Viktor Orbáns Rede bei der Einweihung der Kirche der Zusammengehörigkeit
26. September 2021. Budapest-Pesterzsébet

Hochwürdiger Herr Bischof! Eure Exzellenz! Frau Professorin! Sehr geehrtes Presbyterium! Sehr geehrte feiernde Gemeinde! Liebe Reformierten Brüder!

Es war eine starke Woche für die ungarischen Reformierten. Vergangenen Sonntag haben wir auf dem Schwabenberg (Svábhegy) einen reformierten Kindergarten, gestern in der reformierten Hochburg, in Sárospatak eine Universität gegründet, heute weihen wir eine Kirche ein, die alles andere als gewöhnlich ist. Die Kirche ist das Zeichen dafür, dass wir auf Gott vertrauen, und deshalb mit Glauben in die Zukunft blicken. Unsere Kirchen sind Leuchttürme: Wenn eine neue errichtet wird, nimmt das Licht in der Welt zu.

Sehr geehrte Gemeinde!

Der heutige Sonntagnachmittag wühlt unsere Gedanken und Gefühle auf. Die wogenden Gefühle drehen sich zugleich um die individuelle Leistung, die Kraft der Gemeinschaft und die historische Mission des Ungarntums. Das Licht des heutigen Nachmittags der Kircheneinweihung rückt auch bestimmte Zivilisationsprozesse in ein eigentümliches Licht. All dieses Aufgewühltsein geschieht deshalb jetzt mit uns, da die Kirche eine Wirkung auf uns hat. Jetzt verspüren wir an uns selbst jene alte Wahrheit, dass wir zuerst unsere Gebäude formen, damit sie uns danach formen. So wie wir hier jetzt stehen, erwacht in uns Respekt für alle Mitglieder der Gemeinde und besonders für Herrn Pastor Hochwürden János Börzsönyi und Herrn Hausmeister Miklós Farkas. Wer jemals gebaut hat, weiß, was für eine schwierige Aufgabe, welch erdrückende Verantwortung es ist, dass alles in Ordnung ablaufen und rechtzeitig geschehen soll.

Liebe Reformierten Brüder!

Heutzutage sind jene Anlässe selten geworden, bei denen wir unter den größten Unterstützern einer ernsthaften Unternehmung neben der jeweiligen Regierung auch Privatpersonen sehen. Hoffen wir, dass dies nur deshalb so ist, weil jetzt die Wirtschaft einen Höhenflug erlebt und auch ohne große persönliche Spenden das geschieht und erbaut wird, was geschehen und erbaut werden muss. Hoffen wir, dass dies nur so viel bedeutet, in den mageren Jahren – denn wir, Älteren, wissen, es kommen auch immer magerere Jahre –, nun, da werden wir eine Fülle von großherzigen Spenden haben. Doch ist unsere Situation eine andere. Sie ist anders, da Frau Professorin Bagdy als Privatperson zur größten Mäzenin des Baus geworden ist. Obwohl rechnerisch die Regierung den Bau vielleicht mit einer größeren Summe unterstützt hat, hat – damit wir heute hier stehen können – niemand verhältnismäßig eine so große Last auf sich genommen, wie die Frau Professorin. Wir danken ihr dafür!

Ich muss auch über Imre Makovecz sprechen, der an seinem Lebensabend diese Kirche erträumt hat. Der alte Meister nahm es auf sich, mit seiner schwindenden Kraft der reformierten Gemeinde von Pesterzsébet zu helfen, eine Kirche zu bekommen. Die Spuren seiner Hände trägt die Kirche, ein jeder kann das erkennen, der auch nur einen Blick auf die Silhouette des Gebäudes wirft. Über Gebäude pflegen wir nicht zu sagen, sie seien „eingeboren“. Trotzdem erweckt jedes Gebäude, mit dem Makovecz zu tun hatte, dieses Gefühl in uns. Eingeboren im Karpatenbecken. Aus den Wogen der die Entstehung des Gebäudes zum Ergebnis habenden großen individuellen Leistungen hebt sich auch die Gestalt von Tamás Dósa-Papp ab. Er hatte es auf sich genommen, auszuarbeiten und auf das Papier zu bannen, was zu erschaffen dem alten Meister nicht mehr beschieden war.

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Pläne von Imre Makovecz fortzusetzen, ausführlich auszuarbeiten und den Bedürfnissen der Gemeinde anzupassen ist eine wahrlich undankbare Aufgabe. Man kann daran auf tausenderlei Weise scheitern. Es gibt immer jemanden, der etwas anderes sieht, der es anders fortgeführt hätte. Dass wir heute hier stehen, beweist, unser Architekt, Tamás Dósa-Papp kann auf das anerkennende Urteil der Gemeinde und der Nachwelt hoffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Und es fällt uns auch die Kraft der örtlichen Gemeinschaft ein. Das Gebäude, in dem wir stehen, ist auch der Bote dessen, dass es in Pesterzsébet eine reformierte Gemeinde gibt, die an ihre eigene Zukunft glaubt. Man pflegt nämlich Kirchen nicht für ein-zwei Jahre zu bauen. Man hört so vieles darüber, dass die christlichen Gemeinschaften im Aussterben begriffen seien, und nicht nur in den weit von uns entfernten Kriegsgebieten, sondern auch im nahen friedlichen Westen. Wie gut, dass das in Ungarn nicht so ist!

Sehr geehrte Reformierte Brüder und Schwestern!

Wir, Ungarn, sind seit tausend Jahren eine Kirchen errichtende Nation. In den Zeiten des Heiligen Stephan konnten außer uns dies auch noch viele andere über sich behaupten. Wir leben in anderen Zeiten. Es gibt nicht immer mehr, sondern immer weniger Kirchen errichtende Nationen in Europa.

Liebe Brüder und Schwestern!

Westeuropa befindet sich heute in einer Phase des kulturellen und zivilisatorischen Boden- und Gleichgewichtsverlustes. Die große historische Rolle und Mission, die die christliche europäische Zivilisation in den vergangenen fünfhundert Jahren ausgefüllt hat, wird jetzt schwach und zerfällt. Sie hat ihr Sendungsbewusstsein, ihr kulturelles und geistiges Erbe aufgegeben, hat ihre Zukunft einfach weggeworfen. In solchen Momenten kommt mir in den Sinn, wie viele und wie oft uns dorthin aufschließen lassen wollten, wo man heute keine Kirchen mehr baut, sondern Moscheen. Im Spiegel dieser historischen Situation entfaltet sich die breitere Bedeutung des heutigen Anlasses.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir wollen den Pfad nicht verlassen, den wir seit tausend Jahren beschreiten. Wir wollen weder von ihm abkehren noch von ihm abdriften. Das ist dann möglich, wenn wir einsehen, der Staat und die kirchlichen Gemeinschaften müssen zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit wird auch durch unser Grundgesetz gutgeheißen. In der auf christlicher Grundlage stehenden Demokratie ist es nicht nur die Aufgabe des Staates, sondern auch seine Pflicht, die Verantwortung für die traditionellen Gemeinschaften von der Familie über die Gemeinde bis zur Nation zu übernehmen. Das Grundgesetz drückt es folgendermaßen aus: „Der Schutz der verfassungsmäßigen Selbstidentität und der christlichen Kultur Ungarns ist die Pflicht aller Organe der Regierung.” Unsere Geschichte lehrt, dass die Ungarn nur als Christen fortbestehen können. Ein zwischen Grenzen geschlossenes Land, aber eine grenzenlose Seele. Das ist Ungarn. Wir sind nicht nur eine Kirchen erbauende Nation, sondern wir müssen eine Kirchen erbauende Nation sein, um fortzubestehen. Jede einzelne neue Kirche bedeutet eine Bastei im Kampf für die Freiheit und die Größe der Nation. Deshalb, meine lieben reformierten Brüder und Schwestern, haben wir seit 2010 in Ungarn, in den von Ungarn bewohnten Gebieten des Karpatenbeckens hundertfünfzig neue ungarische Kirchen errichtet und mehr als dreitausend in- und ausländische Kirchen renoviert.

Sehr geehrte feiernde Gemeinde!

Wir sind in der Kirche der Zusammengehörigkeit. Der Zusammenhalt und die Errichtung von Gemeinschaften bedeuten die Zukunft. So denkt man in der Zeit der Weinlese, dass die reformierte Gemeinde von Szabó-Telep die Rebe bereits gereinigt hat, damit im nächsten Jahr noch mehr Früchte für die Ungarn wachsen. So soll es sein! Soli Deo gloria!