Viktor Orbáns Rede vor der Tagesordnung im ungarischen Parlament
16. März 2020, Budapest

Ich danke für das Wort, sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitabgeordnete!

Ich habe um das Wort gebeten, denn Ende der vergangenen Woche hat die Regierung die Verkündung des Notstandes beschlossen, und dafür gibt es in der Geschichte der ungarischen Demokratie seit 1990 kein Beispiel. Der Grund dafür ist, dass wir uns in der ganzen Welt, so auch in Ungarn, einer äußerst schwerwiegenden Situation gegenübersehen. Wir stehen einem unsichtbaren und unbekannten Feind gegenüber. Das chinesische Coronavirus hat sich weltweit verbreitet, deshalb müssen wir die heutige Situation als eine Pandemie ansehen. Es stellt für die gesamte Menschheit eine Herausforderung dar, dass wir einem bisher unbekannten Virus gegenüberstehen. Wichtig ist es zu wissen, dass diese Epidemie nicht auf ein bisher unbekanntes Virus zurückgeht, sondern dass sich die chinesische Coronavirusepidemie im Gegensatz zu den bisher bekannten Epidemien viel schneller verbreitet. Da es kein Gegenmittel, keinen Impfstoff dagegen gibt, ist es nirgendwo gelungen, seine Ausbreitung aufzuhalten. 37 große, Giga-, weltweite Pharmafirmen arbeiten daran, den notwendigen Impfstoff zu entwickeln – bisher vergeblich. Und selbst wenn sie ihn entwickeln sollten, bis er auf den Markt gebracht werden kann, werden lange-lange Monate vergehen. Diese Forschungen, die überall in der Welt durchgeführt werden, verfolgt unsere aus ungarischen Virologen bestehende Arbeitsgruppe, und sie schaltet sich dort ein, wo sie es kann.

Hohes Haus!

Das Virus ist laut unseres heutigen Wissensstandes aus dem Iran, aus Italien bzw. aus Israel auf das Territorium Ungarns gelangt. All das bedeutet, dass die in China ausgebrochene Epidemie, also die auf der anderen Seite des Erdenrundes ausgebrochene Epidemie innerhalb einiger Wochen in Europa und so auch in unserer Heimat erschienen ist. Gegen die Coronavirusepidemie haben wir nicht nur keinen Impfstoff, sondern auch keine globale Lösung. Deshalb erarbeitet jedes Land für sich selbst seine Strategie der Verteidigung. Das ist uns nicht unbekannt, so war es auch für uns in den Zeiten früherer Krisen, ganz gleich ob es sich um die Wirtschaftskrise, die Hochwasserlage oder die Einwanderungskrise handelte. Auch damals mussten wir für uns selbst den brauchbaren, nationalen Aktionsplan zur Krisenbewältigung ausarbeiten. Und so lange der Impfstoff nicht erfunden wird, wird dies auch so bleiben. Selbstverständlich konsultieren wir während der Verteidigung mit allen, vor allen Dingen mit unseren Nachbarn, wir stehen mit jedem Land der Europäischen Union in unmittelbarem Kontakt, doch müssen wir, Ungarn, die verantwortlichen Entscheidungen treffen, das Fällen der Entscheidungen können wir nicht von anderen erwarten, und auch die Verantwortung, die wir für sie zu tragen haben, können wir niemandem anderen übertragen. Besonders wichtig ist die Kooperation mit Österreich, denn Österreich ist auch mit Italien benachbart. Deshalb versuchen wir die österreichischen Maßnahmen auf die schnellste Weise in die ungarische Praxis zu übernehmen, worüber ich gleich noch einige Worte sagen werde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir sind oft in schwierige Situationen geraten, auch mehrfach in den vergangenen zehn Jahren. Wir haben gelernt, so groß auch die Gefahr sein mag, die größten Chancen haben wir dann, wenn wir zusammenhalten. Auch jetzt müssen wir das tun. Ich bitte einen jeden darum, in dieser Situation den Weg des gemeinsamen Handelns und des nationalen Zusammenhaltes zu beschreiten. Wir benötigen eine möglichst breite nationale Kooperation. Was ist zu erwarten? Wir wissen, dass der Umgang mit der Coronavirusepidemie ein langwieriger und schmerzhafter Prozess sein wird. Es wird von einem jeden Anpassung erfordern. Das Leben wird in den kommenden Monaten nicht so sein, wie wir es im Allgemeinen gewohnt sind. Am wichtigsten wird in den kommenden Monaten auch weiterhin die Arbeit der im Gesundheitswesen und den Behörden angestellten Menschen sein, die die öffentliche Ordnung aufrechterhalten. Deshalb möchte ich mich bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen und denen in den für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlichen Behörden für die immense Arbeit bedanken, die sie im vergangenen Zeitraum verrichtet haben, sie haben nicht nur bisher größere Lasten getragen als andere, dies wird auch in den kommenden Wochen, ja langen-langen Monaten so sein. Deshalb bitte ich einen jeden, nicht nur Sie, sondern die Menschen im Allgemeinen, ihre Arbeit zu unterstützen, ihre Last zu mindern und sie zu unterstützen. Ich möchte mich im Allgemeinen auch bei den ungarischen Menschen bedanken, denn ich habe den Eindruck, sie haben die außergewöhnliche Lage mit der entsprechenden Disziplin aufgenommen. Ich danke Ihnen, dass Sie die ungewohnten Beschränkungen akzeptieren, von diesen werden noch einige kommen. Ich danke Ihnen, dass Sie die Regeln einhalten, und ich danke dafür, dass Sie die Vorschläge der Behörden akzeptieren, deren Zahl ebenfalls zunehmen wird. Das ist unsere wichtigste Kraftressource, also der Zusammenhalt und die Disziplin sind unsere wichtigsten Kraftressourcen, nutzen und gebrauchen wir sie!

Hohes Haus!

Laut unseres heutigen Kenntnisstandes kann man die Verbreitung der Coronavirusepidemie in drei Abschnitte teilen: Es gibt die Einzelerkrankungen, danach kommen die gruppenweisen Erkrankungen, und dann die massenhafte Erkrankung. Ungarn befand sich bisher in der ersten Phase, in den kommenden Tagen werden wir aber in den Zeitraum der gruppenweisen Erkrankungen hinübertreten. Wir sehen, dass solange es keinen Impfstoff gibt, wir in allen Ländern der Welt, so auch in Ungarn, eine einzige Chance haben, und das ist die Minderung der Verbreitung des Virus. Was wir heute versuchen können, ist es, die Geschwindigkeit der Verbreitung des Virus zu mindern. Deshalb müssen wir die Zahl der gemeinschaftlichen Treffen, oder wie es die Fachleute nennen: der Kontakte verringern. Jetzt werde ich Ihnen kurz darüber berichten, welche Entscheidungen wir im Interesse dessen bisher getroffen haben. Diese sind alle in der Vergangenheitsform zu verstehen. Wir haben die außerordentliche Rechtsordnung für das ganze Gebiet des Landes erklärt. Wir haben ein Einreiseverbot aus Italien, China, Südkorea und Israel für die nicht ungarischen Staatsbürger angeordnet, die aus diesen Ländern heimkommenden ungarischen Staatsbürger können das Gebiet Ungarns betreten, denn das ist ja ihre Heimat, aber sie müssen sofort in behördliche Quarantäne gehen. Dieser behördliche Beschluss schreibt vor, dass der Betreffende seinen Wohnort zwei Wochen lang nicht verlassen darf. Es zieht Sanktionen nach sich, wenn jemand eine unwahre Erklärung abgibt, und auch wenn er seine Verpflichtung hinsichtlich des Quarantänebeschlusses verletzt. Wir haben das Durchführen von Veranstaltungen von mehr als 100 Personen in Innenräumen und die von Veranstaltungen mit mehr als 500 Personen an der freien Luft verboten. Die ablaufenden Ausweise muss man bis zum Ende der Notlage nicht erneuern. An den Universitäten in Ungarn tritt das Verbot in Kraft, sie zu besuchen, ab jetzt darf der universitäre Unterricht nur in Form von Fernunterricht durchgeführt werden. Wir haben Klassenfahrten ins Ausland verboten, die Einführung der zweiwöchigen Sommersprachkurse für Schüler haben wir um ein Jahr – hoffen wir, nur um ein Jahr – verschoben. Der Schulunterricht ist im vollen Umfang zum Fernunterricht übergegangen. Wir haben über die Errichtung eines Seuchenspitals, eines aus Containern angefertigten Seuchenspitals entschieden, dessen Errichtung heute früh bzw. bei Tagesanbruch auch begonnen hat.

Hiernach möchte ich Sie, sehr geehrte Damen und Herren, darüber in Kenntnis setzen, dass wir nach der Sitzung des operativen Stabes heute früh weitere Entscheidungen getroffen haben. Diese sind die folgenden: Wir schließen die Grenzen Ungarns vor dem Personenverkehr. Die internationale Koordinierung dessen ist bereits im Gang, das bedeutet, in Zukunft werden nur ungarische Staatsbürger auf das Territorium Ungarns einreisen können. Ab Mitternacht verbieten wir Veranstaltungen im Allgemeinen, auch Sportevents dürfen höchstens – wenn die Organisatoren das auf sich nehmen – hinter geschlossenen Türen stattfinden, doch ist es am besten, wenn sie auch so nicht durchgeführt werden. Die Vergnügungslokale, die Kinos schließen wir, bei den kulturellen Institutionen führen wir ein Besuchsverbot ein. Die Restaurants, Cafés und Geschäfte dürfen nur bis 15 Uhr geöffnet sein, eine Ausnahme stellen die Lebensmittelläden, die Apotheken und die Drogerien dar. Wir schlagen vor, man sollte abgesehen von den Familienereignissen alle anderen Zusammenkünfte verschieben. Unseren älteren Mitbürgern, unseren Eltern und Großeltern lassen wir ausrichten, dass sie besonders den Gefahren dieser Epidemie ausgesetzt sind, deshalb bitten wir sie, äußerst vorsichtig zu sein. Dieses Virus ist hinsichtlich ihrer Person besonders gefährlich. Soweit ich sehe, kann die Regierung es nicht verbieten, dass Personen, die älter als 70 Jahre sind, ihre Wohnung verlassen, das glaube ich, aber ich möchte sie unbedingt darum bitten, wenn wir es schon nicht verbieten können, ich es schon nicht verbieten kann, ihre Wohnung nicht zu verlassen. Nicht weil sie andere infizieren würden, sondern weil ihnen etwas zustoßen könnte, sie sind in Gefahr. Die kommunalen Selbstverwaltungen verpflichten wir mit dem heutigen Tag, die Versorgung der in ihren Heimen bleibenden alten Menschen zu organisieren und sich um sie zu kümmern. Ich bitte die kommunalen Selbstverwaltungen, ihre Kraft in erster Linie für die Hilfe für die Alten aufzuwenden.

Hohes Haus!

Bisher ging es um die Maßnahmen. Jetzt möchte ich auch einige Worte über die wirtschaftlichen Folgen sagen. Die Coronavirusepidemie bedroht in erster Linie das menschliche Leben, doch deutlich sichtbar besitzt die Pandemie jetzt auch schon schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Die ganze Wirtschaft, ich spreche jetzt über die ungarische Wirtschaft, die gesamte ungarische Wirtschaft gerät in Probleme, aber nicht auf einmal, nicht zur gleichen Zeit. Es gibt Sektoren der Wirtschaft, z.B. der Tourismus, der Fremdenverkehr und die Dienstleistungen, bei denen das Problem schon an der Tür geklopft hat. Die Aufgabe von Frau Ministerin Andrea Mager wird es jetzt sein, mit den Vertretern der in Probleme geratenen, der bereits in Probleme geratenen Zweige zu konsultieren, ihre Vorschläge und Wünsche einzusammeln, damit wir in den kommenden Tagen schnelle Maßnahmen zu ihrer Unterstützung ergreifen können. Da die Gefahr in erster Linie den Arbeitsplätzen ungarischer Menschen droht, werden wir uns in den kommenden Wochen auf den Schutz der Arbeitsplätze konzentrieren. Eine sehr ernsthafte Welle der Arbeitslosigkeit droht Ungarn. Ich bitte jeden Arbeitgeber und jeden Arbeitnehmer, persönliche Anstrengungen zu unternehmen, um ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirusepidemie werden auch die Haushalts- und die Wirtschaftspläne-, das heißt die zentralen Haushalts- und Wirtschaftspläne der Regierung überschreiben. Die Budgets müssen auf allen Ebenen neu entworfen werden. Die Koordinierung dieser Arbeit ist die Aufgabe von Herrn Minister Mihály Varga. Die Eckdaten für die Neuplanung der Haushalte der Institutionen und der kommunalen Selbstverwaltungen werden wir innerhalb von Tagen angeben, und die Maßnahmen zur Unterstützung der ungarischen Wirtschaft sind bereits im Gange. Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass ich den Kontakt mit dem Gouverneur der Ungarischen Nationalbank aufgenommen habe, denn so wie in anderen europäischen Ländern werden auch in Ungarn außer Haushaltsmitteln auch monetäre Instrumente im Interesse des Umgangs mit der Krise notwendig sein. An diesem Punkt sind wir jetzt angekommen, am 16. März.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!