Viktor Orbáns Interview mit Hír Televízió [Nachrichten TV]
3. April 2022, Budapest

Zsolt Bayer: Hier im Studio ist mit mir Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident. Servus, Herr Ministerpräsident!

Servus! Ich freue mich, Dich zu sehen. Guten Abend!

Auch ich freue mich. Du hast gerade vor der feiernden Menge eine Rede gehalten, und Du sagtest, der heutige Abend gehöre den Gefühlen und dem Herzen, erlaube mir also, dass ich, gleich zum Anfang, aus meiner Rolle heraustrete. Wir haben am 30. März 1988 zu 37-st eine Jugendorganisation gegründet. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, nach dreißig und einigen Jahren würde ich hier mit Dir, Ungarns Ministerpräsidenten sitzen, der gerade das fünfte Mal eine Regierung bilden wird, hätte ich ihn sicher ausgelacht. Hast Du irgendwann einmal hieran gedacht?

Wir haben nicht daran gedacht, aber man muss über so etwas auch gar nicht nachdenken, man muss es machen, und dann gelingt es.

Herr Ministerpräsident, hier stehen wir, ich hätte beinahe gesagt an der Tür zum fünften großen Sieg, aber das ist nicht mehr die Tür, da sind wir schon hindurchgegangen, der Gegenwind war erschreckend, und nicht nur hier zu Hause, sondern in erster Linie aus dem Westen, aus Brüssel, aus Washington und von überall her gab es nur Gegenwind. Und hinzu kam, dass mitten im Wahlkampf in unserer Nachbarschaft auch noch ein Krieg eingeschlagen hat. Hat das, was jetzt in Ungarn geschehen ist, endgültig und unumkehrbar die Politik dieser vergangenen zwölf Jahre bestätigt?

In unserem Metier gibt es nichts Unumkehrbares. Morgen früh werde ich so aufstehen, dass ich mittags eine Regierungssitzung abhalten werde, und ich muss darüber nachdenken, was die nächste Aufgabe denn sein wird, doch wird das die Sache von morgen sein, heute Abend sollten wir uns wirklich freuen, und dem lieben Gott danken, denn wir haben auf eine Weise gewonnen, wie das niemand gedacht hatte, dass wir in der Lage zu gewinnen wären. Und trotz der vielen modernen Technik, der Messungen, Fokusgruppen, solcher politischen Klugheiten, in der Tiefe jeder Wahl steckt dennoch ein Mysterium. Im Fall von Ungarn machen sich 6 Millionen Menschen auf den Weg, und gehen, um eine gemeinsame Entscheidung auszuformen. Und aus diesen 6 Millionen Willen entsteht dann am Ende ein großer gemeinsamer Wille, und das kann niemand weissagen, was sein wird und wie es sein wird – außer dem lieben Gott. Und ich habe in den vergangenen dreißig Jahren gelernt, dass man für eine Mehrheit von einem Mandat genauso viel arbeiten muss wie für einen Sieg mit Zweidrittelmehrheit. Wenn Du auch nur ein bisschen weniger arbeitest, dann bekommst Du keine Belohnung, bekommst Du keinen Sieg, dann wird es nicht gelingen, und deshalb kann ich nur im Tonfall des höchsten Dankes über jene mehr als hunderttausend Freiwilligen sprechen, die von Herzen kommend, aus Begeisterung, aus Engagement zur Heimat die hinter uns gelassenen Wochen durchgeschuftet haben, millionenfach an die Türen geklopft, millionenfach die Menschen angerufen haben, und nur der liebe Gott weiß, mit wie vielen Menschen sie persönlich gesprochen haben, um ihnen zu sagen, wie wichtig es sei, wenn sie am Sonntag dabei wären, und wenn wir schreien, dann soll das erklingende Endergebnis nicht Barabbas lauten, sondern das Land soll die Chance erhalten, die es verdient. Das ist eine großartige Sache. Wir sind hier seit mehr als tausend Jahren. Hier kann jeder neunmalklug daherreden, man pflegt auch neunmalklug daherzureden, wie man dies machen müsste, doch gibt es nur sehr wenige Völker, die über einen so langen Zeitraum in der Lage gewesen wären, sich zu erhalten, der Welt immer mehr zu geben, als man bekommt, gute Dinge der gemeinsamen Leistung der europäischen Gemeinschaft hinzufügen. Wir sind also ein Land, das gute Gründe besitzt, auch wenn uns das 20. Jahrhundert gequält hat und wir vieles verloren haben, das man nicht hätte verlieren dürfen, doch sind wir trotzdem eine mit erhobenem Haupt, stolz schreitende, bzw. mit erhobenem Haupt einem jeden in die Augen blicken könnende, dazu berechtigte Nation, die sich nicht dafür schämen müssen, weil sie Ungarn sind, sondern wir können auf all das stolz sein, was wir in den vergangenen mehr als tausend Jahren auf den Tisch gelegt haben, und wir möchten, dass unsere Enkel darauf stolz wären, was wir auf den Tisch legen. Und wir möchten Enkel erziehen, auf die dann deren Enkel werden stolz sein können, und das wird so weitergehen, solange die Welt die Welt bleibt. Darum ging es bei den heutigen Wahlen, dies war in ihr das Mysterium. Ungarn lebt, Ungarn ist stark und die Ungarn lieben ihre Heimat.

Über das Mysterium und das Herz hinaus ist es die Situation, dass unsere Opposition in einer Hinsicht jetzt nicht die Katze im Sack verkauft. Die wirklichen Anführer der Opposition haben im Laufe des Wahlkampfes mehrfach gesagt, sie wollen die Vereinigten Staaten von Europa. Genau das gleiche will die Brüsseler Bürokratie, und ich denke, auch Washington, doch das ist jetzt ganz gleichgültig. Das Wesentliche ist, dass ich davon überzeugt bin, dass anstelle eines Imperiums mit unscharfen Konturen wird die Zukunft doch die nationale Renaissance darstellen. Jetzt, frage ich wieder, bestätigt dieses Ergebnis zumindest das?

Das hat es bestätigt. Aus der ungarischen Perspektive können wir sagen, wir besitzen eine eigene Heimat, der Heilige Stephan hat sich das gut ausgedacht. Wenn wir das verstehen, was unsere Eltern, unsere Großeltern und die ihnen Vorausgehenden gedacht und erschaffen haben, dann glaube ich nicht, dass wir für uns einen besseren Rahmen finden könnten als unsere eigene Heimat, unsere eigene Nation, als Ungarn. Wir müssen uns nicht an Imperien anschließen oder uns in sie eingliedern, daraus wird für uns nichts Gutes herauskommen. Und selbst wenn für uns dabei etwas Gutes herauskäme, auch dann würden wir uns in unserer Haut nicht wohl fühlen, denn wir sind Ungarn, die in ein freiheitsliebendes und unabhängiges Ungarn verliebt sind. Hierin können wir leben, das ist unsere Heimat, so können wir glücklich sein. Jetzt gibt es in Europa zweifellos eine Diskussion darüber, dass das, was ich jetzt gesagt habe, kein Gedanke oder nur das Echo irgendeiner veralteten, verschwundenen, alten Schule sei, und es gibt viele Patrioten in Europa, die besorgt wegen ihrer eigenen Heimat sind, und voller Hoffnung auf Mitteleuropa blicken, nicht nur auf Ungarn, auch auf Polen, aber auch auf Slowenien, auch die Kroaten, auch die Tschechen, Mitteleuropa trägt also eine Hoffnung für die europäischen Völker, dass die Heimatliebe nicht zur Vergangenheit, sondern der Zukunft gehört, dass das Christentum nicht vergangen, sondern ein Fundament ist, und nur auf ihm stehend können wir unser Leben einrichten, dass die Werte bewahren wollende bürgerliche, konservative Politik nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft ist. Das ist eine große Botschaft, was heute hier in Ungarn geschehen ist, für die gesamte europäische Gemeinschaft. Viele werden es hören und wir geben damit vielen Menschen auch außerhalb Ungarns Hoffnung.

Dann möchte ich diesen Gedankengang fortsetzend noch eine letzte Frage stellen. Viele Menschen sagen heute, dass in erster Linie der Horizont, die Perspektive der westlichen Politik sich, wie ich das an vielen Stellen lesen konnte, bis zu dem Guardian- oder Politicoleitartikel des nächsten Tages erstreckt, und dass die Politiker im Allgemeinen diese Perspektive sehen, sie arbeiten, um dort eine gute Figur zu machen. Im Vergleich dazu haben wir hier Mitteleuropa, haben wir hier Ungarn, haben wir hier den vierten fantastischen Sieg nacheinander. Können wir sagen, dass es sich viel mehr auszahlt, wirklich perspektivisch zu denken?

Der nüchterne Verstand lässt uns dies sagen, doch müssen wir verstehen, dass sich die Welt der Politik in den vergangenen zehn und einigen Jahren um ein Vieles verändert hat, und es gibt tatsächlich sehr viele, die um das Überleben kämpfen. Und jene Nationen, die nicht erkannt haben oder nicht einsehen wollen, dass sie starke Regierungen und führende Politiker benötigen, die erschaffen wirklich schwache Koalitionsregierungen und können kaum auf die Herausforderungen der modernen Zeit antworten, sie stolpern eher umher. Doch unser Volk – das ist nicht nur jetzt so, dies geschieht schon seit langem mit uns, dass es – versteht und akzeptiert es irgendwie, dass wenn wir nicht stark sind, wenn wir nicht gut organisiert sind, wenn es keine seelische Verbindung gibt, die unsere führenden Persönlichkeiten mit den Menschen verbindet, dies mag vielleicht noch aus der Zeit der Landnahme hiergeblieben sein, wenn es also nicht jene tiefe seelische Gemeinschaft zwischen den Ungarn gibt, die uns zusammenhält, denn wir sind ja doch Fremde, allein, alle, die uns umgeben, sind andere Völker, also wenn wir nicht zusammenhalten, dann werden wir auseinanderfallen. Und wenn wir auseinanderfallen, dann werden andere unser Land bewohnen. Darüber haben wir schmerzvolle historische Erfahrungen gemacht, und deshalb ist zum Glück die Erwartung gegenüber den ungarischen Politikern irgendwie tiefer und stärker als jene gegenüber den westlichen Kollegen. Hier zählt nicht die Popularität, natürlich ist es besser, wenn man beliebt ist, als wenn man es nicht ist, doch insgesamt formuliert sich die Erwartung der ungarischen Menschen gegenüber unseren Politikern noch immer vor einem historischen Horizont, sie denken in der Kategorie des langfristigen Erhaltenbleibens und sie erwarten von ihren führenden Politikern, dass sie gemeinsam mit ihnen daran arbeiten sollen. Und deshalb sind sie auch vielleicht bereit, die unweigerlich mit der Arbeit einhergehenden Fehler zu verzeihen, natürlich erwarten sie, dass wir sie korrigieren, doch geht es ihnen so, dass wir die wichtigen Dinge nicht mit den weniger wichtigen Dingen vermischen sollten, und wenn der Moment gekommen ist, dann produzieren sie so ein fantastisches Wahlergebnis. Es gibt in Europa nicht noch ein Volk, das in der Lage wäre, einer seit einer so langen Zeit an der Regierung sich befindlichen politischen Gemeinschaft ein so großes Vertrauen zu geben, wie wir es jetzt von den Ungarn erhalten haben. Wir müssen in den kommenden Jahren sehr viel, arbeiten, um dafür dankbar zu sein.

Herr Ministerpräsident, dann soll dieser heutige Abend dem Feiern, den Gefühlen gehören. Gott segne Ungarn, und wir danken!

Vorwärts Ungarn!

Vorwärts Ungarn! Vielen Dank!