Viktor Orbáns Presseerklärung nach seiner Unterredung mit Andrej Babiš, Tschechiens Ministerpräsidenten
29. September 2021, Ústí nad Labem

Guten Tag! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Ich danke Ihnen, dass ich hier sein darf. Wissen Sie, in diesem Jahr versieht die Koordination der V4 Ungarn. Und bei Ihnen wird es Wahlen geben, und wir wollen uns zwar in die Wahlen keines einzigen Landes einmischen, denn über das Schicksal der Tschechen entscheiden dann die Tschechen, aber ich habe es überhaupt nicht bereut, dass ich jetzt zu Ihnen kommen durfte und mit ihrem Ministerpräsidenten sprechen konnte. Ich bin besonders dafür dankbar, Andrej, dass es zu dem Treffen in Ústí nad Labem kommt. Sie wissen das sicherlich nicht, aber es gibt eine Generation in Ungarn, für die dieser Ort ein legendärer Ort ist. Ich gehöre zu dieser Generation, und wir haben dies dem Umstand zu verdanken, dass Sie einen fantastischen Schriftsteller haben: Vladimír Páral. Und als ich neu an der Universität war, da war bei uns jenes Buch ein großer Schlager, das tschechisch „Milenci a vrazi“ heißt. Und über dieses Buch hatte beinahe jeder Student meines Alters oder Abiturient gehört oder es gelesen, also freue ich mich, dass jetzt dieses Treffen in der Stadt durchgeführt werden konnte, die meine Jugend in Erinnerung ruft.

Ich sagte es nicht nur dem Herrn Ministerpräsidenten, ich sage es auch Ihnen, dass ich seit 1988 nicht nur in der Politik drin bin, sondern auch in den tschechisch-ungarischen Beziehungen. Ich verfolge seit 1988, was bei Ihnen in Tschechien geschieht. Ich erinnere mich noch daran, wie 1989, als Ihr großer Moment auf dem Wenzelsplatz gekommen war, sich damals auch unsere politische Partei, der Fidesz vertreten ließ, ja man hat zwei führende Angehörige unserer Partei auch verhaftet – seitdem ist der eine Abgeordneter im Europäischen Parlament, war lange Zeit ungarischer Abgeordneter, auch Mitglied einer meiner Regierungen –, die wir auf großen internationalen Druck noch 1989 aus den tschechischen Gefängnissen befreien konnten. Ich erinnere mich noch an die Charta ’77, deren tschechische Führer wir immer verehrt haben. Ich erinnere mich noch gut an Herrn Präsidenten Havel, zu dem wir enge und freundschaftliche Beziehungen hegten, als Antikommunisten und Freiheitskämpfer. Ich erinnere mich noch daran, als Klaus bei Ihnen der Ministerpräsident war und die Welt mit seinen wirtschaftlichen Neuerungen überraschte. Und auch Ihr heutiger Staatspräsident, Herr Präsident Zeman, war als Ministerpräsident, noch irgendwann ganz zum Beginn der zweitausender Jahre, mein Kollege. Ich beobachte die tschechische Politik schon seit sehr langem, und wir haben Sie immer beneidet. Sie waren uns immer ein-zwei Schritte voraus, und das ist auch heute nicht anders.

Und ich freue mich, dass in den vergangenen Jahren Andrej Babiš mein Kollege sein konnte, der sich in die Reihe der vorhin aufgezählten großen tschechischen Politiker einfügt. Und mit ihm befinde ich mich in einem eigenartigen Wettrennen, und ich muss sagen, noch bin ich ihm nicht voraus, aber wir werden sehen, was die Zukunft mit sich bringt. Wir sind darin im Wettlauf, wer eine niedrigere Arbeitslosigkeit erreichen kann, und Sie sind irgendwo bei 3 Prozent, wir haben sie jetzt unter 4 Prozent bringen können; Sie sind uns einen Schritt voraus. Wir möchte Sie hinsichtlich des niedrigen Niveaus der Verschuldung einholen, obwohl es die Wahrheit ist, dass Sie von den Kommunisten eine niedrigere Verschuldung geerbt haben als wir, doch unabhängig davon sind Sie uns voraus. Wir beneiden Sie ausgesprochen um die Wertschöpfung der Industrie, denn die tschechische Industrie erreicht noch immer mit ihrer eigenen Leistung eine höhere Wertschöpfung der hergestellten Produkte als wir, Ungarn. Und ich habe nie verstanden, warum Ihr Ministerpräsident aus dem Haushalt doppelt so viel für die Innovationen ausgeben kann, als wozu wir in der Lage sind, denn wer mehr für die Innovationen ausgibt, der hat gute Chancen, seinen Vorsprung zu behalten. Und schließlich ganz attraktiv ist es für die Ungarn, dass im Vergleich zum durchschnittlichen Entwicklungsgrad der Europäischen Union Sie bereits den neunzig und einigen Prozent sehr nahe sind, diese beinahe auch schon erreichen, wir sind leider erst bei siebzig und einigen Prozent, es gibt also auch hier noch einiges für uns, das wir abarbeiten müssen. Ich komme also immer gern nach Tschechien, um zu lernen, um zu verstehen, warum das so ist, dass Sie hinsichtlich einiger wichtiger wirtschaftlicher Kennziffern uns immer noch voraus sind.

Die Wahrheit ist, ich bin nicht hierhergekommen, um Ihnen diese wirtschaftlichen Tatsachen aufzusagen, denn diese kennen Sie ja sicherlich, sondern ich bin gekommen, um den tschechisch-ungarischen Flügel der Zusammenarbeit der V4 zu stärken. Denn wenn Tschechien nicht für die V4 engagiert ist, dann werden die V4 nicht funktionieren. Wenn es das Engagement von Herrn Ministerpräsident Babiš für Mitteleuropa und die V4 nicht gibt, dann sind die ganzen V4 ohne Tschechien eine lahme Ente oder ein Fahrrad mit geplatztem Reifen. Also brauchen wir in der V4 Tschechien, die Kraft der Tschechen und auch den politischen Einfluss der Tschechen. Das ist ganz besonders jetzt so, denn es ist meine Überzeugung, und darüber haben wir heute hier in erster Linie gesprochen, dass wir im kommenden Jahrzehnt vor fantastischen Möglichkeiten stehen werden.

Es gibt natürlich Gefahren, so eine ist die Migration. Ich glaube nicht, dass die nächste große Migrationswelle an uns vorbeigehen wird. Europa muss sich darauf vorbereiten, dass aus Afghanistan Menschen zu Millionen hinausströmen werden, ein Teil davon wird über den Balkan durch Ungarn nach Europa hereinkommen wollen. Ich möchte die Tschechen daran erinnern, dass Ungarn an der Südgrenze, an der serbisch-ungarischen Grenze nicht nur Ungarn verteidigt, sondern auch Tschechien schützt, ganz Europa, darin auch Tschechien schützt, und deshalb war ich nicht verschämt, und ich habe den Herrn Ministerpräsidenten gebeten, uns Soldaten oder Polizisten zu geben, mindestens fünfzig, sie auch auszurüsten und zu uns zu schicken, damit wir den Grenzschutz verstärken können, wenn wir auch schon Tschechien schützen. Und natürlich ist dann hier auch noch die Pandemie, wir werden sehen, wie das ausgeht. Es gibt also Gefahren, doch steht Mitteleuropa vor einem Jahrzehnt, das fantastische Möglichkeiten bietet.

Unser Wachstum ist doppelt so groß wie das von Westeuropa, und wenn Sie sich das betrachten, dann werden Sie sehen, langsam drehen sich die Verhältnisse um. Früher hatten wir gedacht, Mitteleuropa könne ohne Westeuropa nicht zurechtkommen, denn sie waren ja die Reicheren, dort gab es mehr Kapital, da funktionierte die Wirtschaft besser. Das hat sich heute gedreht. Heute ist es die Wahrheit, dass die westeuropäischen Wirtschaften ohne Mitteleuropa nicht funktionieren können. Es gibt keine erfolgreiche deutsche Wirtschaft ohne Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei. Das nächste Jahrzehnt wird also ein großes, starkes Erwachen des Selbstbewusstseins von Mitteleuropa, wenn wir erkennen, wenn wir spüren, dass Mitteleuropa tatsächlich die Lokomotive der Wirtschaften der EU ist. Deshalb wird unser politischer Einfluss anwachsen und auch unser wirtschaftlicher Einfluss. Das ist richtig, denn dahinter steckt Leistung, das ist auf diese Weise gerecht, doch können wir das nur dann zur Geltung bringen, wenn die tschechisch-ungarische Zusammenarbeit, wenn innerhalb der V4 die mitteleuropäische Zusammenarbeit erhalten bleibt.

Ich möchte mich dem anschließen, was der Herr Ministerpräsident über dieses ETS-System gesagt hat. Sie wissen, dies ist ein äußerst kompliziertes System, selbst es zu verstehen, ist eine große Herausforderung. Auch ich wende mich deshalb oft an Ihren Ministerpräsidenten, der die Finanzen besser versteht, doch das Wesentliche ist, dass man hier uns ein System aufzwingen will, dessen Wesen ist, dass Sie alle, die Sie hier sind, ein jeder, alle tschechischen Menschen deshalb zahlen werden, weil sie ein Haus haben, und zahlen werden, weil sie einen Pkw haben. Das wird man auf eine komplizierte Weise erreichen, man wird die Preise erhöhen, und Sie – und auch wir, Ungarn – werden mehr zahlen müssen, also müssen wir das unter allen Umständen verhindern. Ich habe also – wie soll ich es sagen? – Waffenbrüderschaft mit Herrn Ministerpräsident Babiš geschlossen, um dieses ETS-System, das man uns jetzt aufzwingen will, unbedingt zu ändern, denn sonst werden Sie Ihr letztes Geld dafür ausgeben, nicht nur Sie in Tschechien, auch wir Ungarn in Ungarn. Wir sind nicht bereit, eine Extrasteuer zu zahlen, weil wir einen Pkw besitzen oder weil wir in einer Wohnung leben oder ein Haus besitzen. Das muss also unbedingt verhindert werden. Es mag sein, dass dies der Luxus der Westeuropäer zulässt, aber unser Leben lässt dies nicht zu, und wir stimmten darin überein, dass wir bei der ersten sich ergebenden Möglichkeit dementsprechend auf dem nächsten Gipfel der Europäischen Union auftreten werden.

Über die tschechisch-ungarische wirtschaftliche Zusammenarbeit möchte ich noch sagen, es ist für uns eine Ehre, dass Sie auch ungarische Firmen in der tschechischen Wirtschaft aufnehmen. Wir danken Ihnen, hier sein zu dürfen. Wir danken Ihnen, investieren zu dürfen, und wir danken auch dafür, dass in der Zeit von Herrn Ministerpräsident Babiš die tschechisch-ungarische wirtschaftlich Zusammenarbeit nie zuvor gesehene Ausmaße erreicht hat. Das Volumen des bilateralen tschechisch-ungarischen Handels hat in diesem Jahr bisher um 26 Prozent zugenommen, und 330 tschechische Firmen sind in Ungarn tätig. 330 tschechische Firmen arbeiten in Ungarn – damit übrigens vielen tausend Menschen eine Arbeits- und Brotverdienstmöglichkeit bietend. Also, Herr Ministerpräsident, danken wir für die Möglichkeit der Zusammenarbeit! Wir möchten dies erweitern, das funktioniert jetzt gut in der Telekommunikation, es geht gut in der Landwirtschaft, das läuft gut auf dem Energiesektor, wir möchten dies auch auf die Waffenindustrie ausdehnen, auch hier gibt es Schritte, die Grund zur Hoffnung geben, und wir empfehlen das gemeinsame wirtschaftliche Auftreten tschechischer und ungarischer Firmen auf immer weiteren und weiteren Gebieten. Ich möchte Sie versichern, dass seitens Ungarns alles bereitsteht, um mit der Regierung von Andrej Babiš in der Zukunft eine enge, freundschaftliche, nüchterne und auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts beruhende Zusammenarbeit zu verwirklichen, und Ungarn ist in dieser Frage engagiert.

Ich danke Ihnen, dass ich heute mit dem Herrn Ministerpräsidenten in Ústí nad Labem sein durfte!