexuelle geworden sei. Ist das Gesetz gegen Homosexuelle?

Seien wir zunächst einmal in der Hinsicht tolerant, dass hierbei die Meinung der Homosexuellen am meisten zählt, uns erscheint es aber nicht als ein solches Gesetz. Aus irgendeinem Grund erscheint es ihnen ein solches zu sein. Meiner Ansicht nach würde es sich für sie lohnen, es zu lesen. Und wenn sie es lesen, dann wird die erste Sache, die ihnen auffallen wird, sein, dass sich das Gesetz nicht auf Personen über 18 Jahren bezieht. In diesem Gesetz geht es also um den Schutz unserer Kinder. Wer über 18 Jahre alt ist, auf den bezieht sich dieses Gesetz nicht, und wir wollen auch kein Gesetz annehmen, das sich auf sie bezieht. Es gibt gültige Rechtsvorschriften, die ein jeder einzuhalten hat, aber ansonsten ist dies ein freies Land. Sie leben so, wie sie leben wollen. Wie ihre Orientierung, ihre Lebensführung und ihre Auffassungen sind, das geht ausschließlich nur sie etwas an, sie sind erwachsene Menschen. Jene aber, die keine erwachsenen Menschen sind, sondern Kinder, noch dazu unsere Kinder, nicht so im Allgemeinen, sondern ein jeder hat ein Kind, diese muss man ja schützen. Und in diesem Gesetz geht es darum, wie wir sie schützen. Und wenn die Angehörigen der homosexuellen Community dieses Gesetz weiterlesen, dann werden sie auch sehen, dass der Ausgangspunkt dessen ist, dass die sexuelle Erziehung der Kinder, denn wir müssen ja irgendwie unsere Kinder auf das Erwachsenenleben vorbereiten, das wissen alle Eltern, wir müssen sie also in diesem Sinne erziehen, die sexuelle Erziehung der Kindes ist ausschließlich Sache der Eltern. Das kann keinerlei Institution weg- und übernehmen, es kann also in Ungarn nicht vorkommen, dass Eltern auf einmal mit der Tatsache konfrontiert werden, dass sie eine Vorstellung über die richtige sexuelle Erziehung ihres Kindes haben, und sie bemerken auf einmal, dass man in der Schule dem Kind etwas anderes sagt oder es geschieht etwas anderes. Denn das ist ausgeschlossen. Das Kind gehört den Eltern. Nicht der Schule, nicht dem Staat, usw. Wir haben eine Verpflichtung zum Schutz der Kinder, als Staat, als Regierung, doch gehört das Kind trotzdem dem Vater und der Mutter. Sie entscheiden also über seine Erziehung. Und auf dieser Grundlage steht das Gesetz, das sagt, man muss die Möglichkeit schaffen, dass tatsächlich die Eltern über diese Fragen entscheiden können bzw. man muss die Grenzen der sexuellen Erziehung in der Schule sehr deutlich abstecken, man muss die Rechte der Eltern garantieren, und man muss die minderjährigen Kinder davor schützen, dass für sie auf welcher Oberfläche auch immer Inhalte zugänglich werden, die im Übrigen der Idee der Erziehung entgegengesetzt sind, aufgrund der die Eltern sie erziehen. Und dann werden sie Erwachsene sein. Auch ich habe es kaum erwarten können, also ein jeder möchte sich bereits ab dem Alter von 17-18 Jahren von den Vorstellungen der Eltern über die Erziehung befreien, doch müssen wir das abwarten, ich kann den Jugendlichen nichts anderes sagen, wir müssen das Alter abwarten, in dem wir erwachsen sein werden, wir überschreiten diese Grenze, wir werden auch gar nicht erwachsen sein, denn wir erreichen nur die Altersgrenze von 18 Jahren, man glaubt natürlich im Alter von 18 Jahren, man sei schon längst erwachsen, jetzt, wenn ich an mein damaliges Ich zurückdenke, sehe ich das überhaupt nicht, aber egal, das 18. Jahr muss man abwarten, und dann entscheiden die Kinder, unsere dann schon erwachsen gewordenen Kinder darüber, was und wie sie es machen wollen, aber bis zu diesem Punkt muss ein jeder die Verantwortung der Eltern respektieren. Es schadet auch nicht, wenn dies die Kinder respektieren, aber das ist eine Familienangelegenheit, doch die Schule, der Staat müssen die Rechte der Eltern respektieren.

Aber sicherlich wird Brüssel einen Gesichtspunkt finden, nach dem es das Pflichtverletzungsverfahren eröffnen kann.

Meiner Ansicht nach kann es das. Jetzt beginnt die Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union. Eine der wichtigen Fragen dabei ist die, wer über die Erziehung der Kinder in der Europäischen Union entscheidet, und Ungarn besteht auf dem Standpunkt, dass über die Erziehung der Kinder die Eltern entscheiden müssen.

Es gab auch eine Schlussabstimmung in der Angelegenheit des Haushaltes, das Parlament hat das Gesetz für 2022 angenommen. Nun, das ist ja auch eine sehr wichtige Frage, wie wir die Wirtschaft neu starten können, doch gibt es dort noch einen anderen wichtigen Gesichtspunkt, auf den Finanzminister Mihály Varga hingewiesen hat, nämlich dass Ungarn auf der Wettbewerbsfähigkeitsliste, auf so einer Liste im Laufe eines Jahres fünf Plätze nach vorne gerückt ist. Das scheint sehr schön zu sein, doch wird dies, also das Anwachsen unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht durch jene Bestrebung gefährdet, die man aus Brüssel verspüren kann, dass es nämlich eine Minimalsteuer in der gesamten EU geben soll?

Im Allgemeinen ist jede Bestrebung, die die Flexibilität der Wirtschaft einengt bzw. verringert, schlecht und verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit. Die Wettbewerbsfähigkeit ist ja ein abstrakter Begriff, doch in Wirklichkeit geht es darum, dass es Länder gibt, wie z.B. Ungarn, dessen Bevölkerung innerhalb der gegenwärtigen Landesgrenzen 10 Millionen Einwohner beträgt. Und wenn wir nur für 10 Millionen Menschen Produkte angefangen von Lebensmitteln bis zu Industrieprodukten herstellen würden, dann wäre das Lebensniveau in Ungarn viel niedriger, als es jetzt ist, denn das Großteil unseres Geldes, denn Ungarn stellt einen Großteil seines Geldes dadurch her, dass wir nicht nur in der Lage sind, für zehn Millionen Ungarn, sondern auch für andere billiger und manchmal auch in besserer Qualität Lebensmittel und Industrieprodukte herzustellen. Hierin den für das Brot notwendigen Weizen mit inbegriffen, und, sagen wir, die Pkws. Und deshalb können wir diese Produkte verkaufen, daran verdienen wir, das nennt man ein exportorientiertes Land. Wir leben also davon, dass wir im Gegensatz zu anderen, mit uns im Wettbewerb stehenden Produktionsstandorten der Welt billiger, besser, in besserer Qualität und schneller und präziser, zuverlässiger produzieren können. Und alles, das diese unsere Fähigkeit mindert, sagen wir, man halst uns von Brüssel aus hohe Steuern auf, wogegen wir protestieren, das beschädigt unsere Wettbewerbsfähigkeit, wir werden unsere Produkte nicht mehr verkaufen können, denn wir werden teurer produzieren, und wenn wir unsere Produkte nicht verkaufen, dann werden wir weniger Geld haben, und wir werden schlechter leben. Das ist eine ziemlich logische und einfache Sache, deshalb ist es das nationale Interesse Ungarns, keine ihm von außen aufgezwungenen Steuerregeln zu akzeptieren. Und meine zweite Behauptung lautet: Der Ausgangspunkt für das jetzige Wirtschaftswachstum, den Erfolg, überhaupt für die vor uns stehende, ermutigende Zukunft ist jenes Steuersystem, das Ungarn wettbewerbsfähig macht. Die Veränderung dieses Steuersystems an gleich welchem seiner Punkte, seine Bewegung in Richtung auf den Anstieg der Steuern, wird zu einer Abnahme des Lebensniveaus für Ungarn führen, entweder sofort oder indirekt, mittelfristig. Deshalb ist die Steuererhöhung für das ungarische Wirtschaftssystem ein Gift.

Dass das Haushaltsdefizit in diesem und auch im kommenden Jahr höher als 3 Prozent liegen wird, bedeutet kein Problem?

Natürlich bereitet es Sorge, denn es wäre gut, wenn wir so viel Geld herstellen könnten, dass die Einnahmen des Haushaltes auch bei niedrigen Steuern höher liegen würden als die Ausgaben. Und wenn es kein Defizit gäbe, sondern einen Überschuss, und dann müssten wir darüber entscheiden, wie der Überschuss verteilt werden soll, und wir würden keinen Kredit aufnehmen, sondern würden anderen Geld verleihen und danach die Zinsen einnehmen, denn die Zinsen sind gut, wenn sie einem gezahlt werden, und nicht er sie zahlt. Es wäre also gut, wenn wir Kreditgeber wären. Heute, in diesem Moment ist Ungarn an diesem Punkt noch nicht angelangt, diese zehn Jahre, die wir hinter uns haben, waren zu wenig, aber mein Ziel ist unverändert. Ich möchte Ungarn an den Punkt führen, dass wir dann nicht mehr Kreditnehmer, sondern Kreditgeber werden sein können. Deshalb wäre es gut, wenn das Defizit Null wäre oder es einen Überschuss im Haushalt gäbe, und die Staatsverschuldung ebenfalls in der Nähe der Null sein könnte. Doch ist das in den kommenden ein-zwei Jahren keine reale Zielsetzung. Außerdem haben wir jetzt auch noch unter einer Pandemie gelitten. Dies hat die Menschen mitgenommen. Sowohl individuell als auch die Familien, die Firmen und auch die Dorf- und Stadtgemeinschaften. Wir sind also jetzt in einer schwierigen Situation, in der wir den früheren, heiteren, ermutigenden, florierenden Charakter des Lebens wiederherstellen müssen. Dies war nicht für die vergangenen 16 Monate charakteristisch. Und deshalb gibt es heute in Ungarn eine große Debatte. Auf der einen Seite befinden sich die liberalen Ökonomen und die linke Opposition, und auf der anderen Seite sind die konservativen Ökonomen und die Regierungsparteien. Die liberalen Ökonomen sagen, dies sei der Moment, in dem man verstärkt die Staatsverschuldung senken müsste, jetzt müssen Reserven für die späteren schwierigen Zeiten angehäuft werden. Darin steckt Logik, doch ich teile trotzdem diesen Standpunkt nicht, da ich denke, man müsse das kommende eine Jahr dazu nutzen – ich spreche vom Jahr 2022 –, um das Land und auch die Familien wieder auf das alte Niveau „zurückzustärken“. Jetzt muss man also nicht Reserven anhäufen, sondern jetzt muss man den nächsten, den zweiten wöchentlichen Teil der 13. Monatsrente den Rentnern geben, jetzt muss man die Steuerfreiheit der Jugendlichen einführen, wenn sie arbeiten, jetzt muss man die eingezahlte Steuer zurückgeben, wenn das Wirtschaftswachstum die 5,5 Prozent erreicht, wenn wir das Wirtschaftswachstum auf dieses Niveau anheben können, usw. Jetzt müssen wir mit den Unternehmern übereinkommen, unter welchen Bedingungen sie den Minimallohn von 200 tausend Forint auszahlen könnten. Wir haben also meiner Ansicht nach nicht den Zeitraum des Zurückhaltens von Reserven, sondern genau den Zeitraum der Wiederherstellung. Es stimmt, die Staatsverschuldung muss in der Zwischenzeit etwas abnehmen, wir müssen also auf die abnehmende Bahn zurückkehren, aber nicht jetzt ist die Zeit dafür gekommen, um sie radikal zu senken. Ich halte also den angenommenen Haushalt, der nicht die Vorstellungen der liberalen Ökonomen und der linken Opposition widerspiegelt, sondern die der konservativen Ökonomen und der Regierungsparteien für richtig, deshalb habe ich auch für ihn gestimmt.

Auch in der Konsultation kommen jene Fragen vor, die Sie jetzt erwähnt haben, nicht wahr? Der Fidesz, die Fidesz-Regierung ist schon lange der Ansicht, dass es nicht ausreicht, nur alle vier Jahre Punkte der Übereinstimmung mit den Wählern zu suchen, sondern von Zeit zu Zeit müssen diese Punkte der Übereinstimmung neu formuliert werden. Gibt es eine neue Frage oder eine derartige Gefahrenquelle, wegen der dies jetzt sehr aktuell wird?

Es ist im Allgemeinen wahr bzw. ich stimme dem zu, was Sie sagen, dass man jene Möglichkeiten in einer Gesellschaft suchen muss, die zusammenhält, und die ungarische Nation hält zusammen, mit deren Hilfe wir in möglichst vielen Fragen die Menschen in die Debatte über eine Frage und auch in ihre Entscheidung miteinbeziehen können. Das ist auch im Allgemeinen wahr. Hinzu kommt noch, dass wir uns in einer besonderen Situation befinden, denn es scheint einen allgemeinen Konsens zu geben, das wird dann natürlich die Konsultation klären, aber ich habe den Eindruck, es gibt eine allgemeine Stimmung, die sagt: Dadurch dass die Krise zu Ende gegangen ist, wird unser Leben nicht in seine alte Spur zurückkehren. Wir haben also zwar das Virus besiegt, das Land hat eine phantastische Leistung gezeigt, die dritte Welle ist aufgehalten, die Aussichten auf eine vierte Welle sind radikal gemindert, das stimmt, doch folgt daraus nicht, dass alles genauso weitergehen wird, wie es vor der Krise lief. Es wird auf jeden Fall irgendeine Veränderung geben, denn die Pandemie hat die Welt derart erschüttert, hat ein Gefühl für die Gefahr entstehen lassen und die Aufmerksamkeit der Menschen in die Richtung gelenkt, die Zukunft zu beobachten, ob nicht weitere ähnliche Erschütterungen drohen. Nun, wenn wir jetzt uns die Zukunft anders vorstellen müssen, als unser Leben vor der Epidemie war, müssen wichtige Veränderungen eintreten, sagen wir, man muss die Sicherheit in den Vordergrund stellen, es kommen neue Herausforderungen, und man muss das Land stärken, wenn also eine Gemeinschaft sich in so einer Situation befindet, dann ist es besonders wichtig, einige Grundfragen und gemeinsame Ziele dieses neuen oder veränderten Lebens nach der Krise, nach der Epidemie gemeinsam festzulegen. Diese Nationale Konsultation wird also besonders wichtig sein, denn man müsste ein Einverständnis über die Ziele, in der Hinsicht herstellen, welche jene Pfeiler, jene tragenden Säulen sein sollen, um die herum wir unser Leben nach der Seuche organisieren müssen. Dies gilt für die Migration, dies gilt für die Verteidigung gegen die Seuche selbst und dies gilt auch für unser Wirtschaftssystem. Das wird eine spannende Konsultation.

Dass es eine neue Gefahr gibt, bzw. es kann sein, dass wir sagen, die Migration habe sich in den vergangenen fünf-sechs Jahren nicht geändert, doch ist der Vorschlag erneut virulent geworden, kommt in Brüssel erneut aufs Tapet, dass die Europäische Union die verpflichtende Quote einführen solle. Kam auf dem NATO-Gipfel die Frage der Migration zur Sprache? Die Frage ist, dass es wichtig wäre, an den Außengrenzen der Europäischen Union jene aufhalten zu können, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben ohne Papiere ankommen.

Lassen Sie mich zuerst auf die Migrationsfrage antworten und danach auf die nach der NATO. Es wird also auch in der kommenden Woche einen Gipfel der Ministerpräsidenten in Brüssel geben. Zwei große Fragen liegen auf dem Tisch. Die eine haben die südlichen Länder dort platziert. Der Migrationsdruck hat in gewaltigem Ausmaß zugenommen. Das sehen auch wir auf dem Landweg, aber auf dem Meer noch stärker, und deshalb ist die Idee aufgetaucht, die anderen sollen die durch die südlichen Länder hereingelassenen Migranten übernehmen. Ungarn hat bisher diese Willkommenskultur felsenfest abgelehnt, wir tun also nicht so, als ob wir uns über die Migration freuen würden, nein, die Migration ist eine schlechte Sache, auch die Grundidee der Migration ist eine schlechte Sache. Dies ist keine Sendung für philosophische Ausführungen, aber lassen Sie mich doch kurz sagen, der liebe Gott hat die Menschen nicht zufällig dort erschaffen und sie nicht zufällig mit der Verpflichtung ausgerüstet, dort zu versuchen, klarzukommen, wohin sie geboren worden sind, diesen Punkt der Welt lebenswerter, glücklicher, heiterer zu machen, dort ihr eigenes Leben einzurichten. Und wenn man von dort aus irgendeinem Grund weggehen muss, was an sich keine gute, sondern eine schlechte Sache ist, die Migration ist also eine schlechte Sache, denn es geht darum, dass man dort nicht klarkommen kann, wohin man geboren worden ist. Aus diesem Grund haben wir die Migration niemals als einen Segen angesehen. Es gibt Stimmen, die darüber denken, was für eine schöne Sache es ist, dass die Menschen auf der ganzen Welt nur so migrieren von rechts nach links und von links nach rechts. Das ist unserer Ansicht nach nicht die Ordnung, in der ein jeder sein Leben in Sicherheit, heiter und unter den seiner Kultur entsprechenden Umständen leben könnte, deshalb unterstützen wir die Migration von Vornherein nicht. Es stimmt, manchmal werden die Menschen getötet und ihre Städte niedergebrannt und Hungersnöte brechen aus und sie leiden unter Unterdrückung, und dann muss man von einem konkreten Ort fliehen, so etwas gibt es, die Migration kann also nicht ausgeschlossen werden. Doch auch in so einem Fall ist es nicht das Ziel, sie hierher zu bringen, also nach Europa, und ihnen hier ein neues Leben zu geben, sondern das Ziel ist, dass sie möglichst schnell zurückgehen können und das Übel von dort möglichst schnell verschwindet. Hierbei muss die Europäische Union eine Rolle übernehmen. Man muss dorthin gehen, wo die Probleme sind, wenn wir militärische Kräfte haben – jetzt haben wir sie nicht –, muss dort Ordnung gemacht werden, die Zustände müssen konsolidiert werden, man muss den Menschen helfen, damit sie ihre Siedlungen wiedererrichten, damit dort das Wirtschaftsleben wieder neu beginnt und ein jeder dorthin zurückgehen kann, wo er im Übrigen geboren worden ist, denn dort kann er ein wirklich vollständiges Leben leben. Das ist unsere Auffassung. Nun vertritt die Europäische Union andere Ideale, deshalb wird es in der kommenden Woche hierüber eine ernsthafte Diskussion geben. In der anderen großen Debatte wird es um die Kosten des Klimaschutzes gehen, denn es liegt ein Vorschlag vor, in dem es darum geht, dass wir die Pkw-Besitzer und die Hausbesitzer besteuern sollen, ihnen eine Klimasteuer aufhalsen sollen, um daraus irgendwie die Umweltzerstörung zu mindern. Unsere Meinung ist, dass die Kosten des Klimaschutzes die Zerstörer des Klimas zahlen müssen und nicht die ungarischen Familien. Was die NATO angeht, wir haben dort eine gemeinsame Strategie bis 2030 angenommen, der Schlüsselbegriff in diesem Dokument ist Erhöhung der nationalen Widerstandskräfte, das muss getan werden. Dies besitzt einen militärischen Aspekt und einen gegen die Migration gerichteten Aspekt. Jetzt treffen die beiden aufeinander. Wenn wir jetzt diese Sache vom Gesichtspunkt Ungarns betrachten, sehen wir, dass wir vier Verteidigungslinien gegen die Migration haben. Es gibt also vier Punkte, an denen wir die Migration aufhalten können. In östlicher Richtung ist dies ja in Afghanistan, in südlicher Richtung bei Mali, dort kommen also jene großen Massen an, die man zuerst dort aufhalten müsste. Deshalb ist es für uns nicht gut, wenn in Afghanistan Chaos herrscht und in Mali solche Zustände herrschen, wie jetzt, denn dann werden sie durch diese Länder hindurchrennen, auch von da kommen noch Menschen und die Migranten gehen durch sie hindurch und sie kommen an der nächsten Verteidigungslinie an, die das Mittelmeer bzw. die Türkei ist. Das ist die Verteidigungslinie Nummer zwei. Wenn sie auch diese überwinden, dann haben wir die Verteidigungslinie Nummer drei, das sind die Südgrenzen Serbiens. Deshalb müssen wir mit den Serben ein strategisches Bündnis abschließen und gemeinsam die nach Zentraleuropa gerichtete Migration aufhalten, wenn sie bis an die Südgrenze Serbiens angekommen ist. Und wir haben die vierte Verteidigungslinie, das ist die serbisch-ungarische Grenze, an der wir die Massen der Migranten mit dem Zaun aufhalten müssen.

Und sind diese vier Verteidigungspunkte dann so verankert?

Wir haben auch aus dem Grund in Afghanistan im Rahmen der internationalen militärischen Aktion eine Rolle übernommen, da wir uns selbst verteidigten. Es geht nicht nur darum, dass wir an einer gemeinsamen NATO-Aktion teilgenommen haben, sondern auch darum, dass wir unsere eigenen Interessen verteidigt haben. In Mali sind die Tschechen, die Polen und auch andere mitteleuropäische Länder militärisch präsent, nicht weil sie nichts Besseres zu tun hätten, sondern weil sie genau wissen, dass die aus dem Inneren Afrikas nach Norden strömende Migration irgendwo aufgehalten werden muss, und die Franzosen, die ziemlich stark sind, haben für diesen Zweck Mali ausgewählt, und hieran konnten sich die mitteleuropäischen Länder anschließen. Wir nehmen daran noch nicht teil, da gibt es jetzt gerade ein Durcheinander, wir wissen auch gar nicht, wie die Zukunft jener Verteidigungslinie aussieht, aber wir untersuchen kontinuierlich die Möglichkeit der militärischen Teilnahme, denn dort schützen wir Ungarn. Dort sind wir nicht auf Streifzügen, wir erscheinen nicht ohne eine Zuständigkeit an entfernten Punkten der Erde, sondern wir verteidigen die ungarischen nationalen Interessen, verständlicherweise besonders unter dem Gesichtspunkt der Migration.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.